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Mit zwei PS zurück in die Zukunft

DER PFERDERÜCKER

Text: Dagmar Gehm | Fotos: Christina Czybik

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 57

wie aus der Zeit gefallen. Zwei schwere Pferde ziehen einen langen Stamm durch den Laubwald im Niendorfer Gehege, das sich über fast 150 Hektar zwischen Niendorf, Stellingen, Eidelstedt und Schnelsen breitet. Begleitet von einem freiheitsliebenden Hund, geführt von einem Mann, der sein Handwerk versteht. Ein eingespieltes Team, unterwegs mit zwei PS. Doch der romantische Schein trügt. Als einer der letzten hauptberuflichen Pferderücker Deutschlands hat Kay Stolzenberg nicht nur gegen die Konkurrenz in Form von schweren Maschinen zu kämpfen.

„Zurück, zurück, zurück“, fordert er die beiden Kaltblute auf und erhebt dabei kaum seine Stimme. Wäre der Begriff nicht schon vergeben, könnte man Stolzenberg als Pferdeflüsterer bezeichnen. Gehorsam gehen Schimmel und Fuchs ein paar Schritte rückwärts, nur sanft von ihrem Besitzer an der Trense geführt. „Ich probiere den gefühlvollen Kontakt zum Pferdemaul zu behalten, da man im Wald schnell stolpern kann und dabei an den Leinen zerrt“, sagt der 48-Jährige. Nur etwa 30 Pferde- oder Holzrücker gibt es noch in Deutschland, zwei hauptberufliche in ganz Norddeutschland. Laut Interessen­gemeinschaft Zugpferde e.V. (IGZ) allerdings wieder mit steigender Tendenz.

Vielleicht liegt Stolzenberg, der in Hamburg aufgewachsen ist, der Umgang mit Tieren in den Genen, da sein Großvater Hunde und Pferde in Ostpreußen ausgebildet hat. Nach der Schule machte Kay erst mal eine Lehre zum Tischler und arbeitete danach noch drei Jahre als Geselle. „Das war mir aber auf die Dauer zu langweilig. Deshalb ging ich für zwei Saisonzeiten nach Finnland, um Schlittenhunde zu trainieren. Das war der Anfang vom Ausstieg.“ Da wurde ihm klar, dass er nicht mehr in seinen alten Beruf zurückkehren wollte. Stattdessen nahm er die Chance wahr, in einer Demeterhof-Gemeinschaft in der Nordheide in dem angeschlossenen Waldprojekt Wörme zu arbeiten. Danach kaufte er sich ein Pferd, absolvierte eine Ausbildung als Waldarbeiter im Harz und brachte sich selbst bei, wie man als echter Pferderücker in die Hufe kommt.

Pflügen wie zu Großvaters Zeiten – diesen Spruch mag Stolzenberg nicht gern hören. Denn inzwischen sieht er die Dinge von einer anderen Warte aus. Weil bei der Waldarbeit oft grob mit der Natur umgegangen wird und deshalb der Einsatz mit Pferden die schönste und schonendste Weise ist. „Ich möchte die Menschen wachrütteln und sagen: Es geht auch anders.“ Das weiß auch Sven Wurster, seit 2007 Revierförster im Niendorfer Gehege, der seit seinem Amtsantritt den Holzrücker jedes Jahr in der vegetationsfreien Zeit im Winter angefordert hat: „So ein Pferdeeinsatz hat sehr, sehr viele Vorteile, denn er verursacht kaum Schäden im Boden und am verbleibenden Baumbestand. Auch darf eine Maschine nicht kreuz und quer durch den Wald fahren, weil sie mit ihrem Gewicht alles verdichtet und dem Sauerstoff im Boden Kapillare abdrückt, die die Wurzeln benötigen. Außerdem muss die Maschine auf dem Weg bleiben und darf nicht zum Baum fahren. Damit sie die Stämme trotzdem rausholen kann, schrammt das erforderliche Stahlseil an den Bäumen entlang und verletzt sie, sodass Pilze eindringen können. Ein Pferd kann dagegen schön im Slalom um die Bäume herumlaufen.“

Fünf Pferde hält Stolzenberg in seinem „Kay Stolzenberg Forst & Pferdefuhrbetrieb“ im niedersächsischen Zernien. Ins Niendorfer Gehege ist er per Lkw mit dem siebenjährigen Hengst Peer, einem Hannoverschen Kaltblut-Schimmel, und dem 14-jährigen Wallach Konrad, einem Schleswiger Kaltblut-Fuchs, angereist. Manchmal ziehen die Tiere hinter der skandinavischen Anspannung, die als sehr pferdefreundlich gilt, da sie keine Deichsel erfordert, auch einen von Kay selbst entwickelten Pflug. Baumstämme rücken – eine Millimeter­arbeit. Mindestens 20-mal hat der schwarze Rüde Bosco, der bei Peer und Konrad Duldungsrecht genießt, die Strecke zurückgelegt. „Wenn ich mit den Pferden schimpfe, nimmt er es persönlich und läuft weg“, schmunzelt Kay. „Leider musste ich ihn schon ein paarmal bei der Polizei abholen, weil er sich zu Kindern hingezogen fühlt und einfach mitgeht.“ Auch damit, dass ihn Spaziergänger ständig mit dem Handy filmen, muss er leben.

Stolzenberg hat gut zu tun, nicht nur in ländlichen Gegenden, sondern auch am Stadtrand. Wie im Niendorfer Gehege, wo er mit seinem Gespann Holzstämme aus tiefem Dickicht an den Wegrand rücken muss. Dass Pferde nur dort eingesetzt werden, findet er allerdings bedauerlich: „Die Stadt könnte da wesentlich mehr tun – vor allem um möglichen Nachwuchs damit zu motivieren, dass es auch Auftraggeber gibt. Denn Pferd und Maschine sind gleich teuer. Rund 70.000 Liter Diesel werden im Arbeitsleben eines Rückepferdes eingespart.“

„Wir haben einen stark besuchten Erholungswald“, sagt Sven Wurster. „Mit 60- bis 80-jährigen Beständen, die gut gepflegt werden müssen, damit auch unsere Enkel noch etwas davon haben. Wenn wir die Bäume im Vorfeld fällen und beim Abtransport durch diese durchtrainierten Hochleistungssportler dann wieder Ruhe im Wald herrscht, ist das für alle sehr angenehm.“ Mit dem Pferderücker hat die Försterei jetzt
einen Rahmenvertrag ausgehandelt. Auf jeden Fall wird Kay Stolzenberg mit seinem Gespann irgendwann zwischen Oktober und März wieder im Niendorfer Gehege arbeiten, in Nischen,
die keine Maschine schafft.

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