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Porträt –

Elbfischer

 

 

AUTOR: DAVID POHLE

FOTOS: CHRISTINA CZYBIK

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 41

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10.20 Uhr, ich bin noch zehn Minuten zu früh. Treffpunkt ist der Fischladen der Buckows am Wisch zwischen Deich und Obstbaumplantagen, Jork, Altes Land. Rosamunde Pilcher würde 
es lieben. Noch ist nichts los, ein spätsommerlicher Mittwoch. Nur der stolze Parkplatz zeigt schon mal Größe. 


„Kommen Sie pünktlich“, für einen schreibenden Städter sei die Zeit ja ganz passabel, hatte 
Frau Buckow am Telefon gesagt. „Und denken Sie dran, auf dem Wasser ist es fünf Grad kälter.“ Wann gefischt wird, bestimmt hier von jeher die Tide. Seit 1648, Europa lag nach 30-jährigem Krieg in Trümmern, fischen Buckows. Zunächst in der Ostsee, nach dem Zweiten Weltkrieg flüchteten sie hier an das Ufer der Elbe. Ein paar Stufen den Deich hoch. Schafe und ihre Scheiße. 
Oben, die Deichkrone. Eine Bank für den Blick 
auf die Elbe. Gegenüber der Jachthafen von 
Wedel, davor mitten im Strom das unbewohnte Paradies Hanskalbsand, dahinter der mondäne Süllberg von Blankenese. Ein Gigant der Hamburg Süd schiebt Richtung Nordsee in die Welt. Rechts Airbus, noch dahinter blitzt die Elbphilharmonie in der Morgensonne.


Lothar Buckow hat einen Ruf und keine Angst vor großen Namen. Davon kann man im Hamburger Rathaus ein Lied singen. Mein zur See fahrender Vater hätte jemanden wie ihn Salzknochen genannt. Voller Respekt für ehrliche, harte Arbeit, die inzwischen überall seltener wird. Ins grelle Licht blinzelnd, stelle ich mir Buckow wie Jack Londons Seewolf vor, groß und stark. Rohe Kartoffeln mit der bloßen Hand zerquetschend. Knurrig und kantig.  
Sein Lieferwagen stoppt auf Schotter, 
Buckow springt aus dem Auto, sonnengegerbt, drahtig, weiße Haare, streckt freundlich und 
mit offenem Blick seine knochige Hand aus: „Ich bin Lothar, wir duzen uns besser.“ Nun, kein Seewolf, aber handfest. Minuten später klettern wir im Hafen von Neuenschleuse eine sehr steile Leiter hinunter, wo zwischen schmucken Jachten Buckows spartanisches Motorboot „Luca“ liegt. 25 kraftvolle PS hängen 
hinten dran, damit gehen wir auf Aal. Erst wenn der Stint da ist und damit nicht vor Oktober, 
„da kann man nicht die Uhr nach stellen“, meint Lothar, kommt der kleinste Fischkutter der Elbe – die „Elise“, nach Richard Clayderman, manche würden nach Beethoven sagen, die südlich Hanskalbsand vor Anker schwoit – zum Einsatz. 


Die Gegend ist wunderschön. Es ist Niedrigwasser, und das Watt ist voll mit Gänsen, 
Enten, Reihern und ein paar dicken Seehunden, 
die lässig ins brackige Wasser rutschen, 
als wir näher kommen. Die große Ruhe, Einsamkeit auch, die Buckow so liebt. Den Schlick mit seinem eigenen Duft müsste man in Dosen füllen und im Hafen verkaufen. 
Auf dem Weg zur ersten Reuse will ich ihn nach seinen Knochen fragen, aber Lothar, kurz die Hand vom Gas nehmend, meint: 
„Sprechen tun wir, wenn ich die Aale berge.“ 
„Muskelathrophie“, sagt Lothar und birgt die erste Reuse. „Ich habe immer gefischt, aber anfangs hatte ich wohl nicht den Mumm, nur zu fischen.“ Einer Einzelhandelslehre folgt ein Studium für Software Engineering. Und ein Termin bei einem Professor im UKE, dem Universitätskrankenhaus von Hamburg. „Der sagte 
mir, wenn ich mache, was ich gerade lerne, würde ich zwar nicht sterben, aber mit 50 – Hand drauf – im Rollstuhl sitzen.

