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Der Gute-Laune-Kahn
FRAU HEDIS TANZKAFFEE
Die Barkasse „Frau Hedis Tanzkaffee“ ist Hamburgs berühmtester schwimmender Club: Statt der üblichen Touri-Durchsagen und Witzchen gibt es bei dieser Hafenrundfahrt Lampionketten, eine Discokugel, Bänder mit Bömmelchen und Musik zum Armehochreißen.
Text: Andrea Hacke | Fotos: Fabian Glawe
Diesen Artikel finden Sie in Ausgabe 67
Kommen Sie rein, fahren Sie mit! Derartige Kobererrufe hat „Frau Hedis Tanzkaffee“ nicht nötig. Die urige Barkasse mit Bar und DJ oder sogar einer Live-Band an Bord gleitet seit 2003 regelmäßig über die Elbe – und ist mittlerweile so beliebt, dass Online-Tickets früh gebucht werden müssen. Start ist immer an Landungsbrücke 10, im Rücken der Fischbrötchen. Letzten Sommer waren bei 35 Veranstaltungen im Monat vielleicht vier Tickets nicht verkauft. Das Konzept läuft.
Kein Wunder: Die „Hedi“ schafft, was heute immer seltener zu gelingen scheint – einen wunderbar leichten Abend unter lauter Unbekannten unterschiedlichster Herkunft. Und sie ist ein Garant für gute Stimmung. Wenn die geschmückte Barkasse mit ihren Plastikblümchen, der Discokugel, lauter Musik und den feiernden Menschen durch den Hafen fährt, ist etwas Schönes zu beobachten: Auf den Brücken, unter denen die „Hedi“ hertuckert, bleiben Paare stehen und tanzen spontan mit, Polizisten winken hinunter, alle Zuschauer lachen und denken wohl insgeheim: „Mist, wär’ ich mal mit da drauf!“
Andreas Schnoor, Gründer des „Molotow“ und auch mal Betreiber des „Knust“, hatte vor über 20 Jahren die großartige Idee, eine Barkasse in eine schwimmende Disco zu verwandeln. Seine Freunde rieten ihm ab: „Damit gehste pleite.“ Das Gegenteil ist passiert. Heute ist „Frau Hedis Tanzkaffee“ in der Saison von März bis November je nach Programm mal Tanzpalast, Konzerthalle oder Lesebühne. Die Partynächte tragen nette Namen wie „Fick dich ins Knie, Melancholie“.
Musikalisch gibt es mal Datscha-Mucke, mal Adriano-Celentano-Songs, Fahrten für Sankt-Pauli-Fans, House-Runden am Nachmittag sowie deutlich lautere Nächte für die Punks. Oder es geht auf Sundowner-Party mit DJ Malinka. Sie spielt internationale Musik aus der Türkei, Polen, dem Iran, aus Belgien und den USA. Immer mit Drive und zum Mitwippen. Es kommt dabei zu interessanten Entwicklungen: „Cool, jetzt ist mein Wirbel wieder eingerenkt“, ruft zum Beispiel eine Tanja, angereist aus Köln, während sie in der Schiffsmitte ihre Hüften kreisen lässt.
„Ich liebe es, wenn zu meiner Musik möglichst viele Hautfarben vor mir tanzen“, sagt DJ Malinka, selbst in Polen geboren und als Zweijährige mit ihren Eltern nach Deutschland geflohen. „Meine Mutter ging damals in eine Sprachschule, und ich habe dadurch alle möglichen Kulturen kennengelernt: aus Indien, Nigeria, von den Philippinen. Damals durfte ich überall mitessen und Musik aus all den Ländern hören. Für mich war das das Schönste. Ich glaube: Wenn man zusammen tanzt, sich kennenlernt und keine Angst mehr vor dem Fremden hat, gelingt Zusammenhalt.“ Etwa 20 Veranstaltungen macht sie auf der „Hedi“ pro Jahr. Ihr gefällt die Arbeit an der frischen Luft und das Stammteam hinter den Veranstaltungen, je nach Saison sechs bis 20 Mann stark: „Das ist eine linke, alte Punkerszene, aber auf ’ne süße Art.“
Die Gesinnung im Hintergrund erklärt, warum die vierstündigen Fahrten am Wochenende nur 14 Euro kosten und unter der Woche auch mal zehn. „Wir wollen, dass sich die ,Hedi‘ alle Hamburger leisten können“, sagt Hussein Tams, nennt sich selbst Hedis Presseonkel. Finanzieren können sie sich davon nicht. Zum Glück gibt es die Bar an Bord – und die etwa 105 Gäste ab 18 Jahren aufwärts haben meist Durst. Die Besatzung achtet darauf, dass sich auch nach Alkoholgenuss alle Gäste wohlfühlen. Wer sich nicht benimmt, muss leider aussteigen.
