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Populär –

Andrea Rothaug

 

 

AUTORIN: REGINE MARXEN

FOTOS: JULIA SCHWENDNER

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 40

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Ein wenig erinnert Andrea Rothaug an den Duracell-Hasen aus der 90er-Jahre-TV-Werbung, der unbeirrt auf seine Trommel schlägt, während alle anderen Langohren um ihn herum schon schlapp die Arme baumeln lassen. Diese Frau ist ein echtes Kraftwerk und auf unzähligen Spielfeldern aktiv. Die Geschäftsführerin von RockCity Hamburg e.V. ist unter anderem Präsidentin des Bundesverbands Popularmusik, stellvertretende Leitung des Bundesfachausschusses Vielfalt des Deutschen Musikrats, sie sitzt im Kuratorium Junge Ohren Berlin, im Koordinierungskreis Kultur HafenCity und im Beirat des Reeperbahn Festivals. Sie ist Mentorin beim Deutschen Kulturrat, hat nebenbei noch einen Roman veröffentlicht – ach ja, drei unveröffentlichte Bücher liegen noch daheim.

 

Sie ist Kulturmanagerin, PR-Frau, zertifizierter Artist- und Businesscoach, gründete 2017 die musicHHwomen, das Netzwerk für Frauen in der Musikbranche, und hat eine „Weltklasse“-Tochter, die heute 19-jährige Juno, großgezogen. Und bei all diesen Aufgaben wirkt sie auch an diesem Morgen erstaunlich gelassen. Im sportlich schwarzen Hosenanzug, coolen schwarz-weißen Sneakern und stylishen bunten Socken sitzt sie uns in der kleinen Küche im RockCity-Office gegenüber, die blauen Augen blitzen klar und wach, die schwarzen Haare bilden eine ungezähmte Lockenpracht. 
Wie sie all diese Jobs unter einen Hut bekommt?

 

„Ich bin eigentlich faul“, sagt sie und lacht.
„Deshalb arbeite ich sehr ökonomisch.“


Logisch klingt das nicht, passt aber irgendwie. „Ich bin ein ambivalenter Mensch“, sagt sie. Nicht immer findet sie eine Klammer für all ihre Facetten. Aber meistens. Andrea Rothaug ist eine Meisterin des lösungs- und zielorientierten Denkens, eine Visionen-möglich-Macherin. Das RockCity-Büro in der Sternstraße mag klein sein, aber hier befindet sich die Keimzelle für kreative Ideen und Projekte für Hamburgs Musikszene. Der Musikwettbewerb Krach+Getöse wurde hier erdacht. Das Clubkombinat und Operation Ton, das Festival für musikalische Zukunftsfragen. Oder der erste lokale Musikladen „Hanseplatte“ – Musik von hier. Und jüngst die Community musicHHwomen. Andrea Rothaug ist die Ideenmaschine hinter diesen Projekten, mit ihrem Team plant und koordiniert sie diese, macht sie groß. Sie ist eine Strategin, deren Herz für die Künstler, für die Musik schlägt. 


Mit 13 wird diese Liebe geweckt. Da entdeckt Andrea den Punk. Von ihren Eltern aus Hamburg nach Lütjenburg an die Ostsee verfrachtet, lernt sie auf dem Land die jungen und älteren Punks kennen, von denen einige noch heute Teil ihres Inner Circles sind: Ernst Kahl, Peter Marxen, Daniel Richter oder Rocko Schamoni. „Ich stieß dort auf Menschen, die meine konsequente politische Haltung teilten und Punkrock mochten.“ Sie wird Mitglied der regionalen Punk-Szene, die Musik bleibt ihr Soziotop. Ihr Studium der Ostslavistik an der Universität Hamburg verbringt sie größtenteils in Tourbussen, begleitet Bands wie Die Sterne, Schamoni oder Die Braut haut ins Auge. „Die Mädels und Jungs hatten ja keine Ahnung, wie man Touren organisiert.“ Selbst Musik machte sie nie. „Ich komme aus der Literatur“, sagt sie. „Ich schreibe Bücher, Manifeste, Kolumnen, Reden, Artikel, Gedichte. Musik machen die anderen. Und ich war nicht ganz übel im Dickbrettbohren und Organisieren. Damit konnte ich den Künstlerinnen und Künstlern früh unter die Arme greifen. Das war was wert, damals und heute.“


Nach dem Studium arbeitet sie unter anderem als Pressereferentin für den Bundesverband Musikindustrie, als Head of Corporate Communication bei einem IT-Dienstleister in der Musikbranche und gründet gemeinsam mit vielen Musikkolleginnen als junge Mutter ein musikalisches Internet-Start-up. Letzteres überlebt als Opfer der Internet-Blase in den frühen 2000er-Jahren nur einige Monate. „Eine Frau hat viele Ziele“, sagt Andrea lächelnd, „dazu gehören zum Beispiel, den Untergang eines Internet-Start-ups zu begleiten oder eine skandalöse Scheidung hinzulegen.“ Die Scheidung lässt sie lieber aus: Sie ist seit über 26 Jahren mit dem nach eigener Aussage schönsten Mann der Stadt verheiratet. 

 

 


2002 findet Andrea Rothaug ihre berufliche Mission: Sie wird Geschäftsführerin von RockCity Hamburg e.V., und diesen Job macht sie nun seit über 16 Jahren. Weil sie in dieser Funktion gestalten, kulturpolitische Ziele avisieren und Dinge bewegen kann, auch wenn sie sich dabei gelegentlich eine blutige Nase holt. Hier hilft die Rebellin in ihr. „40 Prozent Punk, 40 Prozent Ökonomin, 20 Prozent Künstlerin!“, das ist die Andrea-Rothaug-Mischung, die eine Menge wuppen kann. Denn ein wenig Rebellentum, sagt die 52-Jährige, brauche man in der Lobbyarbeit – gerade als Frau in der männlich dominierten Musik- und Politik-Branche. „Aber inzwischen hole ich mir kaum noch eine blutige Nase. Ich kämpfe nur noch selten, sondern habe die Ruhe weg und argumentiere lange und gern.“


Bis 2017 war Andrea Rothaug allein das Gesicht von RockCity, inzwischen verstärken Reinhild Marie Sickinger und Susan Lindenhahn das RockCity-Chefinnenteam. Gemeinsam mit ihrer 13-köpfigen Crew schenken die drei Powerfrauen Hamburg ein wenig Wildheit, mehr Vielfalt und Internationalität in der Musikwirtschaft und Musikkultur. Das kann sie gut vertragen, die Stadt neigt manchmal ein wenig zur Biederkeit. „Zu Hafenstraßenzeiten empfanden Hamburg und ich eine Art Hassliebe zueinander, heute ist es Liebe und ein richtiges ,Wir kriegen das schon hin‘-Gefühl“, sagt Andrea. „Ich bin Hamburgerin, lebe seit 30 Jahren auf St. Pauli, meine Tochter ist auf St. Pauli geboren und aufgewachsen, und ich hatte das Glück, diese Stadt mitzugestalten. Wir bei RockCity wagen täglich den Dialog zwischen Politik und Künstlern, um für diese ein produktives Umfeld zu schaffen.“ Sie lächelt und fügt hinzu: „Und ich bin dankbar, dass ich das hier tun kann.“

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