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No Paint, no Glory

PAIN'T'HOUSE TATTOO HAMBURG

Text: Regine Marxen | Fotos: Giovanni Mafrici

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 50

„Die Kieler Straße ist ugly“, sagt Matteo Massaro in seinem Englisch-Deutsch-Mix mit italienischem Sound. Widersprechen mag man ihm nicht, aber hier drinnen, in seinem Studio „Pain't'house Tattoo Hamburg“, ist es ganz kuschelig. Die Wände sind voll mit gerahmten Aufnahmen von Tattoos und Skizzen, in der Mitte steht die Liege, auf der eigentlich Kunden Platz nehmen, um sich von Matteo kunstvoll tätowieren zu lassen. Aber jetzt, Mitte November, hat Corona die Stadt fest im Griff, und Matteo muss sein Studio erst einmal schließen. Deshalb sitzt er heute selbst auf der Liege und erzählt, was ihn als Tattoo-Künstler nach Hamburg zog – und was ihn überhaupt zur Nadel brachte.

Aufgewachsen ist Matteo in Latina nahe Rom, das Zeichnen lag ihm schon immer, er besuchte dort das Kunstgymnasium. Es war der ältere Bruder, der das Tattoo in sein Leben brachte. 1992 war das; der Bruder kehrte aus Rom nach Hause zurück, auf seinem Arm: ein tätowiertes Spinnennetz. Matteo war begeistert, begann zu recherchieren, kaufte seine erste Tätowiermaschine und begann zu üben. Erstes Trainingsobjekt: der eigene Körper. „Willst du Tätowierer werden, musst du erst einmal an dir selbst üben“, sagt er. Er entschied sich für eine Ausbildung zum Grafikdesigner, gründete seine eigene Agentur und arbeitete parallel als Tätowierer, begann zu reisen, liebte und lebte das Gipsy-Dasein eines unabhängigen Tattoo Artists. Anfang der 2000er-Jahre schließlich stieg er ganz aus der Grafikagentur aus.
Und dann kam Hamburg. Was treibt einen wie ihn in diese Stadt? „Ganz einfach: Hamburg ist eine der Tattoo-Hauptstädte in Europa neben Amsterdam und London.“ Tatsächlich hat die Hansestadt eine ansehnliche Tätowierhistorie zu bieten, der das Altonaer Museum im vergangenen Jahr sogar eine ganze Ausstellung widmete. Hier, am Hamburger Berg, eröffnete Herbert Hoffmann 1946 die älteste Tätowierstube Deutschlands. In Matteos Studio hängt ein Bild von ihr. Auch der Urvater der deutschen Tätowierer, Christian Warlich, hat seine Kunst in Hamburg ausgeführt, und zwar in der Hinterstube seiner Gaststätte in der heutigen Clemens-Schultz-Straße, die damals, im Jahre 1919, noch Kieler Straße hieß. Er verwendete als erster Tätowierer in Deutschland eine elektrische Tätowiermaschine. Die Kunst, Farbe unter die Haut zu bringen, liegt also in den Genen dieser Stadt, und genau deshalb dockte Matteo vor rund 20 Jahren an der Elbe, genauer in der Schanze, an. Ein eigenes Studio wollte er damals noch nicht. Zu sehr liebte er das ungebundene Leben, und die Winter in Hamburg waren viel zu kalt, um sie nicht in Thailand und in seiner Heimat Italien zu verbringen. Aber die Zeit arbeitete für die Hansestadt; Matteo fühlte sich immer heimischer. Gleichzeitig begann ihn sein Job in einem großen Tätowierstudio in der Schanze zu nerven. Nicht, weil er einen Sommer lang drei Mal am Tag die Steißbeine von unterschiedlichen Kunden mit demselben Motiv versah. Matteo bewertet weder seine Kunden noch deren Tattoowünsche. „It’s your skin.“ Große oder kleine Motive, bunt oder schwarz-weiß, jedes von ihnen wird von ihm mit derselben Hingabe gestochen. Er berät höchstens, was Größe oder Farbe angeht. Nein, was ihn zu nerven begann, war die Tatsache, dass viele Kunden ohne Termin vorbeischauten, während er gerade jemanden tätowierte. Der Wunsch nach einem eigenen Laden wuchs. So kam es, dass Matteo 2016 das „Pain't'house Tattoo“ in der Kieler Straße eröffnete. Die ist wie gesagt nicht schön, aber das Problem der Laufkundschaft erledigt sich hier von selbst. „Wer hier vorbeikommt, hat eine klare Vorstellung, was er will.“ Matteo kann hier individuell arbeiten. Jedes seiner gestochenen Kunstwerke ist ein Unikat, das er zusammen mit dem Kunden entwickelt und nur für ihn zeichnet. Seien es Aquarell-Motive, die Darstellung einer Familie als Strichmännchen oder die großflächigen, symmetrischen Zeichnungen aus organischen Linien, mit feinen Details und Schattierungen. Die sind sein Markenzeichen, seine Spezialität. Ein Motiv dieser Art, das beispielsweise den gesamten Rücken füllt, braucht 40 bis 50 Stunden Zeit, manchmal sticht Matteo über ein Jahr daran. Wer ihn im Gespräch erlebt, kann kaum glauben, dass der quirlige Italiener über einen längeren Zeitraum konzentriert arbeiten kann. Auch heute, an diesem windig grauen Novembertag, springt er immer wieder auf oder ruckelt auf der Liege hin und her. Lange still sitzen: Geht das? Er grinst: „Sogar meine Freunde waren überrascht, dass ich das sehr gut kann. Es ist wie eine Transformation: Wenn ich steche, bin ich sehr fokussiert.“

Tattoo Artists arbeiten allein, sind jedoch keine Einzelgänger. Sie sind Netzwerker, reisen viel und lernen voneinander. Auch Matteo hat in seinem Studio Gastkünstler zu Besuch. Marco Lopez kommt aus Neapel und gibt regelmäßig Gastspiele im „Pain't'house“. Festes Kollektivmitglied ist die Japanerin Soe Sezuki, die die Irezumi, die traditionelle japanische Tätowierkunst beherrscht. Das Zentrum dieses Kollektivs ist Matteo, der Mann aus Latina, der nach Hamburg kam, um zu bleiben. Damit wird er Teil der langen Tattoo-Artist-Historie dieser Stadt. Wer weiß, welche Spuren Matteo hinterlassen wird. Auf jeden Fall werden sie tief unter die Haut gehen.

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