Ansichtssache –
Vive la Hammonia
INTERVIEW: KARINA BOSTELMANN
BILDER: HINNERK BODENDIEK
FOTOS: NICO KRAUSS
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 44
Es soll Hamburgerinnen und Hamburger geben, die wissen nicht, wer die Hammonia ist. Vielen fällt es wieder ein, wenn man ihnen auf die Sprünge hilft. Magst du das übernehmen?
Hammonia ist eine alte Bezeichnung für Hamburg. Und zugleich ist Hammonia eine Allegorie, denn im 17. Jahrhundert begann man, sie in Gestalt einer Frauenfigur darzustellen. Finden kann man solche Figuren zum Beispiel in und am Rathaus oder auf der Brooksbrücke – dort steht die Hammonia auf einem Brückenpfeiler. Ihr gegenüber steht die Figur der Europa.
Auch du hast Hammonia in Gestalt einer Frauenfigur dargestellt. Genauer gesagt: in Form vieler Frauenfiguren, rund 30 an der Zahl. Wie kam es dazu? Erst mal war es gar nicht dazu gekommen, weil ich nicht in die Puschen kam. Es war so: Ich hatte 2013 die Einladung erhalten, in den Räumen der Handelskammer eine Ausstellung zu machen. Das ist eine Ehre, zugleich eine Herausforderung. Die Räume sind bekanntlich riesig. Das hat in mir einen gigantischen Druck ausgel.st. „Malen Sie Hamburg, das geht immer“, hatte der Kurator Heinz Spielmann mir vorgeschlagen. Wer mein Werk kennt, der weiß: Das hatte ich schon oft getan. Aber ich wollte keine fertigen Bilder ausstellen, es sollten ausschließlich neue Werke hängen. Weil ich so einen Respekt vor der Aufgabe hatte, war ich wie paralysiert, und die Monate verstrichen. 56 Tage vor Ausstellungsbeginn rief mich der Kurator an. Er fragte, wie viele Bilder ich schon hab’. Ich so: „Herr Spielmann, wir müssen reden.“ Sein Anruf kam an einem Mittwoch, am Freitag saß er bei mir im Atelier auf dem Sofa. Am Donnerstag bin ich mit dem Fahrrad samt Anhänger an die Elbe runter. Das Wetter war scheiße, wie sich das gehört. Da hab’ ich unter freiem Himmel zwei Bilder gemalt. Mit denen war ich zufrieden. Ich hab’ sie Spielmann vorgelegt und gesagt: „Die beiden hab’ ich. Davon kriegen Sie für die Ausstellung weitere achtzig Stück.“ Er hat das abgenickt und mir vertraut. Nach diesem Treffen legte ich los. Jetzt aber so richtig!
Und welche Hammonien waren auf diesen zwei ersten Bildern zu sehen? Keine! Und auch auf den nächsten zwei Dutzend Motiven war sie nicht dabei. Zuerst malte ich klassische Stadtmotive in Öl. Wenn ich erst mal dran bin, dann arbeite ich schnell. Zwei, manchmal auch drei Bilder schaff’ ich pro Tag. Irgendwann fing ich an, hier und da mal ein Porträt dazwischenzuschieben. Gedanklich suchte ich die ganze Zeit nach Themen, die total hamburgisch sind. Unter anderem malte ich ’ne Currywurst, auch wenn Hamburg und Berlin sich drum kloppen, wer die nun wirklich erfunden hat. Irgendwann kam ich dann auch auf die Hammonia. Sie war mir schon früher mal im Sinn gewesen, weil ich die Gemälde im Rathaus kannte. Anders als die Currywurst gibt’s die Hammonia nämlich wirklich nur hier in Hamburg.
Die Hammonien im Rathaus haben dich also inspiriert, selbst welche zu erschaffen?
Gewissermaßen. Die dortigen Damen stammen aus unterschiedlichen Epochen und verkörpern die Themen ihrer Zeit, zum Beispiel den Großen Brand von 1842. Es sind Frauenbilder, die jeweils dem Ideal des Künstlers und der Epoche entsprachen. Das fand ich toll und beschloss: Auch ich werde Hammonia mit unterschiedlichen Themen konfrontieren und sie so immer wieder neu erfinden. Mir kamen sofort zig Ideen, ich verfiel in einen regelrechten Hammonien-Wahn.
Man kennt dich als impressionistischen Künstler, doch auf Öl und Leinwand hast du bei den Hammonien verzichtet. Wie sind sie entstanden?
