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Marvin Willoughby
VEOLIA TOWERS
Wilhelmsburg und Basketball, das gehört in den Köpfen der Hamburger fest zusammen. Dank ihm, Mitgründer und Geschäftsführer der „Veolia Towers“. Der Verein verbindet Sozialarbeit, Leistungs- und Profisport. Marvins nächste Ziele sind eine Damen-Profimannschaft sowie eine neue Halle für 9000 Besucher. Wetten, dass ihm auch das gelingt?
Text: Andrea Hacke | Fotos: Anatol Kotte
Die ErfolgsLawine rollT: Wann immer die „Veolia Towers“ in der Wilhelmsburger Inselpark Arena spielen, ist die S-Bahn vom Hauptbahnhof Richtung Hamburgs Süden voller Fans. Die Halle für 3400 Zuschauer: ausverkauft. Spielen sie mal in der Barclays Arena, gehen über 12.000 Tickets weg. Immer mehr Jugendliche aus anderen Stadtteilen tragen „Towers“-Shirts oder -Kappen. Weitere Firmen werden zu Sponsoren, gründen Fanclubs im Unternehmen und machen Betriebsausflüge zum Spiel. Und fast alle jungen Basketballspieler wollen Teil der „Towers“-Family werden: 600 Mitglieder zählt der Verein, 500 Interessierte stehen auf der Warteliste. Es gibt nicht genug leere Sporthallen für die große Nachfrage.
Marvin Willoughby ist der Kopf hinter diesem Verein.
Als er und sechs Freunde 2006 damit begannen, in Wilhelmsburg Basketball für Kinder und Jugendliche anzubieten, hatte er gar kein zukünftiges Imperium geplant. Er wollte nur Sozialarbeit leisten und nach seiner Zeit als Basketballnationalspieler den Stadtteil unterstützen, der im restlichen Hamburg gern mal vergessen wurde. Er selbst ist dort aufgewachsen, mit seiner Schwester bei einer alleinerziehenden, Vollzeit arbeitenden Mutter. Trotzdem war das Geld zu Hause manchmal so knapp, dass ihnen Strom und Wasser abgestellt wurden. Er bekam früh mit, was Hamburger auf der anderen Seite der Elbe über Wilhelmsburg dachten: der Fleck für Sozialhilfeempfänger, Stechereien, Migranten. Dahin wollte er zurück und etwas Positives aufbauen – Kinder zu Teamfähigkeit, mehr Konzentration und Bewegung führen, ihnen das Gewinnen und Verlieren beibringen und warum es wichtig ist, Regeln zu akzeptieren. Also investierte er einen Teil seines Verdienstes aus seinen Profijahren und bat Freunde, Bekannte, auch Unbekannte, sein Projekt „Sport ohne Grenzen“ mit je 50 Euro zu unterstützen.
Es folgten mehr Camps, erste vom Verein durchgeführte Schul-AGs, freie Basketballtage für jeden, dem
etwas Schönes im Leben fehlte. Und irgendwann die ersten Mannschaften. 2013 gründeten Marvin und Jan Fischer vom einstigen Starterteam die „Towers“, 2019 schaffte es der erste „Towers“-Kader in die Bundesliga – und geht seitdem nicht mehr da weg.
Klingt im Nachhinein wie eine logische Abfolge, doch davor liegen jede Menge Mut, Durchhaltevermögen, auch etliche schlaflose Nächte. Wie viele Stunden Marvin für seinen Verein pro Woche arbeitet, weiß er nicht. „Ich hab längst aufgehört zu zählen“, sagt er. „Aber das ist für mich ja auch nicht irgendein Beruf, das ist mein Leben.“
Was das bedeutet, bekommen wir schon beim Planen des Shootings mit: Ein freier Termin ist schwer zu finden. Und: „Können die Stunden für die Fotos reduziert werden?“ Als wir uns dann treffen, nutzt Marvin jede freie Minute zwischendurch zum Arbeiten. Er telefoniert, mailt, lacht kurz in die Kamera, bespricht nebenbei eine Werbekampagne. Man hat das Gefühl, durch seinen Kopf jagen die Aufgaben in ICE-Geschwindigkeit. Trotzdem ist er zugewandt und im Moment, wirkt nicht gestresst und hat im Vorbeigehen noch ein paar nette Worte übrig für den Maler, der gerade eine Wand im Treppenhaus der Inselpark Arena verschönert hat.
