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Christopf Rüffer
LE CHEF
Christoph Rüffer, ein eher stiller Star. Sein Restaurant, das „Haerlin“ im Grandhotel Vier Jahreszeiten, wurde vom Guide Michelin mit dem dritten Stern ausgezeichnet. Mehr geht nicht! Wer ist der Mann hinter diesem Erfolg? Ein Gespräch über Zufälle, Beständigkeit, Wandel und Wille.
Text: Stevan Paul | Fotos: Uta Gleiser
Anderthalb Stunden dauerte die feierliche Verleihung der Guide-Michelin-Sterne bereits an, als die Spannung an diesem Juni-Abend in Frankfurt am Main stieg: Gwendal Poullennec, Direktor des Guide Michelin, eröffnete die Rubrik der Drei-Sterne-Restaurants. Mehr geht nicht. Aktuell gibt es nur zwölf Restaurants mit dieser Auszeichnung in Deutschland. Um 19.30 Uhr die Sensation: Jubel brandet auf, als klar ist – Christoph Rüffer holt den dritten Stern für das „Haerlin“.
Seit 2012 kocht er dort mit kreativer Leichtigkeit durchgehend zwei Sterne, jetzt der Aufstieg in den Olymp! Eine ganze Branche applaudiert. Sichtlich bewegt kämpft sich Rüffer durch die Menge, bedankt sich zuerst namentlich bei allen Mitarbeitenden, die gerade den Abendservice in Hamburg stemmen, dann bei Souschef Tobias Günther, mit dem er seit 21 Jahren zusammenarbeitet. Typisch Rüffer: Teamplayer in aller Bescheidenheit – auch an diesem Höhepunkt seines Schaffens. Zurück an der Alster folgt die Ehrung durch Hoteldirektor Ingo Peters, mit Parade, Champagner, Luftschlangen – und direkt der erste Service als neues Drei-Sterne-Restaurant: „Ehrlich gesagt hatte ich anfangs dieses Drei-Sterne-Gefühl noch nicht. Aber seit wir nach der Sommerpause wieder an neuen Gerichten arbeiten, kommt es langsam. Und die Glückwünsche von jedem Tisch – die reißen nicht ab. Schön ist das.“
Warum der dritte Stern – jetzt? „Reduktion. Wir haben uns im vergangenen Jahr noch mehr auf den Geschmack konzentriert, auf die Kombinationen. Nicht zu viele Aromen in einem Gericht, einfach fokussiert.“ Eigenlob ist Rüffers Sache nicht, ein Blick auf die Begründung des Guide Michelin präzisiert die neue Stilistik: „Die Produkte sind von hervorragender Qualität, die Technik top, die Saucen und Fonds haben eine ungeheure Tiefe und Kraft. … Rüffer lässt jetzt Dinge weg. Das schafft konstant toll balancierte Gerichte, die Ausdruckskraft und klare Aromen zeigen.“ Amuse Bouche bekommen wir treppab in der Küche gereicht, die so gar keiner TV-Folklore entspricht, total ruhig, freundlich und konzentriert, so wie Rüffer selbst. Offen: vom Chef’s Table aus können Gäste zu besonderen Anlässen auf jeden präzisen Handgriff sehen.
Es wird kaum gesprochen. Jeder weiß, was er zu tun hat, die Brigade läuft präzise wie ein Uhrwerk. Mit dem Ergebnis, dass man oben im „Haerlin“ sitzt und sich wünscht, dass das Essen niemals mehr endet.
Eher durch Zufall sei er zum Kochen gekommen, erzählt Christoph Rüffer, als ich nach seiner Kindheit und der Prägung durch das Elternhaus frage. Er ist in Essen geboren, die Mutter führt ein Haushaltswarengeschäft, der Vater ist Goldschmied, die Läden liegen im Erdgeschoss des Hauses, in dem er aufwächst. Tante Berta, die Schwester seiner Oma, übernimmt tagsüber die Betreuung und kocht mit dem Jungen. Mittags kommen die Eltern zum Essen rauf, es gibt Huhn im Römertopf, Möhren durcheinander, Reibekuchen mit Apfelmus: „Es gab natürlich auch Dinge, da bin ich verzweifelt als Kind.
