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Ulf Werner

PREDIGER

Er kann laut, der Punkpastor aus Altona. Arbeitete im Hafen, war Barkeeper auf dem Kiez und ist Bandmitglied von Rantanplan. Jetzt predigt er in der Kirche der Stille – aber ganz leise.

Text: Michael Schophaus | Fotos: Anatol Kotte

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Mein Gott, es ist der Glaube, na klar; er ist ja Pastor, gehört sich doch auch so. Aber wenn Ulf Werner von dem da oben spricht, spürst du, wie steinig der Weg zu seinem Vorgesetzten war. Er sagt das lächelnd, fast zart, dass er dazu keine Bibel braucht, keine blöden Sprüche und schon gar nicht irgendeine Backe, die er gefälligst auch noch hinhalten soll. Es war das verrückte Leben, wie er es nennt, das ihn zu ihm führte: in Spelunken auf dem Kiez, wo er hinterm Tresen stand, Säufern beim Trinken zuhörte oder arme Seelen tröstete, die ihm morgens um drei lallend ihre Sünden beichteten. Da roch es nach Schnaps, nach Lust und nicht nach Weihrauch. Die Nacht lachte, sie weinte, man stritt und küsste sich; abgehoben in die Ewigkeit, nannte er das später mal in einem seiner Songs. Er mochte diese tiefen Momente, weil sie ihm Liebe, Vertrauen und Treue beibrachten, die für ihn viel größer waren als er selbst. Gott muss passieren, merkte er, er kommt übers Gefühl, nicht über Worte.

Er fühlte ihn schon lange vorher, zum ersten Mal beim Rudern auf dem See, der Nebel lag wie ein helles, leichtes Tuch über dem Wasser, und halleluja, selbst wenn es jetzt sehr kitschig klingt, meint er, da war plötzlich so was Weiches, das seine Wunde wie ein sanfter Regen kühlte. Er war gerade sehr wütend auf die Welt, auf sich, ach was, einfach auf alles. Hatte die Schule in Stuttgart geschmissen, fühlte sich nicht verstanden und seine Eltern, die beide Zahnärzte waren, hatten ihn auf ein Internat am Bodensee geschickt. Ulf Werner fand dort nicht, was er suchte. Quälte mich so durch, sagt er, nur gut, dass ihm der Glaube blieb. Er machte Musik, spielte Trompete, und in Lindau wurde er Mitglied einer Punkband, die Paar aufs Maul hieß. Na ja, Musik ist jetzt ein großes Wort, es war wohl eher diese wunderbare Energie, die sie bei ihrem albernen Krach spürten – und ihren Gitarristen, der eigentlich ganz gut war, mussten sie oft stark angeheitert auf die Bühne zerren. Die erlösende Kraft der Kunst, schrieb jemand über diese bigotte Chaostruppe.

Irgendwie schaffte er sein Abi und erhielt ein Stipendium am Evangelischen Stift Tübingen, an dem schon Hegel studierte; stürzte sich eifrig in die theologischen Lehren eines gewissen Schleiermachers,
der Religion als Sinn fürs Unendliche verstand. Aber für Ulf Werner wurde auch diese Zeit wieder nur endlich. Er floh vor der geballten Geisteskraft nach Hamburg, wollte das Leben wieder mit den Händen spüren. Schuftete im Hafen, im Gefängnis und schüttelte die Drinks in schummrigen Kaschemmen an der Reeperbahn. Die Nacht war seine Familie, die ihm oft fehlte, und die Kneipen wurden sein Wohnzimmer, in dem er sein durfte, wie er wollte. Aus seiner Wohnung heraus konnte er auf das berühmte Nuttenviertel der Herbertstraße gucken, manchmal sah er Dominas in Strapsen, wie sie ihre Freier an der Hundeleine mit der Peitsche in der Hand spazieren führten.

Dann wurde es selbst sehr dunkel bei ihm. Der Kopf war schwer, die Gedanken schmerzten, er konnte nicht schlafen, nicht essen, hatte sich wieder für Theologie eingeschrieben, litt unter großer Prüfungsangst, aber die Uni sah er meist sowieso nur von außen. Er drehte sich im Kreis, brauchte was gegen den stumpfen Schwindel seiner Depression und ging zum Arbeiten auf einen Hof in der Nähe von Kassel. Wohnte in einem Bauwagen, studierte soziale Arbeit, sog sich gierig die Natur in die Lungen und fühlte sich Gott bald wieder nah.

Lange dauerte es, bis er endlich wusste, was er wirklich wollte. Zurück nach Hamburg, wo das Leben tobt, die Zukunft lebt, und Pastor einer eigenen Gemeinde werden. Wie ein Blitz kam es über ihn, als er frühmorgens an der Fulda joggte, plötzlich konnte es ihm nicht schnell genug gehen, nur weg. Sprang in den Fluss, weil ihm die nächste Brücke zu weit war, um den Hof zu erreichen. Nur mit Mühe schaffte er es ans andere Ufer, seine nassen Klamotten hätten ihn fast unter Wasser gezogen. Meine Taufe, sagt er, seine klebrige Angst hatte sich dabei weggewaschen. In Hamburg beendete er sein Studium mit Eins. Half bei der großen Flüchtlingswelle, betreute drogenkranke Obdachlose. Als Corona vor allem alte Menschen einsam machte, fuhr er mit dem Lastenrad auf die Höfe der Heime, ballerte knallbunte Bälle aus einer Kanone und trompetete Lieder zum Mitsingen für die Bewohner auf den Balkonen. Und immer, wenn ihm Zeit bleibt, geht er mit seiner Punkband Rantanplan in die Clubs, sie ist mittlerweile Kult in der Stadt. Sie singen Lieder, die von der Verbundenheit des Rausches erzählen. Eine Zeile von ihm geht so: Dann nutze den Druck, den du schluckst jeden Tag. Die Last, die du schleppst, macht dich stärker als stark.

Jetzt ist er Pastor der Nordkirche. Hat eine Familie gegründet, Frau, Zwillinge, sieben Jahre alt, er fühlt sich angekommen im verrückten Leben. Seelsorge, Totenfeier, Gottesdienst, das volle Programm. Und der Kiez ist auch nicht weit, wenn er sich im „The Chug Club“ von seiner Freundin Betty Kupsa eine Wilde Sehnsucht aus Tequila, Limette, Cola und Salz mixen lässt. Der Drink heißt wie sein neues Buch, das von Punk und Predigt erzählt. Fast jeden Tag ist er in der Kirche der Stille von Altona. Hält einfach mal die Klappe, sitzt im Stuhlkreis um eine heilige Mitte herum, klopft sehr ernst gegen Klangschalen und alle wollen ihr eigenes Schweigen hören. Aber von draußen hört man dann doch die Autos der Stadt. Leben eben.

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