Bewegung sei gut, frische Luft auch. So wurde ich quasi Zwangselbfischer. Als der Professor das erfuhr, schlug er die Hände vors Gesicht. Immer nass, meistens kalt, das hatte er sich anders vorgestellt. Aber viel, ach, Welten besser als die Alternative. Jetzt bin ich 61 und fühle mich 
gut und stark.“ 


Den Beifang, viele Krabben, kleine Zander, Brassen, zu junge Aale, schaufelt Lothar über Bord, so nah der Bordwand, dass die kecken Möwen sich nicht trauen. Höchst empört ihr Meckern. Lothar hofft, dass er den einen oder anderen Fisch – die Aale sowieso – in fangbarer 
Größe eines Tages wiedertrifft. Motor, Fahrtwind, Schweigen. Große Ruhe trotz Außenborder. Die nächste Reuse, kurz hinter der JVA von Hahnöfersand. „Schau dir das an, das ist eine Ausgleichsfläche für die Löffelente, die im Zuge der Airbus-Erweiterung entstanden ist. Viele Tausend Bäume haben die gefällt, einfach so. Jetzt ist sie schon verschlickt. 
Der Löffelente ist das ohnehin egal gewesen. 
Die ist jetzt irgendwo, aber nicht hier.“ Ein Aal erfreut den Fischer besonders, er ist 
unterarmdick. „Hier sind so viele Aale wie seit Jahren nicht, die Hälfte ist zwar noch zu klein, aber das kannst du mal aufschreiben: Lothar Buckow sieht die Zukunft positiv.“ Der letzte Elbfischer ist unkaputtbar. Mit anderen hat 
er gegen die Elbvertiefung geklagt, war in Leipzig vorm Bundesverwaltungsgericht, wo der oberste Richter gleich zu Anfang Butter 
bei die Fische gab: „Natürlich kommt die Elbvertiefung, Hamburg geht sonst den Bach runter.“ Lothar sah die Niederlage sportlich, wollte sich wenigstens mit Rat und Tat einbringen, aber in Hamburg sei man nicht gut auf ihn zu sprechen, sogar beratungsresistent. 


„Die Hamburg Port Authority macht jährlich Monsterverluste, allein für das letzte Jahr steht unterm Strich ein Verlust von 74 Millionen. Unter anderem weil die für 100 Mios Schlick baggern und ihn elbabwärts wieder in den Strom kippen. Was glaubst du, wo der bleibt?“ Lothar wartet gar nicht erst ab: „Richtig, 
der kommt zurück. Eine Gelddruckmaschine, 
wenn du Baggerunternehmer bist.“ Sein 
Vorschlag, den Schlick aus dem System zu nehmen und im Meer oder an Land zu lassen, ist bis dato ungehört. 
Nächste Reuse. Thema Stint. „1983 bin ich zum Baron gegangen, so hieß der Chef vom Hamburger Fischhändler Hagenah, habe ihn gefragt, ob er Stint will. Wie viel hast du, fragt der. Keinen, ich fang’ die frisch. Bring her, sagt er. Ich fing in drei Stunden 800 Kilo Stint, 
direkt hier vor der Hafenausfahrt. Ich musste Fleischkisten im Gasthof ,Kirschenland‘ für den Transport leihen. Will 2 Mark fürs Kilo, 
aber der Baron sagt, die sind so frisch, die zappeln ja noch, du kriegst 2,50 Mark und drückt mir aus seiner fetten Rolle Hunderter 
2000 Mark in die Hand. In diesen Jahren fischte ich 50 Tonnen Stint in drei Monaten, heute sind es nur noch fünf Tonnen, die wir alle – rund 18.000 Portionen – über unseren Fischladen verkaufen. Und ohne Stint keine Seeschwalbe. Und keine Tümmler. Das hängt alles zusammen. Aber die Natur findet auch immer einen Weg.“ 


Letzte Reuse. „Ich habe Rita am 11.11.1999 geheiratet. Sie ist so wunderhübsch. Immer noch. Geht gerade, ist so stolz. Ich dachte immer, irgendwann kommt ein Porsche-Fahrer und sackt sie ein. Aber sie wollte mich. 2006 hat sie den Fischladen eröffnet, weil sie sich so aufgeregt hat, dass andere unseren Fisch so teuer verkaufen.“ Ich kaufe noch einen Aal, geräuchert, Format Unterarm.  Ein paar Tage danach kommt ein Freund noch spät auf einen Absacker ins Haus. Hungrig sind wir. Ach ja, da ist ja noch der Aal. Pur. Weltklasse.

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