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Most wanted

FILMFÖRDERUNG HAMBURG SCHLESWIG-HOLSTEIN
HELGE ALBERS

Text: Till Briegleb |
Fotos: Giovanni Mafrici

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 47

Das Treffen mit Helge Albers findet in einem Haus mit düsterer Vergangenheit statt, das ein paar Exorzismusakte brauchte, zuletzt durch den Film. Das heute Brahms Kontor genannte Verwaltungsgebäude gegenüber der Musikhalle wurde nämlich 1929 vom Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) in Auftrag gegeben. Und das war eine stramm antisemitische Interessenvertretung für Angestellte. Juden wurden nicht aufgenommen, Frauen auch nicht. Mit diesem bösen Selbstverständnis durfte man damals aber eine neue Stadtkrone planen. Ein expressionistischer Wolkenkratzer als Torhaus über dem Holstenwall sollte es werden. Früher brauner Größenwahn in kerndeutschem Stil. Selbst die abgespeckte Version des Verbandssitzes der Rechtsradikalen, wie sie 1931 entstand, war noch das höchste Haus der Stadt. Nur die Kirchtürme ragten drüber hinaus.

Der Geschäftsführer der Filmförderung Hamburg und Schleswig-Holstein weiß von diesem Erbe nichts. Muss er auch nicht. Er stammt aus Potsdam, war Filmproduzent in Berlin und ist erst seit 1. April 2019 Chef der nordischen Filmsubvention mit Sitz an der Friedensallee. Selbst alte Hamburger wissen über die Vorgeschichte des Backsteinmonuments mit den grünen nackten Männern mit und ohne Elefant oft nichts. Aber gerade sie werden sich gefreut haben, als sie das wuchtige Gegenstück zum Chilehaus 2014 im Thriller „A Most Wanted Man“ von Anton Corbijn, dem letzten Film mit Philip Seymour Hoffman vor seinem Tod, als Hollywood-Kulisse erleben durften. Deswegen findet das Gespräch mit Helge Albers über die Hamburger Filmförderung, die im Juni ihr 40. Jubiläum feiert, genau dort statt, wo Willem Dafoe in der John-le-Carré-Verfilmung als Privatbanker residierte: im Konferenzbereich des Brahms Kontors. Hier wird Filmatmosphäre sofort lebendig – und begeistert genützt. Denn nachdem es von Bombenschäden unbestraft den Krieg überlebt hatte, verwandelte sich das braune Haus in einen Hamburger Identifikationsort. Ideologische Ausräucherung betrieben zunächst das Weltwirtschaftsarchiv, die Polizeizentrale, Helmut Schmidt, der 1962 von hier aus die Folgen der Sturmflut bekämpfte, und schließlich die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG).

Aber seit das Gebäude 2003 unter Denkmalschutz gestellt und später aufwendig saniert wurde, ist das prägnante Kontorhaus mit seiner opulenten Art-déco-Ausstattung ein favorisierter Drehort. Bauliche Filmförderung erster Güte. Vom „Tatort“ mit Til Schweiger bis zum „Tatortreiniger“ mit Bjarne Mädel, von der ARD-Produktion „Die Spiegel-Affäre“ bis zur Arthouse-Komödie „Leg ihn um“ von Jan ­Georg Schütte diente der Kopfbau in zahlreichen Filmen als stimmungsvoller Ausweis des Hamburger Lokalkolorits. Und dafür ist jetzt auch Helge Albers verantwortlich, ein „Lokalpatriot aus Affinität“, wie er sagt. Er muss nun Hamburger Interessen auch in Konkurrenz zu seiner langjährigen Heimatstadt vertreten. Allerdings ist der Regionalbezug bei einigen der größten Erfolge, die zuletzt aus dem 12,5-Millionen-Euro-Förderbudget unterstützt wurden, gar nicht erkennbar. Der Berlinale-Sieger 2020, „There Is No Evil“ von Mohammad Rasoulof, und „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt, die 2019 einen Silbernen Bären gewann, sind zwar Hamburger Produktionen, zeigen aber kein oder kein prägnantes Bild der Stadt. Deshalb gehört es zur wiederkehrenden Erklärungsnot eines Verantwortlichen für Filmförderung, plausibel zu machen, warum Streifen, die auf der Leinwand weder für die Stadt noch (seit der Fusion mit Schleswig-Holstein im Jahr 2007) für die Region werben, von Steuergeldern finanziert werden. Oder warum eine Hollywood-Produktion wie „Drei Engel für Charlie“, die immerhin eine wilde Verfolgungsjagd auf der Admiralitätstraße und in der Speicherstadt zeigt, dafür 400.000 Euro vom Staat bekommt. Und das obwohl hier ansässige Filmemacher die Erfahrung machen, dass „der größere Teil der Anträge auf Förderung abgelehnt wird“, wie Helge Albers zugibt, nicht ohne seine Gremien zu verteidigen: „Alle wirklich herausragenden Projekte, die wir auf den Tisch bekommen, fördern wir auch. Da müssen wir uns wenig Vorwürfe machen.“ Tatsächlich geht es bei staatlicher Filmförderung nicht nur um Imagewerbung.

