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Birgit Müller

 

 

HINZ&KUNZT CHEFREDAKTEURIN

 

 

Text: Regine Marxen
Foto: Julia Schwendner

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 46

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Haltung und Herz Die „Hinz&Kunzt“-Chefredakteurin Birgit Müller hat beides. Und bescheiden ist sie. Das Bundesverdienstkreuz, das man ihr 2016 für ihr Engagement bei dem Hamburger Straßenmagazin verlieh, wollte sie erst gar nicht annehmen. „Ich war peinlich berührt. Ich werde für meinen Job doch bezahlt“, sagt die 63-Jährige. „Und ich mache das hier nicht allein, hinter mir steht ein ganzes Team.“ Schließlich nahm sie die Auszeichnung doch entgegen – und lud Sozialsenatorin Melanie Leonhard und die Festgemeinschaft kurzerhand in die „Hinz&Kunzt“-Räumlichkeiten in die Altstädter Twiete ein. „Es war eine tolle Erfahrung, dass sich die Sozialsenatorin darauf eingelassen hat. Wir haben politisch unsere Differenzen. Aber an diesem Tag spielten sie keine Rolle.“

 

Brücken bauen nennt Birgit Müller das. Verbindungen aufzeigen und den Perspektivwechsel ermöglichen, um Konflikte besser zu lösen. „Hinz&Kunzt“ liefert dazu einen wichtigen Beitrag. „Wir berichten aus dem Blickwinkel der Armen, zeigen, was die Obdachlosen beschäftigt. Das heißt natürlich auch: Wir sind nicht objektiv.“ So guten Journalismus zu machen, sei nicht immer einfach. „Aber uns gelingt das ganz gut. Wir haben eine Methode geschaffen, glaubwürdig zu sein. Wir befolgen in unserer Berichterstattung alle journalistischen Regeln. Wir beschweren uns oft, sind laut. Uns ist klar: Je mehr wir das Maul aufreißen, desto fundierter muss das sein.“


In Birgit Müllers Redaktion arbeiten deshalb auch nur ausgebildete Journalisten. Derzeit sind es vier Festangestellte und ein Volontär. Im Hintergrund aber beschäftigt dieser kleine Kosmos namens „Hinz&Kunzt“ 36 weitere festangestellte Mitarbeiter, davon 22 ehemalige Obdachlose. Sie verkaufen Brot bei den Brotrettern, leiten Besucher als Stadtführer durch ihr Hamburg oder arbeiten im Vertrieb des Magazins. Draußen, auf der Straße, verkaufen derzeit rund 530 Menschen das Magazin. 65.000 Hefte beträgt die durchschnittliche monatliche Druckauflage. Im Sommer kann sie auf unter 50.000 Exemplare sinken, im Winter steigt sie schon mal auf 100.000 Exemplare an. Dann ist die Not am sichtbarsten.


„Das Leben auf der Straße“, sagt Birgit Müller, „ist nicht leichter geworden. Das geht auch an uns nicht spurlos vorüber. Aber wir machen hier kein Jammerblatt. Wir legen den Finger in die Wunde – berichten aber auch über Positives. Denn die guten Geschichten, die gibt es.“
Es sind diese positiven Erlebnisse, die Birgit Müller seit 26 Jahren mit dem Magazin verbinden. Die ihr, auch in Zeiten, wenn ihr eigener Akku schwächelt, wieder Kraft geben. Wenn einer der Hinz&Künztler eine Wohnung findet, seine Sucht überwindet, wenn die 80-jährige Obdachlose voller Freude mit der Kamera loszieht, um für den „Hinz&Kunzt“-Jahreskalender zu fotografieren. Kleine Siege. Große Momente. Birgit Müller ist von Beginn an Teil des Erfolgsprojekts, hat bereits an der ersten Ausgabe im November 1993 mitgearbeitet. Damals war die Journalistin beim „Hamburger Abendblatt“ im Lokalteil beschäftigt, Ressort Soziales und Hafen. Den Hafen ließ sie sausen, kündigte und stieg als Redakteurin bei dem Straßenmagazin ein. Zwei Jahre später übernahm sie die Chefredaktion. Bis heute.

 

„Ich bin die Frau für die Langstrecke. Ich könnte mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Auch wenn dieser Job nicht immer leicht ist.“


Er war es nie. Birgit Müller hat Menschen verloren auf ihrem Weg. Sie erinnert sich noch gut an den Hinz&Künztler, der sich eines Nachts das Leben nahm. Immer wieder komme es zu Todesfällen. „Die Obdachlosen sterben viel zu jung. Dass Menschen vor unseren Augen auf der Straße sterben, muss nicht sein in einer Stadt wie Hamburg. Das macht mich wütend und traurig.“ Manchmal überlegt sie, kürzerzutreten – bis das nächste erfolgreiche Projekt sie wieder bestärkt. Zum Beispiel wenn die Verlagsräume nach einem Spendenaufruf in Schlafsäcken versinken. Ein bisschen macht sie das auch stolz auf diese Stadt. „Eigentlich ist Hamburg der ideale Ort, um Probleme zu lösen und Leuchttürme für andere Städte zu bauen. Das sollten wir viel mehr machen. Das macht nämlich richtig Spaß.“

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