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Constanze Klotz und Hanna Charlotte Erhorn

BRIDGE&TUNNEL

Text: Regine Marxen
Fotos: Julia Schwendner

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 53

„Wilhelmsburg gehört zu den Stadtteilen in Hamburg, die noch ein bisschen unfertig sind“, sagt Constanze Klotz. „Ich glaube, das sind Stadtviertel, die kann man entweder als Problemorte sehen oder als Orte, die ganz viele Chancen bereithalten. Wir finden, Wilhelmsburg ist definitiv Letzteres.“ Wir, das sind Hanna Charlotte Erhorn und sie selbst. 2016 gründete das Power-Duo das Fair-Fashion-Label Bridge&Tunnel. Chancen bereiten – das ist quasi die Kernmission des jungen Upcycling-Unternehmens. Nicht nur deshalb passt es genau in diese Gegend.

„Hier herrscht einfach noch ein wenig Wildwuchs“, sagt Hanna Charlotte Erhorn, genannt Lotte. „Das ermöglicht Begegnungen, die man sonst gar nicht auf dem Schirm gehabt hätte.“ Bridge&Tunnel will nicht nur Accessoires produzieren, es will Verbindungen schaffen. So wie der Standort Wilhelmsburg nur über Brücken und über den Elbtunnel erreichbar ist, will das Label Wege bauen für jene Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt nur wenig Chancen haben, einen Platz zu finden. Zum Beispiel aufgrund von Sprachbarrieren oder ihrer persönlichen Geschichte. Dabei bringen viele von ihnen handwerkliches Geschick mit, Talente, die oft ungesehen bleiben. „Es braucht in dieser Gesellschaft für alles eine Bescheinigung“, sagt Lotte. „Wenn du die nicht hast, dann kannst du dein Talent nicht einsetzen.“ Eine Verschwendung von Ressourcen, von Chancen, von der Option auf ein bisschen Glück. Zeit, dem entgegenzuwirken.

Bridge&Tunnel erzählt die Geschichte der zweiten Chance – und das auf mehreren Ebenen. Das Label recycelt Jeans und schenkt ihnen ein neues Leben – als Kissen, Decke, Bauchtasche oder Blouson. Aus altem Denim entstehen so neue Accessoires, Outdoor- und Einrichtungsartikel. Leitfarbe: Blau. Damit setzen die Gründerinnen ein klares Statement gegen den Konsumrausch, von dem breite Teile der Branche leben. Ein Großteil der produzierten Kleidung wird zu Billigpreisen verhökert, ist quasi ein Wegwerfartikel. Der schnelllebige Modemarkt funktioniert nur, weil Näher und Näherinnen schlicht wenig verdienen. Produziert wird im Übermaß, auch, um kurzlebigen Trends zu genügen. Auf Wilhelmsburg ticken die Uhren mal ganz anders. „Wir verstehen uns als Slow-Fashion-Label“, erläutert Constanze Klotz. Im Team ist sie die Innenministerin, ist als diplomierte Textildesignerin zuständig für das Design und den Herstellungsprozess. „Das heißt, dass wir keine Kollektionen herstellen, sondern schlicht Lieblingsteile, die gern länger als eine Saison halten dürfen und sollen.“ Die Entscheidung, auf Denim als Grundstoff zu setzen, wäre eine logische gewesen. „Bei uns auf dem Gewerbehof ist auch eine Kleiderkammer. Von denen wussten wir, dass es einfach einen sehr großen Nachschub gibt an Jeans, die nicht mehr getragen werden können. In Workshops haben wir gemerkt, dass es eigentlich ein ideales Taschenmaterial ist. Daraus sind dann die ersten Designs entstanden.“ Ihre Stoffe bekommen sie unter anderem von der Kleiderkammer Wilhelmsburg, der Hanseatic Help oder der AWO. „Wir erhalten aber auch Spenden von Privatmenschen, auch während Corona bekamen wir manchmal drei bis vier Kartons am Tag“, sagt Constanze „Conny“ Klotz. „Immer garniert mit einem Liebesbrief, manchmal mit Schokolade fürs Team und aufmunternden Worten.“

Der Stoff, mit dem Träume wahr werden können. Genäht werden die blauen Produkte nämlich von Geflüchteten oder anderen gesellschaftlich Benachteiligten. Jedes Produkt, das das Haus verlässt, trägt ein kleines Etikett, auf dem der Name der Person steht, die die letzte Naht setzte. Das verleiht dem Artikel ein Gesicht, macht es einzigartig. „Es gibt Leute, die besuchen uns, um ein Fanfoto mit der Person zu machen, die auf dem Etikett steht“, erzählt Lotte Erhorn. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin ist die Außenministerin im Team, kümmert sich um die Kommunikation, Kooperationen und um das Fundraising. Zwölf Menschen arbeiten inzwischen in der Nähwerkstatt auf dem Gewerbehof im Reiherstiegviertel nahe des Veringkanals. Es ist eine multinationale Gruppe, die hauptsächlich aus Frauen besteht. „Sayed ist unser Quotenmann“, lacht Conny. Der gelernte Herrenschneider flüchtete 2013 aus dem Irak nach Hamburg. Unter seinen und den Händen seiner Kolleginnen hat schon so manche Jeans eine neue Gestalt gefunden. „Wir haben vor zwei Jahren rund eine Tonne Denim verarbeitet.

Das dürfte sich inzwischen vermehrt haben“, schätzt Lotte. Denn mittler­­weile konnte das Duo Kooperationen mit Tchibo oder dem FC St. Pauli eintüten. „Dann produzieren wir auch in hohen Stückzahlen. Wir erhalten von diesen Partnern textile Restanten, Samples oder Werbematerialien und verarbeiten diese zu neuen Produkten.“ Die müssen dann nicht zwingend aus Denim sein. Neuester Clou: die Schürzen im „Grünen ​Jäger“ in St. Pauli. „Darüber freuen wir uns sehr, weil diese für Gäste des Restaurants im Alltag sichtbar sind“, sagt Lotte. Die Brücken und Tunnel, die Bridge&Tunnel baut, scheinen stabil zu sein. Wachsen um des Wachsen willens wollen die Gründerinnen allerdings nicht. „Think big, finde ich toll. Groß zu denken“, sagt Constanze. „Es fällt uns aber gleichzeitig schwer, Meilensteine aufzuschreiben. Bridge&Tunnel hat eine organische Dynamik. Ich glaube, was in jedem Fall passieren wird, ist, dass unsere Leidenschaft, für eine andere Modeindustrie zu kämpfen, nicht aufhören wird.“

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