top of page

Music is their first love

STEINWAY & SONS HAMBURG

Text: Simone Rickert Fotos: Jan Northoff

DH2002_Titel_S.jpg

Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 53

Über 140 Patente hält die Firma Steinway. Als Heinrich Engelhard Steinweg 1836 in der Küche seines Hauses in Seesen im Harz den Steinway No. 1 baute, mag der gelernte Tischlermeister nicht geahnt oder zu hoffen gewagt haben, wie weit seine großen Ideen in die Zukunft tragen würden. Sein Anspruch war hoch, das bestmögliche Instrument wollte er bauen. Er tüftelte am Resonanzraum, der gekreuzten Saitenbespannung, viele seiner damals neuen Ideen sind bis heute Praxis. 1850 wanderte er bereits erfolgreich nach New York aus, nannte sich „Henry E. Steinway“, und auch die „Sons“ waren schon mit an Bord. 1880 kehrten die Söhne Theodore
und William in die alte Welt zurück und gründeten eine zweite Fabrik im Hamburger Schanzenviertel, den Standortvorteil des Freihafens nutzend, um den wachsenden europäischen Markt zu bedienen. Noch heute wird von New York aus der amerikanische Kontinent beliefert, von Hamburg der Rest der Welt. 1928 siedelte man an den heutigen Standort in Bahrenfeld um, um die Kapazitäten zu erweitern. Jährlich werden am Rondenbarg zirka 1400 In­strumente fertiggestellt, überwiegend Flügel, rund 250 Klaviere.

Im Showroom empfangen uns Simone Gawlik und Claudia Kröger, Managerinnen des Hamburger Flagship-Stores, und lassen uns spielen … Auf den großen und kleinen Flügeln, dem Klavier, dem mächtigen Konzertflügel D-274 (die Zahl steht übrigens für die Länge in Zentimetern), in der Steinway-Familie liebevoll „Dora“ genannt. Unterschiede im Klang und im Anschlag ausprobieren, die Basstöne gehen buchstäblich unter die Haut. Legt man die Hand an das Gehäuse, spürt man Musik pur. Vladimir Horowitz spielt uns die „Appassionata“ von Beethoven, natürlich nicht persönlich.

Es ist der neueste Geniestreich aus der stetigen Entwicklung des Hauses Steinway. Der Steinway Spirio: vom Bau ein klassischer Flügel, aber zusätzlich mit einer digitalen Recheneinheit ausgestattet, die eine Sensorik unter der Tastatur steuert. Die hebt mit einer
Präzision von mehr als 1000 Impulsen pro Sekunde den Hammer
an die Saite. Es ist ein kleines Wunder, ein selbstspielender Flügel. Per iPad teilt man Dora mit, was er bitte spielen möge. Zur Auswahl als Spirio-Variante stehen die Flügelmodelle B (211 Zentimeter lang) und eben der Dora mit seinen 274 Zentimetern. Und in der Bibliothek gibt es mehr als 4000 Titel aller Genres, Pop, Soul, Klassik – man kann sich die weltbesten Pianisten nach Hause holen. Natürlich kann man auch sein eigenes Konzert aufnehmen und später abspielen oder sich einfach mit dazusetzen und vierhändig ein bisschen mit Billy Joel improvisieren. Man muss das selbst erlebt haben: Wie sich die Tasten automatisch bewegen, hat absolut nichts Geisterhaftes, doch es haut einen um!

Die Hamburger Pianistin Katharina Hinz ist im Showroom, sie möchte sich ein neues, größeres Instrument aussuchen. Ihren ersten Steinway hat sie als Jugendliche bekommen, nachdem sie den ersten Preis beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ gewonnen hatte. Den Spirio probiert sie auch, die Aufnahmefunktion versetzt sie in totale Begeisterung. Das ist das erste Mal, dass sie ihr eigenes Spiel wirklich anhören kann, nicht über Lautsprecher, den echten Klang. „Ein wahrer Spirio-Moment!“, Simone Gawlik hat ihn schon oft miterlebt, er ist fast ein bisschen wie eine Offenbarung. Die praktische Tragweite ist vielseitig. Katharina Hinz hat Ideen zu ihrer Interpretation, die sie am liebsten sofort umsetzen möchte. Die historischen Rekonstruktionen von Horowitz oder Michelangeli findet sie fantastisch: „Im Vergleich zu einer Audio- oder Video-Aufnahme ist das wie 3-D!“ Für Komponisten eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten zum Gedankenspiel, und ein komplettes Stück mal eben in eine andere Tonart zu transponieren, ist für den Rechner natürlich überhaupt kein Problem. Veränderungen der Aufnahme sind über das iPad wie in einem Tonstudio möglich, ganz intuitiv verschiebt man Notenlängen, Tonhöhen, Pedaleinsatz.

