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Ellen Blumenstein

KURATORIN HAFENCITY E.V.

Text: Simone Rickert Fotos: Jan Northoff

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 57

Den Schuppen 29 kennt wahrscheinlich kaum ein Hamburger. Außer, er hat früher im Afrika-Terminal am Baakenhöft gearbeitet oder in den Sommermonaten die Klang- und Video-Installation der renommierten Künstlerin Annika Kahrs besucht, die den 8000 Quadratmeter großen Schuppen wieder mit Leben gefüllt hat. Das letzte nicht entwickelte Grundstück in der Hafencity, das letzte alte Gebäude, das noch irgendwie an die Zeit des Freihafens erinnert. „Es gibt in Hamburg nicht mehr viele Orte, die so sind“, Ellen Blumenstein mag Un-Orte, ihre Offenheit, den weiten Horizont in jeder Beziehung.

Klingklong, Rauschen, ein metallischer Wumms – als wir uns zum Interview treffen, ist Kahrs Projekt „how to live in the echo of other places“ noch am Laufen, zehn Hamburger Komponisten haben dafür ihre Arrangements beigesteuert – dieses Stück klingt wahrhaft nach einem Echo aus dem alten Freihafen. Ein paar Besucher kommen mit dem Rad an, haben das Gelände schon erkundet, weil sie den Eingang nicht gleich fanden, sind von der Installation ebenso überwältigt, wie vom schieren Charme der Halle. Und genau so soll es sein! Deswegen war dies eines der großen Projekte von Ellen, die ein voller Erfolg geworden sind. Sie locken Hamburger Publikum in die Hafencity, das sonst nicht hier wäre, bieten Bewohnern und den vielen Mitarbeitern aus den umliegenden Büros und Konzernen ein überraschendes Erlebnis, zeigen Touristen und Kreuzfahrern, dass es hier in puncto Kultur mehr zu entdecken gibt als die Elbphilharmonie.

„Unser Auftrag ist nicht nur, Anlässe zu schaffen, sondern den Stadtteil im Alltag zum Leben zu bringen. Das ist ein hoher Anspruch für die Möglichkeiten, die wir haben.“ Was genau ist nun ihr „Auftrag“ als Kuratorin? Ellen lacht, die Ausschreibung für ihren Job habe 60 Seiten umfasst, darin stand so ungefähr alles: von kultureller Erdgeschossnutzung, über vages Stadtteil-Beleben bis Fundraising für Großprojekte. Das Tolle daran: Es ist so viel, dass sie sich mit ihrem kleinen Team die Wahrheit nun selbst erarbeiten kann.
2018 gegründet, beschäftigt „Imagine the City“ 3,5 feste Mitarbeiter: Theresa Michel leistet kuratorische Assistenz, Jonas Wietelmann macht die Büro- und Projektleitung und transportiert nebenbei noch Wasserkisten zu Veranstaltungsorten, sorgt für ein Pizza-Fahrrad, das zur Finissage die Gäste bei Traumblick in den Sonnenuntergang dort versorgt, wo mindestens genauso gut eine Profi-Beach-Bar stehen könnte. Vielleicht beim nächsten Mal, auch so war es schön. Allein die Buchhaltung kostet extrem viel Zeit, sie sind ein eingetragener Verein, Insider wissen, was das bedeutet. Doch Ellen schreckt das alles nicht: Sie kommt aus Berlin, hat dort einen Salon betrieben und ein Kuratorinnen-Netzwerk geführt. Sie ist gut im Improvisieren.

Und ihr Auftrag ist einfach zu gut: Die Entwicklungsgesellschaft HafenCity Hamburg GmbH, hundertprozentig städtisch, hat schon vor 20 Jahren erkannt, dass dieser neue Stadtteil nicht nur in Sachen Verkehr, Digitalisierung und Infrastruktur ganz weit vorn sein muss, sondern sich auch durch ein breites kulturelles Angebot auszeichnen soll. Viele andere Städte machen es ihr jetzt nach. Sie wird kurz HCH genannt und ist mit Stadtentwicklungsbehörde und Kulturbehörde quasi der Geber von Ellens Auftrag. Das Budget reicht im Moment nur für Projekte, die zusätzlich gesponsert werden, etwa vom Elbkulturfonds, Stiftungen, Förderern aus Gewerbe und Handel. Auch um diese Mittel zu gewinnen, braucht Ellen für jedes Projekt viel Vorbereitungszeit. Und die richtigen Kontakte, die sich so nach und nach ergeben.

Beim ersten Projekt „Public Face“, das war der Smiley auf der Kibbelstegbrücke, lernte sie sieben verschiedene Ämter bei diversen Genehmigungsverfahren kennen. In der kleinen „Bee Chapel“ des berühmten Terence Koh trafen Studenten der HCU auf Manager von Kühne+Nagel, Greenpeace-Mitarbeiter und Mütter mit Kinderwagen. Wie eine echte Kapelle hat sie alle Menschen in diesem „Dorf“ miteinander verbunden. Das ist genau das Ziel von Ellens Einsatz für die Kunst in einem Stadtteil: Verbindungen stiften. Der Titel „Imagine the City“ klingt mit Absicht wie eine Aufforderung, als ob der Satz noch weitergeht. Der soziale ­Aspekt von Kunst ist ja, dass man sie überhaupt erst wahrnimmt, wenn sie das Leben bereichert, wenn sie da ist – obwohl man sie vorher vielleicht gar nicht vermisst hat. Übrigens ist „Imagine“ für die kulturelle Gestaltung aller großen Hamburger Stadtentwicklungsprojekte zuständig, auch den Grasbrook, den Billebogen, die Science City Bahrenfeld, alle Großprojekte, die eine Auswirkung auf die Stadt als Ganzes haben. Weiter geht’s dort, sobald hier Kapazitäten frei werden. Damit ist auch schnell geklärt, was wird, wenn die Hafencity fertig ist. Spätestens dann, gern früher, will „Imagine“ weitere Kreise ziehen. Die nachvollziehbare Frage: Wie findet man als Kuratorin die richtige Kunst für den richtigen Ort? Die findet Ellen „überhaupt nicht schwierig … sie hat nur viele Faktoren“, also doch. Am Anfang steht Erfahrung, ein unvoreingenommener Blick auf die Gegend, dem die Perspektive einer Zugezogenen vielleicht ganz guttut, Visionen, ein sehr gut etabliertes Netzwerk zu renommierten Kunstschaffenden. Mehr eigentlich nicht, „ein Gefüge von Intuition und Überlegung, und drei Jahre später ist ein fertiges Projekt zu sehen“. Wie immer bei guter Kunst: Am besten, das Publikum merkt nicht, dass es kompliziert war.

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