Grünkohl. Da saß ich lange davor.“
Die Achtzigerjahre neigen sich langsam dem Ende zu, und im Fernsehen läuft sonntags eine der ersten Kochsendungen im TV: „Essen wie Gott in Deutschland“. Der junge Christoph ist fasziniert, findet im Teletext zur Sendung auch das Rezept für eine Grünkohlsuppe. Motiviert macht er sich ans Werk: „Aber die ging gar nicht.“ Jahrzehnte später gelingt ihm der Grünkohl-Durchbruch: Die Gäste im „Haerlin“ feiern zarte Grünkohlspitzen mit geröstetem Ferkelbauch und Senfkörnersauce. Zwischen den beiden Grünkohl-Ereignissen liegt Christoph Rüffers Weg zum Drei-Sterne-Koch. Eine Kundin seiner Mutter vermittelt
zunächst ein Schülerpraktikum im Sheraton Hotel in Essen. Dort rollt er Salatbouquets und ist begeistert: „Ich kam in diese Küche rein, da war Hektik und Stress, da war Leben. Ganz anders als zu Hause! Das fand ich super, ich hab’s geliebt.“ Die Eltern haben andere Pläne – eine Bankfachlehre vielleicht? Der Vater hätte gern gesehen, dass der Junge die Goldschmiede übernimmt. Dem ist aber klar: Koch will er werden. Aus dem Elternhaus nimmt er die Akribie mit, die Sorgfalt für jedes Detail: „Meine Eltern waren sehr diszipliniert und ordentlich.“ Es folgt eine Laufbahn, die zielstrebig zu einigen der wichtigsten Köche jener Zeit führt: Otto Koch, Henri Bach, Claus-Peter Lumpp.
Er beginnt 1989 mit einer Kochlehre im Sheraton, mit Seezunge Müllerin Art, Zürcher Geschnetzeltem, Spätzle schaben, Cumberland-Sauce rühren. Grundlagen werden vermittelt, das Handwerk. Über Verwandte kommt der Jungkoch nach München und ruft mit 19 Jahren einfach mal initiativ bei Otto Koch im Restaurant „Le Gourmet“ an: „Otto erzählte mir im Vorstellungsgespräch, er habe einen Stern und 18 Punkte. Ich wusste gar nicht, was der meint. Ich dachte, 18 von 100 ist ja ganz schön wenig. Ich wusste nicht, dass es nur 20 gab“, erzählt Christoph Rüffer lachend. „So bin ich da reingerutscht.“ Auf Vermittlung von Otto Koch geht es später zu Henri Bach ins Zwei-Sterne-Restaurant „Résidence“ in Essen. Rüffer erinnert sich an den 2024 verstorbenen Meisterkoch als einen Menschen, dem das Miteinander in der Küche ebenso wichtig war wie das Kochen selbst. Das prägt Rüffer. Mitte der Neunziger das nächste Angebot: Das Hotel Traube Tonbach bietet eine Stelle als Demi Chef de Partie im Drei-Sterne-Restaurant „Schwarzwaldstube“ an. Rüffer arbeitet für Harald Wohlfahrt, dann bei Claus-Peter Lumpp im „Bareiss“.
