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Porträt –

Bugsier 7

 

 

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AUTOR: DAVID POHLE 

FOTOS: RENÉ SUPPER

Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 31

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Wir lagen vor Ceylon, und es ging ganz nach meinem Geschmack los“, erzählt Pero Hempel. Eine wilde Crew erwartete Pero, Seebären wie aus dem Bilderbuch, mit allen Wassern gewaschen, tätowiert, bärtig, manche aus der Fremdenlegion. „Ich hatte meine Ausbildung zum Schiffsmatrosen in Deutschland Tage vorher beendet und wollte die Welt sehen, Abenteuer erleben und war in das erste Flugzeug in die Ferne gestiegen.“

Der Notruf des englischen Havaristen erreicht den vor der Ostküste auf der Lauer liegenden „Bugsier“-Bergungsschlepper mitten in der Nacht. Zwei Funker schieben Zwölf-Stunden-Schichten, bloß keinen Einsatz verpassen, es winken hohe Belohnungen. Ein Leck, Öl läuft aus, Wasser strömt ein. Kurs Havarist. Wenige Stunden später steuert Pero das Schlauchboot im Golf von Bengalen, setzt in schwerster Dünung über und hilft, die Crew zu bergen. Danach sichert er das schwer ächzende Schiff mit einer Stahltrosse. Der Brite ist nicht zu retten, die Krängung des Havaristen wird immer größer, das unter maximaler Spannung stehende Seil wird eiligst durchgeflext. Mit in die Tiefe gezogen zu werden, ist keine Option. Wenig später sinkt das Schiff. Vom Bergungsschlepper begleitet, mit einem langen Abschiedsgruß aus dem Typhon.

 

Kein schlechter Anfang, fand Pero damals. Eben reichte er uns seine starke Hand mit einem „Moin“ zur Begrüßung. Die Geschichte ist 40 Jahre her. Pero, alle im Hamburger Hafen nennen ihn so, sitzt gelassen unter Deck. Er ist der Kapitän von „Bugsier 7“, mit 70 Tonnen Pfahlzugkraft einer der stärksten Schlepper, den die Hamburger Bugsier-Reederei in Altona vor Neumühlen liegen hat. Streng genommen ist der Schlepper ein Seeschiffsassistenzschlepper, 31,50 Meter lang, 11,30 Meter breit, 13 Knoten schnell und hat zwei 3000-PS-Motoren im Bauch. Schlepper ist er, wenn er ein totes, manövrierunfähiges Schiff schleppt. Ein wunderbares Kraftpaket.

 

„Wir haben gleich einen Auftrag, die ‚Sagitta‘ war vor einer Stunde noch vor Brunsbüttel und müsste bald hier sein.“ Die „Sagitta“ ist ein Containerfrachter, knapp 230 Meter lang, 32 Meter breit und fährt unter der Flagge der Marshallinseln. „Aber einen Kaffee können wir noch.“ Pero und seine aus dem Schiffsmechaniker – früher hieß das Matrose  –  Frederik und dem Maschinisten Alex bestehende Crew ist zwei Wochen am Stück an Bord. 14 Tage rund um die Uhr in Rufbereitschaft. Der Hafen schläft nie. „Während ihr gemütlich in eure Federkissen pupst, arbeiten wir hier“, grinst Pero und freut sich doch ein wenig aufs Schichtende. Dann sind wieder zwei Wochen frei, gerade genug, um sich wieder auf die „Bugsier 7“ und die Elbe zu freuen. Peros Schlepper ist vergleichsweise luxuriös, jedes Crewmitglied hat eine eigene Kabine, Dusche und Klo.

 

Ein infernalischer Piepton. Der würde Tote wecken, und das ist auch gut so, denn manchmal arbeiten Pero und seine Jungs die ganze Nacht durch, helfen Abgängern – so heißen die Schiffe, die Richtung Nordsee und von dort in die Welt fahren – und Aufkommern, das sind die, die den Hafen anlaufen, um die Kais zu erreichen. Es ist das Startsignal. Arbeit. Die „Sagitta“ ist jetzt vor Wedel, wir müssen zum Meeting Point. Der ist auf Höhe Airbus, drei Kilometer elbabwärts.

 

Maschinist Alex hat die Maschine angeworfen, aus der Tiefe des Schlepperbauchs kommt ein aufgeregtes Brüllen, die mächtigen Motoren hören sich an wie der hungrigste Löwe der Savanne, d. h. zwei davon.