Ein echtes Profi-Aufnahmestudio befindet sich übrigens gleich nebenan. Hierher kommen die Steinway Artists und zeichnen exklusiv für die stetig wachsende Spirio-Bibliothek auf. Dazu kommen Mitschnitte von Konzerten, und seit Neuestem kann man im Spirio-Cast sogar live dabei sein, wenn ein Artist in einem der großen Konzerthäuser der Welt spielt. Nach der Aufnahme hier im Studio lassen sich die Künstler selten die Gelegenheit entgehen, noch mal eben „rüberzugehen“. Manchmal geben sie ein „Fabrikkonzert“, spielen auf dem alten Dielenboden, der knarzt und kracht, nur für die Mitarbeiter. Das vereint sie alle in der Steinway-Familie, die Leidenschaft für Musik.

Betritt man die Fertigungshallen, weht einem der warme Duft von Holz entgegen. Die Arbeiter sind konzentriert am Werk, tragen ihre Steinway-T-Shirts stolz wie die Fans einer Rock-Gruppe. Von den knapp 450 Mitarbeitern in Hamburg sind 320 in der Produktion beschäftigt. Viele von ihnen mit jahrzehntelanger Erfahrung, einige sind hier im wahrsten Sinne aufgewachsen, als Kind schon vom Papa mitgenommen worden, und machen in zweiter, dritter Generation Flügel. Zusätzlich zu modernsten Fertigungsmethoden haben sie es im Gespür, ob ein Holz richtig ist, bemerken im Handauflegen, wo ein Millimeter zu viel stört.

Die Seele des Flügels, so nennen sie den Resonanzboden. Der Ton entsteht zwar beim Anschlag der Saiten, aber der Klang, der volle,
warme, präzise Steinway-Sound, den bringt vor allem er zum Leuchten. Das perfekte Zusammenspiel aller Bauteile ist vielleicht das größte Geheimnis des Erfolgs, aber der Resonanzboden ist das Fundament. In der Rimbiegerei entsteht aus über 20 Schichten verleimten Hartholzes das charakteristisch geschwungene Gehäuse. Im Biegebock bekommt der Rim seine Form, von 23 mächtigen Schraubzwingen fixiert trocknet und ruht er rund 100 Tage.

Eines der wenigen Bauteile, die nicht in Hamburg entstehen, ist die 180 Kilogramm (bei einem D-Flügel) schwere Gussplatte. Sie wird in der Gießerei O. S. Kelly in Ohio gefertigt, die lange schon zu Steinway gehört. Das Metall ist das einzige Element im Flügel, das nicht mit dem Ton schwingen soll, stark und absolut statisch. Wenn die bronzierte Gussplatte ins Gehäuse eingebaut wird, fest verbunden mit dem Resonanzboden, nimmt der Flügel allmählich seine zukünftige Gestalt an. Es wird gepasst, bis ein wahres Einzelstück entstanden ist und mit seinen Saiten – aus Stahlkerndraht plus Kupfermantel für die Basstöne und purem Stahl für den Diskant – bespannt werden kann.

Fehlt noch die Klaviatur. Und hier unterscheidet sich der Spirio tatsächlich erstmals im Bau von den klassischen Modellen, denn die Sensorik zum computergesteuerten Heben der Hämmer wird jetzt fest mit installiert. Deswegen ist es übrigens auch nicht möglich, einen alten Flügel mit der Spirio-Technik nachzurüsten. Allein beim Regulieren der Anschlag-Mechanik werden gut 7500 Teile aufeinander abgestimmt. Höchste Konzentration, Feinschliff: Hebeglieder, Hämmer und Tasten werden mit kleinen Bronzegewichten ausbalanciert. Seinen persönlichen Klang bekommt der Flügel beim Intonieren. Das ist noch etwas anderes als das Stimmen, das Spannen der Saiten. Hier werden die Filzauflagen der Hammerköpfe mit Nadeln und Feilen bearbeitet, der Anschlag, die Facetten der Dynamik von laut und leise beim Spiel im Instrument bestimmt. „Wenn Kunden diese Tour durch die Manufaktur erlebt haben, haben sie übrigens keine Fragen mehr zum Kaufpreis“, bemerkt Simone Gawlik charmant nebenbei.

Zum Schluss wird „der Deckel draufgemacht“, das sagt man hier unter all den Fachbegriffen wirklich so einfach, und es schwingt der ganze Stolz einer gemeinschaftlich vollbrachten Meisterleistung mit, wenn wieder ein Instrument bereit ist, hinaus in die Welt zu gehen. Meist übrigens nicht allein. Egal ob in ein Privathaus oder einen Konzertsaal begleitet die Crew die Auslieferung und ein Konzerttechniker den Flügel, den er kennt und jahrelang betreut wie „sein Baby“. Wer einen Steinway kauft, wird automatisch Teil der großen Familie.

In den Showroom kommt kurz vor Ladenschluss ein Vater mit seinem Sohn. Der junge Mann probiert ein paar Instrumente und legt dann einen bühnenreifen Chopin hin, auf dem Flügel, der es für diese Familie wohl werden wird. Was würde Heinrich Engelhard Steinweg sagen, wenn er heute mit seinem Sohn durch die Tür käme? Sein Porträt hängt in Simone Gawliks Büro, sie meint, er würde wohl lächeln und glücklich sein, dass das Unternehmen seinen „standard of excellence“ weitergetragen hat und immer am Puls der Zeit bleibt.

bottom of page