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Auf dem Klingelschild des gutbürgerlichen Gründerzeithauses im Grindelviertel steht nicht Galerie oder so. Einfach M.Bassy, soll sich lesen wie der Name einer Freundin, die man für einen schönen Abend besucht, und klingen wie das englische Wort für Botschaft. Bisrat
Negassi öffnet die Tür zur Wohnung im Hochparterre. Das Parkett knarzt gemütlich, hat schon Scharen von Gästen getragen, sicher auch bevor sie mit Freunden und Familie gemeinsam hier im Frühjahr 2016 die M.Bassy etablierte. Es ist keine Galerie im klassischen Sinn, nicht immer hängen Preisschilder an den Werken, es ist ein Ort der Begegnungen. Als Bisrat aus Paris und New York zurück nach Hamburg zog, fehlte ihr hier „das Metropolige, Künstlerinnen vom Kontinent und aus der Diaspora hatten keinen Space, der ihnen Sichtbarkeit verleihen konnte“. Dem Kontinent Afrika, den von dort unfreiwillig in alle Herren Länder Verstreuten, gibt sie mit ihrem Mann und guten Freunden nun hier eine Bühne. Zwei bis vier Ausstellungen machen sie im Jahr, flankiert von Events, Literaturreihen, Film-Screenings, DJ-Sets.
Der jetzt gerade sonnendurchflutete Erker wird abends zur kleinen Konzertbühne, im Raum nebenan ist abgedunkelt eine Videoinstallation zu sehen. Im Zimmer zum Hof können weit angereiste Künstler residieren. Und in der Küche werden für Events und Vernissagen die Gäste bekocht, die dann an langen Tafeln miteinander speisen, reden, für sich oftmals ganz neue Kunst entdecken – und Freundschaften schließen. Salon trifft es am ehesten. Bisrat verbindet Hamburg mit den aktuellen Kulturströmungen vom afrikanischen Kontinent. Sie kuratiert im Kollektiv mit ihren Mitstreiterinnen nicht nur die Ausstellungen hier im Haus, ihr Netzwerk ist unendlich. Sie ist Modedesignerin, ihr eigenes Label „Negassi“ hat sie in Paris gegründet, führt es von Hamburg aus fort, wohin sie für ihre große Liebe zurückkehrte. Die zeitlos klassische, wahnsinnig elegante Kollektion, die immer ergänzt wird, ist halb à la mesure in Deutschland gefertigt. Am Museum für Kunst und Gewerbe leitet sie als Kuratorin die Abteilung Mode und Textil. Durfte neulich Stücke aus der Kollektion von Designer Lamine Kouyaté ankaufen, Xuly Bët heißt sein Label. Bei ihm machte sie ihr erstes Modepraktikum in Paris. Der Urvater des Upcyclings, 1991, bevor das jemand so genannt hat. Mit Boom-Box auf der Schulter und seinen Freunden als Mannequins, stahl er Jean Paul Gaultier buchstäblich die Schau, memorabilisiert in Robert Altmans Film „Prêt-à-Porter“, nun dank Bisrat auch im Museum.
2022 hat sie ein Buch geschrieben. Es heißt „Ich bin: Wut. Mut. Flucht. Eritrea. Germany. Mode. Liebe“. Ihre Vita. Mutig ist sie mit jedem Schritt. Aber Wut? Ganz bescheiden und nachdenklich erzählt sie, die käme vielleicht auch aus der Not heraus und sei für sie nichts Negatives, ein Katalysator, sogar ein kreativer Motor. Sie war als junges Mädchen wütend, aus ihrem Leben in der Heimat Eritrea herausgerissen zu werden. Ihr Vater hatte die Unabhängigkeitsbewegung finanziell unterstützt und war dafür auf der Todesliste gelandet. Die Familie musste in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fliehen, über den Sudan, zufällig – man hat als Geflüchteter nicht immer die Wahl – nach Hannover. Und sehr froh, von dort 1985 ins schönere Hamburg umzuziehen. Hier ist sie seitdem fest verwurzelt, innige Freundschaften und Kontakte weltweit prägen ihr Leben. Und doch kommt die Wut in der zierlichen, hochgewachsenen Frau manchmal wieder hoch. Auch darum hat sie die M.Bassy mitbegründet: „Ich brauchte einen Raum, in dem ich diese Themen mit Menschen besprechen kann, die mir am Herzen liegen. Die Narrative aus dem letzten Jahrhundert, die müssen geändert werden.“ Das gelingt Bisrat selbst nicht mühelos, sie krempelt ordentlich die Ärmel hoch, doch für die Gäste des Salons wunderbar selbstverständlich in einer Runde, in der jeder willkommen ist. Mit Blick auf den Kontinent, der in unseren Nachrichten absolut unterrepräsentiert ist.
Bis zum 6. Dezember zeigt die M.Bassy die Ausstellung „Unity in Diversity: Pan-African Art Practices of Collective Care“ mit Larry Achiampong, Sammy Baloji, Hamedine Kane & The Otolith Group: Werke aus den Genres Multi-Media-Installation, Objekte und Videoarbeiten. Falls Sie von diesen Künstlern noch nie gehört haben, gehen Sie hin. Panafrikanische Kunst ist in (anderen) Metropolen längst sehr angesagt. Und Bisrat Negassi ist die allerherzlichste Salonnière.