Anderen Respekt zeigen ist eine Grundeigenschaft, die Marvin von jedem Vereinsmitglied verlangt. „Bei uns arbeiten sehr viele Menschen, damit das hier funktioniert. Wenn Spieltag ist, sind es über 150 Leute. Die Profispieler sind der Leuchtturm nach außen, aber niemand der Spieler sollte denken, dass er wertvoller ist als der Hausmeister oder jemand im Büro. Sonst reagiere ich allergisch.“ Die ganze Gesellschaft als Team zu sehen, das wird dem Nachwuchs bei den „Towers“ ganz schnell beigebracht.
Die reisen viermal die Woche zum Training aus ganz Hamburg, Stade oder Bremerhaven an. „Längst nicht jeder davon schafft es bei uns zum Profi, aber es werden immer mehr“, sagt Marvin. „Justus Hollatz,
einst bei den ,Towers‘, ist heute Weltmeister. Andere spielen in Nationalmannschaften oder bei uns im Profikader. Aber auch alle ohne Basketballkarriere nehmen hier hoffentlich was mit fürs Leben:
Sie lernen, wie man an einem Ziel dranbleibt, auch nach Rückschlägen aufsteht. Das macht die Spieler später höchst interessant für jedes Unternehmen.“
Marvins Kinder, zehn und elf Jahre alt, spielen natürlich auch Basketball. „Mal sehen, ob sie das auf Dauer weitermachen wollen. Wer Leistung spielt, muss so viele Opfer bringen. Wenn ja, werde ich sicher nicht wie diese überengagierten Eiskunstlaufmamas. So was sollte niemand für seine Eltern machen.“
Die Profis der „Towers“ landeten in der letzten Saison auf Platz 13 von 18 Mannschaften, auch bedingt durch unplanbare Verletzungen. „Mit mehr Budget könnten wir aber ganz oben angreifen“, sagt Marvin. Deshalb redet er schon seit sechs Jahren mit Investoren und der Stadt über den Elbdome, eine Riesenhalle, geplant gegenüber vom „abgebrochenen Olaf“. Marvin gibt nicht auf, bis der Koloss steht. Fertig sein soll er, Olympia hin oder her, 2032 – mit Platz für 9000 Zuschauer und mehr Fläche für Werbekunden. Neuer Ausstatter der „Towers“ ist übrigens Nike. Schon vor der Halleneröffnung möchte Marvin zusätzlich eine Leistungssparte für Damen aufbauen.
Ihr Name steht jetzt schon fest: die „Tow(h)ers“. Gefragt danach, worauf er heute besonders stolz ist, redet Marvin nicht von der Bundesliga, seiner Bundesverdienstmedaille oder dass der Verein jedes Jahr mit den sozialen Angeboten mehr als 6500 Kinder in Hamburg erreicht. Auch nicht von besonders gelungenen Deals, wie den Neuzugang Zacharie Perrin aus Frankreich, U20-Europameister und bester Spieler des Turniers. Marvin fällt stattdessen ein Rentner-Ehepaar ein, das nach einem Profispiel vor der Halle auf ihn wartete und sagte: „Bisher war Wilhelmsburg für uns ein weißer Fleck auf der Karte. Durch
die ,Towers‘ sind wir über die Elbe gefahren, waren hier essen, hatten tolle Stunden beim Spiel. Und wir möchten uns dafür einfach bei Ihnen bedanken.“
Vielleicht hat sich damit Marvins größter Wunsch erfüllt: dass der Süden Hamburgs jenseits der Elbe nun für etwas ziemlich Cooles steht.