„Wir haben den klaren kulturwirtschaftlichen Auftrag, die Branche am Standort zu entwickeln“, erklärt Albers. Eine Summe von 150 Prozent des Fördergelds muss hier von der Produktion wieder ausgeben werden. Das stärkt vom Cast bis zum Catering die örtliche Filmbranche und ist ein starkes Förderargument, selbst wenn im ganzen Film keine Sekunde Brahms Kontor zu sehen ist. Zumal diese staatliche Vorabfinanzierung, die es in den USA nicht gibt, internationale Produktionen anlockt. Deren Akteure werben oft auch weiter für diese unsere Filmstadt, denn, so der Patriot aus Affinität: Hamburg ist „ein extrem unkomplizierter Drehort“. Das sei als „Selling Point sehr wichtig“. Als kleinerer Player im Millionengeschäft Film, der nur halb so viel Geld wie Berlin und nur ein Drittel des Budgets von Nordrhein-Westfalen verteilt, bietet sich allerdings auch die Chance, vorlaut bei den richtigen Themen zu sein. „Wir sind in Hamburg Vorreiter im Bereich Grünes Drehen. Der Grüne Drehpass wurde hier 2012 erfunden“, lobt Albers seine Vorgängerinnen. Er selbst kämpft jetzt in einem nationalen Arbeitskreis für ein vergleichbares Bundeszertifikat, das weniger umweltschädliches Produzieren in dieser extrem energieaufwendigen und flugschmutzigen Branche belohnt. Nach einem Konzeptwochenende auf dem Land, das Albers nach Dienstantritt mit seinen 25 Mitarbeitern aus Hamburg und Kiel organisierte, um neue zukunftsgerechte Richtlinien für ihre Arbeit zu entwickeln, wurde der Drehpass noch um das Thema „Diversität“ erweitert. „Wir sehen uns in der Verantwortung, die ganze Gesellschaft abzubilden“, sagt Albers zur Einführung einer „Diversity Checklist“, mit der Antragssteller ab jetzt darstellen müssen, ob sie mit dem Thema „Vielfalt“ vor und hinter der Kamera bewusst umgehen.

„Gruppen der Gesellschaft, die bisher nicht genug repräsentiert sind, sollten durch die Filmförderung sichtbar werden“, fordert Albers. Wobei Hamburg bei diesen Themen bisher eine recht stolze Bilanz vorzuweisen hat, etwa bei der Geschlechtergerechtigkeit. Erhalten Frauen in Deutschland noch immer kaum besseren Zugang zu Fördergeldern als in der Weimarer Republik zum Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (nämlich laut ProQuote Film gerade mal neun Prozent), so ist die Verteilung in Hamburg zuletzt immer mindestens paritätisch gewesen. Aber Albers will Diversität nicht nur als Genderthema verstanden wissen, sondern ausgeweitet auf jeden Bereich möglicher Ungleichbehandlung, bis hin zur ­Kinoförderung im ländlichen Raum oder die Beachtung neuer Plattformen. Für die Unterstützung von Serienformaten, die bisher nicht möglich war, hat Albers zwei Millionen Euro zusätzliches Geld von der Stadt eingeworben, für die Hilfe bei Unterhaltungs- und Nachwuchsfilmen, die sich mit Norddeutschland befassen, eine Million von Warner Bros. Selbst Virtual-Reality-Projekte und Filme für Streamingdienste können zukünftig Geld beantragen, ohne dass das Kerngeschäft des anspruchsvollen Arthouse-Films darunter leiden soll. Und die Entscheidungsgremien tagen auch noch häufiger. Denn mit 40 Jahren ist man ja jung genug, um noch mal richtig Tempo aufzunehmen. Der neue Chef muss es wissen. Er ist nur wenig älter. Wenn das erste Jahr dann auch noch durch den Goldenen Bären der Berlinale gekrönt ist, dann hilft das einer kleinen Förderabteilung sicher auch auf ihren Vorreiterwegen. Es gäbe also viel zu feiern am Geburtstag im Juni, wenn da nicht diese Pandemie wäre, die auch die Filmbranche hart getroffen hat. Vielleicht muss die Zukunftsaufgabe also zunächst sein, beim Neustart nach dem Lockdown gerecht und innovativ zu sein.

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