Joja Wendt
PIANIST
Text: David Pohle Fotos: Uta Gleiser
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 57
Die professionellste TT-Platte, die ich je sah, steht bei Joja, bürgerlich Johan, im Bahrenfelder Studio. Mit einer fest installierten Ballmaschine. „Nächstes Wochenende sind die Hamburger Meisterschaften, und ich will um den Titel meiner Altersklasse spielen“, grinst der charismatische Vollblutmusiker, dessen schnelle Hände eigentlich vor allem in Verbindung mit seinem virtuosen Klavierspiel gebracht werden. Seit über 30 Jahren füllt der Hamburger Jung mühelos die Laeiszhalle, inzwischen auch den großen Saal der Elbphilharmonie, alle anderen Konzerthäuser im Lande sowieso. In Manhattans Carnegie Hall hat er Standing Ovations bekommen, in Singapur, Russland und China – seine Website gibt es sogar auf Chinesisch – erntet er mit seinem Können und seiner mitreißenden Art Begeisterungsstürme. Das war alles nicht absehbar.
Joja fing mit vier an und übte fortan so viel, dass er später sogar seine eigene Abiturfeier verpasste. Nun, die hatte er ohnehin nicht ganz freiwillig zwei Jahre nach hinten verschieben müssen, u.a. weil er zwischenzeitlich mit Joe Cocker auf Tour ging und schlicht andere Prioritäten setzte. „Zu der Zeit gab es in Hamburg viele Live-Schuppen wie das ,Logo‘, das ,Knust‘ oder die ,Riverkasematten‘, aber das Zentrum dieser quietschfidelen Subkultur war das ,Sperl‘ am Großneumarkt.“ Damals gab es in jeder Kneipe ein Klavier und die Drei-Stücke-Regel, die sogar für Legenden wie Vince Weber und Axel Zwingenberger galt. „Die Läden waren voll, irre verqualmt, schöne Frauen, coole Typen, Drogen aller Art“, erinnert sich Joja, der sich musikalisch als höchstes Regal die Rolle eines Begleitpianisten von Udo Lindenberg vorstellen konnte. Cocker war gerade ein Support Act ausgefallen, er wohnte im Ramada um die Ecke, und als er den schwer verqualmten Raum betrat, hämmerte ein komplett unbekannter Typ einen Muddy-Waters-Song in die Tasten, dass der Raum bebte. Einen Cocker-Anruf bei Karsten Jahnke später war Joja schon für den nächsten Tag verpflichtet, erstmals vor ein paar Tausend Cocker-Fans zu spielen. „Cocker meinte, spiel einfach die Nummer von eben, die Leute werden durchdrehen.“ Und so war es auch. Cocker nimmt ihn mit auf Deutschland-Tour. „Meine Lehrer haben etwas sparsam geguckt, mich aber ziehen lassen.“
„Ich war ja nicht einmal der Kronprinz der Etablierten und bin aus der Kreisliga gleich in die Champions League geschossen.“ Nach der Tour war wieder Schule. Und „Sperl“, wo er – er erinnert sich mit einem Blitzen in den Augen – mit Angus Young von AC/DC mal mit Gitarre und Piano „Highway to Hell“ abgerissen hat. Da wäre man gern dabei gewesen. „Ich habe auf der Tour so viel gelernt, und Joe Cocker hat mir Mut gemacht, eine Vision zu entwickeln. Die Vision, dass eine eigene Karriere möglich ist.“ Die verfolgt er fortan. 1991 kommt Chuck Berry in die Stadt, und wieder – diesmal hat er schon einen gewissen Namen – fällt die Wahl auf Joja, sie spielen vierhändig, haben Spaß. Am Bass steht übrigens Uli Salm, in Hamburg immer noch Chef der legendären Kneipe „Zwick“. „Plötzlich bist du jemand“, erinnert sich Joja. Eine Londoner Plattenfirma will eine CD mit ihm machen, er bricht sich Monate vorher bei einem Unfall die Hand. „Der Arzt sagte mir, ich würde nie wieder Klavier spielen können.“ Joja vereint Biss, Ehrgeiz und Optimismus, die CD kommt, gefolgt vom Jazz-Studium in den Niederlanden. „Mir bringt das einfach unheimlich viel Spaß, früher und heute immer noch. Wenn die anderen um 23 Uhr in die Kneipe oder ins Bett gegangen sind, habe ich noch vier Stunden weitergespielt.“
Schon lange ist er ein Großer, hat viele CDs produziert, unzählige Konzerte auf der ganzen Welt gegeben, neulich war er im Empty Quarter von Saudi-Arabien. „Zur Inspiration.“ Hat die Musik für Otto Waalkes’ Sieben-Zwerge-Film gemacht und sprüht vor Energie und Positivität. Das merke ich schon daran, dass ich mich ob des Sprechtempos schwer konzentrieren muss, um nicht den Anschluss zu verlieren. Während der Pandemie hat er mehrere Programme eingespielt. Inzwischen tritt er wieder viel auf, zeitweise sogar mit drei unterschiedlichen Programmen an drei Abenden und sechs Konzerten. Man weiß ja nicht, was kommt. „Karl Lauterbach ist für mich der Totengräber der Subkultur. Ohne die läuft hier nichts. Und wenn du alles schließt, dann inspiriert überhaupt niemand mehr irgendwen. Und dann gerät der Motor ins Stocken, bevor er komplett absäuft“, meint Joja.
„Ich sehe zu, dass ich immer ein Spaßprojekt und ein künstlerisches am Start habe. Beim Piano-Sommer z.B. geht es um Musik, das Instrument und Inhalt. Mit Stefan Gwildis und Rolf Claussen hingegen lachen wir viel und texten Zeilen wie ,Im nächsten Leben wäre ich gerne meine eigene Frau.‘ Otto hat uns den Namen Söhne Hamburgs gegeben, gleichzeitig bedauert, dass er als Ostfriese nicht mitmachen kann.“ Da ist er nicht der Einzige. Joja schied übrigens im Halbfinale aus. Und trainiert schon für die nächste Austragung. An seiner Monsterplatte.