Er ist fleißig, kehrt als Souschef zurück ins „Résidence“, absolviert die Meisterschule: „Ich erinnere noch die praktische Prüfung, da sollte es zum Hauptgang Roastbeef-Röllchen im Strudelteig mit Hollandaise und Brokkoli geben. Ein Quatsch.“ Er schließt mit Bestnote ab und erhält einen Anruf: Es werde eine Stelle auf Sylt frei – als Nachfolger von Sternekoch Juan Amador im „Fährhaus Munkmarsch“. Rüffer zögert. Er ist 26 Jahre jung, und die Fußstapfen erscheinen ihm noch zu groß. Gemeinsam mit Kollege Alexandro Pape gelingt das Wagnis: Sie erkochen und halten ab 1999 den Stern für das „Fährhaus“. Weil auf Dauer Platz und Gehalt für zwei Chefs nicht reichen, geht Rüffer 2002 nach Hamburg. Das „Haerlin“ ist damals noch geprägt von dunklem Holz und schweren Gobelin-Wandteppichen, es gibt einen Klavierspieler. Rüffers Aufgabe: den Stern der Vorgänger Michael Hoffmann und Hans-Peter Engels zu verteidigen. Das gelingt, und es zeigt sich in Folge eine weitere Tugend des Küchenchefs: Beständigkeit! Rüffer schüttelt den Kopf, „Zufall“. Und ja, es gab Angebote, die aber nie besser waren. „2011 kam dann der zweite Stern und ab da auch keine Anrufe mehr. Da wusste ich, ich habe wohl zu oft Nein gesagt“, er lacht. „Es wurde dann ja auch die Küche renoviert, das Restaurant modern und dennoch klassisch gestaltet – und ich wusste: Jetzt bleibe ich hier.“
Neben dem „Haerlin“ ist ihm Hamburg zur Heimat geworden. Hier lebt der Vater zweier erwachsener Töchter, der viel Wert auf Privatsphäre legt. Sonntags und montags hat er frei, ist dann aber auch mal als Gast-Koch unterwegs. Alle drei Wochen besucht er seine Mutter: „Wir gehen dann essen oder Kaffee trinken, fahren spazieren, durch den schönen Essener Süden. Das ist mir wichtig.“ Und es gibt die Töchter, die zwischendurch auch mal etwas von ihrem Vater haben möchten: „Ich koche gern für uns, das kann ein Gemüse-curry sein oder neulich einfach Zander mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Einfach ganz normale Sachen.“
Eine private Angelegenheit ist dennoch zu berichten, die wir im Vorfeld knallhart recherchiert haben: „Ja, ich mache zu Hause die Bügelwäsche, für alle“, erklärt er lachend. „Da kann ich super abschalten!“ Den öffentlichen Rüffer gibt es sonst nur noch in der ZDF-Sendung „Küchenschlacht“. Reiner Zufall natürlich auch, wie es dazu kam: „Johann Lafer saß 2015 mit Gästen im Restaurant, und ich bin hoch und hab’ gefragt, ob es allen geschmeckt hat. Ja, wunderbar! Anderntags stellt sich raus: Die Gäste waren Fernsehredakteure. Ob ich Interesse hätte, als Juror bei der ,Küchenschlacht‘ zu fungieren.“ Mittlerweile hat er einmal im Monat zwei Aufzeichnungen im Studio. Er schätzt die Abwechslung, mal raus zu sein zwischendurch. Dabei lässt der Juror sich gern auch überraschen, unvergesslich: „Hühnchenroulade mit Marshmallow-Füllung. Und es hat tatsächlich irgendwie geschmeckt. Holla, die Waldfee!“
Im Bauch des Hotels Vier Jahreszeiten laufen die Vorbereitungen für den Abend auf Hochtouren. Hell und freundlich glänzt die Küche des „Haerlin“ in aufgeräumter Sauberkeit – trotz der konzentrierten Arbeiten auf jedem Posten. Ein Teller aus dem Menü wird angerichtet: leicht gebeizter schottischer Lachs, zwischen Weißbrotscheiben geröstet, mit Sauce Mary Rose, Erbsen, Keta-Kaviar und Limetten-Kefir mit gereiftem Sake. Schön wie eine Skulptur auch das Dessert von Chef-Patissière Margeaux Meis: Altländer Kirsche mit Pistaziencreme, Kirschgelee, Holunderblütensorbet, Shiso-Fond, dazu Verjus-
Granité mit Joghurtschaum, Tannenhonig und Kirschluft mit Tonkabohne. Die neue
Reduktion hat ihre Details: vielschichtig, durchdacht, komplex. Und beim Probieren der
Gerichte dämmert uns: Im „Haerlin“ überlassen sie wirklich gar nichts dem Zufall!














