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Never stop starting. Klingt nach einer dieser Weisheiten, die manchmal auf kleinen Teebeutel-Anhängern zu lesen sind. Für Esin Rager aber sind diese Worte keine Floskel. Sie lebt sie mit hanseatischer Selbstverständlichkeit. Als Gründerin des Bio-Teelabels Samova, als Vizepräsidentin des FC St. Pauli, als Journalistin – und als Naturliebhaberin mit Vorliebe für Tannenzapfen, die an achtlos weggeworfenen Capri-Sun-Packungen im Wald verzweifelt. „Es braucht Jahrhunderte, bis die abgebaut sind.“ Stimmt, die Trinktüten bestehen aus mehreren Schichten Kunststoff und Aluminiumfolie. Das macht sie langlebig und stabil. Müll, der bleibt, und wenn Esin Rager Exemplare dieser Trinkbeutel auf ihren Waldspaziergängen mit ihren Königspudeln Aurel und Kenai entdeckt, fotografiert sie sie, bevor sie sie fachgerecht entsorgt. Inzwischen hat sie eine ansehnliche Sammlung von Aufnahmen auf ihrem Handy und hat ihr den Titel Dirty Drinking verpasst. Veränderung beginnt mit dem eigenen Handeln, egal, ob vor der eigenen Haustür oder im eigenen Unternehmen. Esin Rager ist auf diesem Gebiet Pionierin. Mit Samova denkt sie Wirtschaft und Ökologie zusammen – und hat aus dem Brühgetränk ein Lifestyle-Produkt gemacht.
Sie lebt in Billstedt, aber Rager ist eigentlich Weltbürgerin. Geboren in Washington, D.C., als Tochter eines türkischen Diplomaten und einer deutschen Lehrerin lebte sie in Moskau, Wien, Paris, Ankara, Amsterdam – und Hamburg. Mit zehn Jahren verschlug es sie in die Hansestadt. Ihr Vater war nach Saudi-Arabien versetzt worden. Weil das Leben für Frauen dort sehr eingeschränkt ist, blieb die Familie bei den Großeltern in Reinbek. Hamburg wurde ihr Ankerplatz. „Ich habe das, woher ich komme – dieses Internationale und Freie – in Hamburg sofort gespürt“, sagt sie. Wasser spielt dabei eine wichtige Rolle. „Die Wassernähe und Wasservielfalt von Hamburg – Meeresnähe, Alster, Elbe – das entspricht einfach total meiner Lebensart.“ Hier arbeitete sie später als Journalistin für eine große Hamburger Tageszeitung, interviewte als junge Frau Größen wie Robin Williams oder Harrison Ford. In ihrem Büro im Billstedter Kultur Palast stehen Fotos davon. Ein aufregendes Leben. Und der Tee passt da wunderbar hinein. „Auf jedem Fleckchen dieser Erde wird irgendwas aufgebrüht, was man als Tee bezeichnen kann. Diese Getränke sind meistens friedliche Anknüpfungsgetränke.“ Tee bringt Menschen zusammen. Und Kommunikation ist Basis einer jeden Veränderung.
Dennoch entstand Samova nicht zielgerichtet. Es gab keinen Businessplan mit gewiefter Strategie, wohl aber diese Idee, Tee als Mittler zu nutzen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wollte Esin gemeinsam mit Freunden dem Hass „etwas Friedliches entgegensetzen“. Also organisierten sie an einem Sonntagnachmittag einen Tanztee im Hotel Atlantic. Mit Livemusik – Esin Ragers Mann Stefan ist Schlagzeuger – und Kinderbetreuung. Eingeladen waren 100 Menschen. Gekommen sind 500. Die Teemischung, die Esin Rager extra für diesen Tag selbst gemischt und verpackt hatte (weil die gängigen Tees ihr nicht schmeckten), wollten plötzlich alle kaufen. Die Möbelkette Habitat auch. Aus der Tanzveranstaltung mit Namen Samova wurde so das Unternehmen Samova. Anfangs betrieb sie es noch mit Freunden. Schnell schmiss sie den Laden allein. Neben der eigenen Medienagentur und der Familie. Zwei Söhne hat sie, ihr Mann war als Musiker oft auf Tour. Irgendwann musste sie eine Entscheidung treffen. Sie entschied sich für die Familie und den Tee.
