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Ansichtssache –

Speicherstadt

 

 

AUTORIN: SIMONE RICKERT   

FOTOS: BILDERWERK-HAMBURG.DE

Prachtvoll: Speicherstadt und Kontorhausviertel stehen für das rasante internationale Handelswachstum vor gut hundert Jahren. Im Juli 2015 wurde das Ensemble zum UNESCO-Welterbe ernannt

Eine Begehung unseres Hamburger Welterbes dauert circa eine Stunde und ist ein bisschen ehrfurchteinflößend. Dr. Verena Metze-Mangold, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission sagte es 2015 so: „Die Speicherstadt und das Kontorhausviertel vermitteln in einzigartiger Weise die maritime Industriearchitektur des Historismus und Modernismus. Ich freue mich sehr, dass das Welterbekomitee das Ensemble heute in eine Reihe mit den Pyramiden Ägyptens, dem Tadsch Mahal oder der Inkastadt Machu Picchu gestellt hat.“
 

Kontorhäuser: die Denkfabriken der Kaufleute
Beginnen wir am besten gleich mit dem berühmtesten der Hamburger Kontorhäuser, dem Chilehaus. Die wie ein Schiffsbug geschwungene Backsteinfassade auf der Ostseite war eine geniale Idee seines Baumeisters Fritz Höger. So etwas hatte es zuvor nicht einmal annähernd gegeben. Zwischen 1922 und 1924 errichtet, nutzte Höger für die Umsetzung seiner kühnen Formen die Möglichkeit, mit Stahlbeton zu bauen. Die Fassade jedoch wurde mit dem Hamburger Traditionswerkstoff Backstein gestaltet, den man sich mal im Detail ansehen sollte: Die rhythmische Anordnung ergibt, je nach Blickwinkel, wunderbare Muster und lässt das Gebäude von unten betrachtet noch monumentaler erscheinen als es ohnehin schon ist. Seinen Namen verdankt es seinem Bauherren Henry B. Sloman, der durch den Import von Salpeter aus Chile zu einem der reichsten Männer der Stadt geworden war. Viele kleine Im- und Exportfirmen besiedelten den bis zu zehngeschossigen Koloss. Die Nähe zur Speicherstadt war von großem Vorteil für die Händler und Broker, die ihre Waren dort von den Quartiersleuten lagern und Kaffee, Tee und Gewürze für den Verkauf veredeln ließen.
 

Speicherstadt und Kontorhausviertel: eng verbunden
Die Speicherstadt erstrahlt in neuem Licht Von der Poggenmühlen-Brücke aus sieht man den vielleicht meistfotografierten Blickfang der Speicherstadt: Dort, wo Wandrahmsfleet und Holländischbrookfleet ineinanderfließen, erhebt sich das Wasserschloss. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren hier die Windenwärter bei der Arbeit. Eine wichtige Berufsgruppe in der Speicherstadt, verantwortlich für das Warten und Reparieren der hydraulischen Winden, mit denen die Waren in die Speicherböden emporgezogen werden konnten. Sogar wohnen durften sie als eine von wenigen Berufsgruppen im Freihafengebiet, so wichtig war es, sie schnell zur Stelle zu haben. Wo heute keine Büroangestellten, sondern die alteingesessenen Händler ihrer Arbeit nachgehen, wird Ware noch immer so verladen, allerdings meist zur Straßenseite, auf Lkws.

Die traditionelle Kirche der Seeleute ist die Hauptkirche St. Katharinen, in der sogenannten Pufferzone, außerhalb des Welterbe-Kerngebiets, um zu verhindern, dass neue bauliche Maßnahmen das Antlitz des Welterbes verschandeln. Wir wandern den Neuen Wandrahm entlang. Ihren Namen hat die Insel, wie so viele Orte im historischen Hamburg, von einem heute vergessenen Gewerbe, das im 14. bis 17. Jahrhundert von großer Bedeutung war: Die Wandbereiter stellten Gewänder und Tuche her, die nach dem Walken und Färben auf großen Rahmen hier auf der Insel zum Trocknen aufgestellt wurden. Rund 18 000 Menschen haben im südlichen Teil der Altstadt gelebt, die für die Errichtung der Speicherstadt und des Zollkanals abgebrochen wurde. In drei Bauabschnitten wurde so zwischen 1885 und 1927 das größte einheitlich geprägte Speicherensemble der Welt geschaffen. Die Stadt brauchte dieses gigantische Gebiet, um ab 1888 das Freihandels-Privileg der Hamburger Kaufleute zu erhalten. Erst 2013 wurde die Zollgrenze und damit der Freihafen aufgelöst. Die Speicherstadt war bereits seit 2003 aus diesem Gebiet herausgelöst, um den Weg für die Jahrhundertprojekte Elbphilharmonie und Hafencity freizumachen. Die historische Gestaltung in neogotischer Architektur ist unverändert erhalten, und so soll es dank UNESCO-Welterbestatus auch bleiben. Unter Denkmalschutz steht die Speicherstadt schon seit 1991.
 

Kunstvoll in Szene gesetzt
Über die Sandbrücke. Blick auf den Kehrwiederfleet: links Speicher, rechts Speicher, ziemlich enger Fleet, es wird allmählich dunkel. Die Fassaden zur Wasserseite sind schmuckloser als zum Land hin, eher pragmatisch: Luken zu allen Böden, oben die Winden, wettergeschützt durch ihren kleinen Dachvorsprung. Dass auch diese Seite der Speicherstadt am Abend ihren Charme entfaltet, ist der kunstvollen Beleuchtung zu verdanken, die auch jeden noch so kleinen Vorsprung vorteilhaft betont. Der Verein Licht-Kunst-Speicherstadt kümmert sich um die von Michael Batz erdachte Besonderheit. Die Fotografen liegen schon auf der Lauer, Touristen fragen, wann denn endlich das Licht angeht. Auch dieser Effekt wird damals einen Teil zur Entscheidung des UNESCO-Komittees beigetragen haben.

Im Fleetschlösschen ist ordentlich was los. Leute aus den schicken neuen Büros am Sandtorkai nehmen ihren Feierabenddrink gern vor historischer Kulisse. Auch so wird das Welterbe zum kulturellen Brückenkopf zwischen Altstadt und Hafen City. Von der Speicherstadt kommend, ist die Oberhafenkantine unter der hässlichen Bahnbrücke fast nicht zu sehen. Bisschen Schlagseite hat die einzige noch erhaltene Kaffeeklappe des Hamburger Hafens, aber sie steht. Hat Abrissplänen und Sturmfluten widerstanden und ist mit ihrer bodenständigen Ausstrahlung ein richtig schönes Stück Hamburg. Ohne sie wäre die Speicherstadt nicht komplett.

Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 31

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