„Ernsthaft passiert ist in all den Jahren aber nie was“, so Hussein. „Nur einmal ist jemand nach einer Wette bei laufender Fahrt in die Elbe gesprungen. Der war betrunken und gleichzeitig ein bisschen blöd. Schlechte Kombi. Aber wir konnten ihn retten. Das geht natürlich gar nicht.“
Zur Sicherheit darf sich deshalb niemand auf die Bänke der „Hedi“ stellen. Und beim Aussteigen steht immer jemand aus dem Team bereit, damit nicht aus Versehen ein Gast zwischen Schiff und Anleger ins Wasser fällt. Früher ist auch das mal passiert, obwohl da nur fünf Zentimeter Lücke sind! „Dafür braucht man schon eine besondere Begabung“, fasst Hussein es trocken zusammen.
Insgesamt sind diese Fälle die große Ausnahme. Die Menschen hier wollen Spaß haben und kommen nicht, um sich danebenzubenehmen. Für die Hamburger ist die „Hedi“ weit mehr als ein schnödes Schiff, eher eine Institution mit Seele, die es zu schützen gilt. Stammgäste nennen die Barkasse häufig „Tante Hedi“, als würde sie zur eigenen Familie gehören. Die soll nie mehr weg.
Wer im schwimmenden Club rauchen möchte, geht meist freiwillig ans Heck, den stets offenen Teil des Schiffs. Zumindest in den kalten Monaten, wenn im vorderen Bereich Dach und Fenster geschlossen sind und die Barkasse beheizt wird. Bei Sonne wird die „Hedi“ zum Open-Air-Schiffchen mit geöffnetem Dach und Fenstern. Dann weht beim Feiern immer ein angenehm leichter Wind. Es gibt keine schönere Hafenrundfahrt.
Je später der Abend, desto unbekannter werden die Strecken. Jeder Kapitän fährt anders, aber in der Regel gilt: Geht es erst Richtung Övelgönne und vorbei an der Elphi Richtung Speicherstadt, folgen zu späterer Stunde die Fahrten in den unbekannteren Teil des Hafens. Hin zu den Containerriesen wie der „MSC Alexandra“ aus Panama, der „Aida“, falls der Wolkenkratzer zu Wasser gerade in Hamburg stoppt, oder den beleuchteten Hafenkränen, die auch nachts quietschend ihre Arbeit verrichten. Manchmal gibt es für die Party-People sogar einen Blick auf die beleuchtete Köhlbrandbrücke.
Wer sich bis dahin noch nicht in Hamburg verliebt hat, wird es auf dieser Tour tun. Heute, mit dem Fotografen und mir an Bord, ist Ralf der Kapitän des Schiffs. Kurz darf ich ausnahmsweise mit in sein Steuerhaus. „Diese Ruhe“, sagt er und blickt nach jahrelangen Fahrten durch den Hafen immer noch begeistert in die Dunkelheit. „Jetzt fahren wir nach den ganz wenigen Lichtern, die man noch sieht.“
Hinter uns, getrennt durch eine Scheibe, wummern die Bässe, die Menschen schwitzen und johlen, neue Freunde liegen sich in den Armen oder prosten sich lachend zu, aber hier beim Käptn steht die Welt ein wenig still. Ralf strahlt Souveränität aus. Selbst bei deutlich mehr Wellengang würde ich mir jetzt keine Sorgen mehr machen.
„Die Barkassen sind sicher“, erklärt er mir. „Für den Notfall gibt es unter allen Bänken rund um die Tanzfläche auch Rettungswesten. Aber in 21 Jahren ist nie was passiert. Außer vielleicht mal ordentlich Wasser von der Seite, wenn ein großes Schiff etwas zu schnell an uns vorbeifährt.“
Am DJ-Pult ist auch für den Fall vorgesorgt: Plattenspieler oder CD-Player stehen auf einer mitschwingenden Konstruktion, sodass bei Bewegung nicht gleich die Nadel springt und die Platte zerstört. „Größer ist die Gefahr, wenn ich bei einem plötzlichen Hoch und Runter eine CD fallen lasse“, erzählt Malinka. „Falls die dann zwischen die Planken des Schiffs fällt, ist sie weg. Kam anfangs manchmal vor. Für die Stimmung sind ein paar Wellen aber gut.“
Das kann bei viel Wind oder Flut mal vorkommen. „Wir fahren bei jedem Wetter, solange es die Sicherheit erlaubt“, sagt Hussein. „Auch bei Gewitter. Ich finde es sogar besonders romantisch, wenn es im Nachmittagslicht regnet.“
Die einzige Trauerphase tritt im Winter ein oder wenn zur jährlichen Sonderfahrt an Silvester die Elbe mal zufriert: Nur dann macht die „Hedi“ ein Päuschen, und es ist kurzfristig Schluss mit lustig.