Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 32
Ganz hinten in Sinstorf, dort, wo man anfängt an der Ortskenntnis des Busfahrers zu zweifeln, duftet es heute nach Getreide und Malz. Dampf steigt von den silbernen Tanks auf, die in der Halle aus rotem Backstein brodeln. Brautag. Um genau zu sein: Craft-Beer-Brautag! Hopfensaft, von Hand eines unabhängigen Braumeisters gemacht: Oliver Wesseloh, einer der bekanntesten dieser Zunft. 1,89 Meter groß, Bart mit Wumms, Schiebermütze, unter der ein sorgsam gebundener Zopf hervorlugt.
Man könnte an Hipster denken, aber Wesseloh hat diese Ur-Gelassenheit und den Schnack im Blut, mit Hobbybräu und Kurzzeitkult so gar nichts an der Mütze. Geboren in Eißendorf, hinterste Ecke Harburgs, Studium zum Diplom-Braumeister mit dem Ziel: „Braumeister in Kanada werden. Durch einen Schüleraustausch habe ich mitbekommen, wie die Kanadier deutsches Bier abfeiern.“ Es wurde die Karibik, Bau einer Brauerei für ein Planungsbüro. Dann zwei Jahre Miami: Als Anlagenbauer bei Craft-Brauereien unterwegs, entdeckte er, „wofür ich eigentlich Braumeister geworden bin!“ 2012 das Zertifikat zum Biersommelier und die Entscheidung, zur Einschulung der Tochter nach Hamburg „wiederzukehren“ und die eigene Brauerei zu bauen. Aus Milchtanks, in denen jetzt Geselle Felix, Azubi Christian und Praktikant Leonard rühren, und durch die alle zwei Wochen insgesamt 1000 Liter fließen. Milchkühe sind auch Olivers Thema, der noch hinterm Schreibtisch klemmt:
„Ich musste mich als Futtermittelhersteller registrieren.
Weil der übrig gebliebene Treber ja an Kühe verfüttert wird“, sagt er, zieht die Augenbrauen hoch und lacht.
Zwischen den Schreibtischtaten entstehen hier die besonderen, nicht überall verfügbaren Biersorten. Die Mengen von Prototyp und Co. gehen in Nittenau durch die Rohre. Alles regionale Rohstoffe? „Hopfen in Hamburg: gibt es nur bei uns im Garten. Da wächst er super!“, sagt Oliver. „Aber ich habe durch Zufall einen Braugerstenbauern aus Buxtehude kennengelernt! Der will selbst anfangen zu mälzen und hat vorgefühlt, ob es einen Markt dafür gibt.“ Ollis Reaktion? „Alter! Ich nehm dir das sofort ab!“ Abnehmer sind auch Nigel und Jennifer von Alles Elbe, Craft-Beer-Laden mit feinstem Frühstück auf St. Pauli. Jennifer steht in der Hallentür und ruft rein: „Habt ihr Bier da?“ – „Soll in einer Brauerei schon mal vorkommen!“, ruft Christian zurück und grinst frech. Nicht nur Kehrwieder, auch andere Flaschen nehmen sie von hier mit. „Weil es für unsere Zulieferer einfacher ist, die hier abzuladen, als in der Innenstadt“, erklärt Jennifer.
Die gegenseitige Hilfe ist selbstverständlich, man kennt und „sieht sich ja auch ständig. Die vielen Veranstaltungen sind oft wie ein Klassentreffen!“, sagt Olivers Frau Julia, die sich um die PR der Brauerei kümmert. Bier trinken die zwei am liebsten auch ausgewählt unter Freunden, erzählt er. „Das ist wie in einer Weinrunde: ‚Ich hab ein Schätzchen im Keller, das muss ich euch zeigen!‘ “ Solche Schätzchen, findet Julia, kann ihr Mann ruhig alle zwei Jahre kreieren. Wie das erste alkoholfreie Craft Beer aus dem Norden namens ü. NN. „Alkoholfrei muss doch lecker gehen, dachten wir!“ So entstehen Ideen, die drei Jungs vorn mit dabei. Oliver: „Wir machen nichts, weil es im Kommen ist. Das Konzept muss funktionieren, dann bin ich dabei.“ Jetzt lagern in der Halle mit Bier gefüllte Port- und Rumfässer von Küfer Krogemann aus Bremen, ein weiteres Projekt. In sechs Monaten wird gekostet, und wenn alles stimmt, gibt es zu Weihnachten herrlich frisches Bier mit der Mütze voll Wumms.