 

Es ist sehr viel los auf der Elbe. Ein Gigant der Hamburg-Süd-Reederei, sicher über 300 Meter lang, gleitet mit rotem Rumpf vorbei. Um den kümmern sich jetzt die Kollegen. Auf der Höhe des Elbimbisses Kleine Rast und der ehemaligen Elbschlossbrauerei ist der Übernahmepunkt. Der Elb­lot­se geht jetzt von Bord, hat die „Sagitta“ von der Mündung sicher hierher gebracht, der Hafenlotse mit dem schönen Namen Chevalier übernimmt. „Bugsier“ ist erster Mann vorn, das heißt, wir drehen auf Höhe der „Sagitta“ bei, fahren ein paar Meter vor den Bugwulst. Es ist ablaufen­des Wasser, es ebbt. Der Aufkommer wird leicht gebremst, ist einfacher zu handeln. „Schwieriger ist es, wenn das Wasser aufläuft, der Wind aus Westen kommt“, meint Pero. Langsam läuft die „Sagitta“ von hinten auf, man kann
den Bug fast greifen, da fliegt von oben, sicher 10 Meter höher, eine Leine, die Matrose Frederik greift und mit einem Tau verbindet. Die Schleppleine wird nun hoch­gezogen, festgemacht und ist klar zum Antauen, das heißt auf der Elbe ziehen. „Ziehen kann man Ziegen“, meint Pero, der echte Seemannschaft von der Pike auf gelernt hat. Lotse Chevalier funkt. Der „Sagitta“-Kapitän habe nur einen Schlepper bestellt. Pero ist das egal, er hatte einen Auftrag, jetzt ist die „Sagitta“ am Haken, Fakten wurden geschaffen, der Job wird gemacht. Das Schimpfen des Kapitäns kommentiert Pero grinsend gar nicht.

 

Pero Hempel wurde in Dubrovnik geboren, daher Pero, wuchs auf Rhodos in Griechenland auf, Vater und Mutter waren Kunstmaler, die es nach Lindos verschlagen hatte. „Da rannte ich nur barfuß rum oder war im Wasser, mit meinen Sohlen konnte ich Zigaretten austreten, mein erstes Paar Schuhe bekam ich mit sieben Jahren“, erzählt Pero. „Später wollte ich Segelschiff-designer werden, kam zur Ausbildung nach Hamburg, aber das Wetter und zu wenig Aussicht auf Abenteuer ließen mich das schnell beenden.“

 

„Als junger Kerl habe ich den ,Seewolf‘ gele­sen, Jack London, Joseph Conrad, immer ging es in die Welt. Ich fühlte mich damals frei wie ein Vogel und musste was erleben.“

 

Und man sieht Pero an, dass da ein bisschen Wehmut mitschwingt. „Also fuhr ich nach der Ausbildung zum Matrosen sieben Jahre auf Bergungs-schleppern für Überführungen. Als Teil der Runnercrew – Verbindungsmann zum Schlepper – und einmal auf einer Bohrinsel, die von Schottland nach Südafrika geschleppt wurde. 2,3 Knoten im Schnitt. 6 Monate lang. Dann wurde ich Bergungstaucher. Natürlich bei Bugsier. Grundausbildung Ammersee, gefolgt von zwei harten Jungtaucherjahren. 200 Stunden trug ich ins Lügenbuch ein. Es waren ein paar weniger.“


So gab es – immer für Bugsier, seine Familie – neben den täglichen Jobs im dunklen, trüben Elbwasser auch weltweit Abenteuer. An Bergungstauchgänge vor Barbados erinnert er sich, aber auch an die Räumung eines Hafenbeckens in Ghana. „Morgens sahen wir, wie die Leute akrobatisch ihre Hintern über die Kaimauer hielten und sich lösten. Das war schon unappetitlich.“ In den 1970er-Jahren war der Kiez noch eine wilde Gegend, Alkohol und Schlägereien waren Tagesordnung. „Da kam mir einmal ein abgebrochener Flaschenhals zu nah, und ich musste ein paar Tage ins Hafenkrankenhaus, wo die Hafenlöwen – also gestandene Hafenarbeiter – lagen und mich für Bier und Zigaretten losschickten. Das waren die Zeiten, als es die alten Bars auf St. Pauli noch gab: Venus-, Washington-, Liverpool-Bar. Manche Seemänner haben direkt überm Tresen gewohnt, ihre komplette Heuer durchgebracht. Und dann ging es wieder auf See. Es ist wichtig, dass man dann irgendwann die Kurve kriegt, wenigstens ein bisschen seriös wird. Mit 38 Jahren dachte ich jedenfalls, man muss jetzt Familie haben, was leider gründlich in die Hose ging.“ Aber auf seine hübsche Tochter, die kürzlich ihr Abitur am französischen Gymnasium in Hamburg gemacht hat, ist Pero sichtbar stolz.

 

Die Bugsiernase schiebt die „Sagitta“ inzwischen sanft in eine Lücke am Burchardkai. Zwei Stunden hat der Auftrag gedauert, wir drehen ab, fahren zurück nach Neumühlen. „Was ist mit der Elbvertiefung?“, will ich wissen. „Angst?“ „Elbvertiefung ist schon ein Thema; aber wenn die großen Schiffe nicht mehr kommen können, ausweichen müssen, dann gehen wir dahin, wo die Schiffe sind, wo die Arbeit ist“, sagt Pero ganz gelassen. Jetzt liegt Pero wieder vor Neumühlen. Wartet auf den nächsten Auftrag. Zwei Jahre hat er noch, dann will er ein kleines Motorboot haben, auf der Elbe schippern wie
ein Freizeitkapitän. Este oder Schweinesand heißen dann die Ziele. „Ich kann doch nicht wie ein alter Sack nur im Garten arbeiten“, grinst er wieder und schaut Richtung Nordsee. Kleines Abenteuer immerhin.

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