Die Tee-Community, oder die Communitea, wie Rager sagt, wuchs. Samova wuchs mit. National wie international. Was die Marke von Beginn an besonders machte, war die Idee hinter den Teesorten. „Ich entwickle Tees nicht nach Zutaten, die auf dem Markt sind, sondern die Zutaten folgen einer Idee“, sagt sie. So entstand zum Beispiel „Team Spirit“, als sie für die Stadt Hamburg einen Tee zur Fußball-WM kreieren sollte. Grüner Rasen wurde Lemongras, Ginkgo fürs Denken, Grüntee für den Kick. Der Name war eine Anspielung auf den WM-Ball „Teamgeist“. Oder „Digital Detox“: inspiriert vom Computerspiel Minecraft, das ihre Söhne damals rauf und runter spielten. Zutaten: Karotte, Apfel, Kürbis – Pflanzen, die auch im Spiel wachsen. Die Geschichten hinter den Teesorten stehen auf der Website. Storytelling mit Inhalt.
Heute befindet sich ihr Flagship-Store in der Hobenköök-Markthalle im Oberhafen, die Kollektion umfasst rund 30 Standardsorten. Es gibt Signature-Tees für Hotels, Nachfüllpackungen und kompostierbare Beutel. „Unser Tee ist kompromisslos sauber“, sagt Rager. Von Anfang an ließ sie alle Zutaten in deutschen Laboren prüfen, verließ sich nicht auf Zertifikate aus dem Herkunftsland. Auch beim Thema Verpackung geht sie eigene Wege. Samova war eines der ersten Unternehmen, das gartenkompostierbare Kuverts aus Natureflex einsetzte. Es besteht aus Holzzellstoff und zersetzt sich innerhalb von rund 42 Tagen vollständig. „Du könntest den eingepackten Beutel einfach so in ein Gemüsebeet einpflanzen.“ Auch die Farbe und Bedruckung der Verpackung sind schadstofffrei. Das alles ist gut durchdacht, und Rager optimiert stetig weiter.
Ihr Know-how bringt sie in ihre ehrenamtliche Tätigkeit als Vizepräsidentin des FC St. Pauli ein. Dort hat sie ein Nachhaltigkeitsteam aufgebaut, das unter anderem Kriterien für Sponsoring entwickelt, auf Bioprodukte im Stadion-Catering achtet und die Energieversorgung nachhaltiger gestaltet. Seit vier Jahren ist sie dabei, und sie liebt, was sie dort tut. „Der Verein ist im Grunde eine Zusammenkunft von wahnsinnig vielen tollen, engagierten Menschen. Sie teilen dasselbe Wertefundament und haben sich erfreulicherweise den Profifußball ausgesucht, um diese Werte zu zeigen und zu leben.“
Welchen Impact Unternehmertum wie dieses haben und wie viel Spaß diese Sache darüber hinaus machen kann, vermittelt Esin Rager Kindern und Jugendlichen im Rahmen ihres Engagements für den Verein Futurepreneur e.V. Der lässt Schüler im Rahmen von Projektwochen Mikrounternehmen gründen, um ihnen die Angst vor der Selbstständigkeit zu nehmen. Rager findet das wunderbar, weil es Impulse setzen und dazu beitragen kann, eigene Visionen zu entwickeln. Sie möchte die Neugier wecken auf ein Leben jenseits der gepflasterten Wege. Genau das gibt sie auch ihren eigenen Söhnen mit auf den Weg: „Seid immer offen für jeden und für alles. Und hört niemals auf, anzufangen.“