Erst im Kopf, dann am Computer. Ich überlegte mir, an welchen Orten der Stadt ich mir Hammonia gut vorstellen kann. Dann dachte ich drüber nach, wie ich sie dort darstelle. Manchmal war’s sofort klar, wie bei der Strandperle. Unbedingt sollte die Hammonia sich in Oevelgönne an den Hang schmiegen. Weil ich die Szenerie als Segler so gut kenne, war die Perspektive – vom Wasser aus schauend – ein Selbstgänger. Bei anderen Motiven war ich mehrfach vor Ort, habe skizziert und fotografiert übrigens entstehen die Figuren der Hammonien am Rechner. Ich habe ein Grafiktablet, auf dem ich mit dem elektronischen Stift zeichne. Für die Haltungen machte ich Fotos von Modellen, viele auch von meiner Frau. Während ich beim Malen auf der Leinwand sehr schnell und intuitiv vorgehe, ist der Prozess bei Computergrafiken viel durchdachter. Es gibt am Ende auch keine Originale, nur Ausdrucke.
Egal ob sich in Oevelgönne eine Brünette am Hang fläzt, sich eine BikiniBlondine in Blankenese sonnt oder eine Dame im Cocktailkleid auf die Elbphilharmonie herabblickt: Deine Hammonien erinnern an Pinups …
… eine Assoziation, mit der ich gut leben kann. Ich liebe den US-Künstler Gil Elvgren, der als Werbezeichner ab den späten Dreißigerjahren für seine Kalendermädchen bekannt wurde. Natürlich verfolge ich die #MeToo-Debatte und weiß, dass auch die Kunst inzwischen unter anderen Vorzeichen betrachtet wird. Sechs Jahre ist es her, dass ich das Gros der Hammonien illustriert habe, eine weitere Handvoll ist seitdem entstanden. Würde ich meine Damen heute anders aussehen lassen? Eher nicht. Aber ich diskutiere gern darüber. Wie wirken sie auf dich als Frau?
Als Gruppe sind deine Hammonien mir persönlich zu wenig divers. Die sehen sich, bis auf die Haarfarbe, alle ähnlich. Mir fehlen unterschiedliche Frauentypen. Das hörst du sicher öfter. Wie geht es dir damit?
In meinen Augen strahlen die Hammonien eben nicht nur Schönheit oder Erotik aus, sondern auch Lebensfreude und Kraft. Für mich persönlich sind diese Frauen idealtypisch. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, bestimmte Frauentypen nur deshalb zu zeichnen, weil sie anderen Leuten aus einem emanzipatorischen Anspruch heraus fehlen. Für mich sind die Hammonien stimmig. Es gibt nur eine, mit der ich nicht zufrieden bin: die Tänzerin in der Großen Freiheit. Sie ist nicht groß genug. Außerdem braucht ein Ort, der so sehr für käuflichen Sex steht, keine erotische Göttin.
Viele der Hammonien hast du an Orten mit hohem Wiedererkennungswert platziert, als wären es Tourismusplakate. Andere Motive fallen ein bisschen raus aus der Serie. Zum Beispiel die Hammonia, die im Badeanzug im Wasser steht und in den ausgestreckten Händen ein Flüchtlingsboot trägt. „Hammonia und Lampedusa“ hast du es getauft. Was steckt dahinter?
Irgendwann war auch in Hamburg die Flüchtlingsproblematik ein gro.es Thema; Hammonia konnte dazu nicht schweigen. In diesem Bild stecken von meiner Seite aus mehr Fragen als Antworten: Darf man Menschen ertrinken lassen, damit andere sich gar nicht erst aufs Meer rauswagen? Muss man Projekte unterstützen, die Flüchtlingen auf dem Meer helfen, vielleicht sogar selbst an Bord eines solchen Rettungsschiffs gehen? Vor dem Hintergrund meiner eigenen Familiengeschichte, in der die Seefahrt immer eine Rolle spielte, beschäftigt mich die Thematik sehr.
Die Hammonia wird ja auch Hamburgs Schutzgöttin genannt. In diesem Fall eine Schutzgöttin, deren Mimik und Gestik nicht wirklich liebevoll wirken. Sie hält das LampedusaBoot weit von sich weg. Will sie die Fremden schützen oder schützt sie die Stadt vor den Fremden?
Gute Frage, ganz sicher w.re ich mir da nicht. Angesichts dieser Ambivalenz fällt mir auch die Hammonia ein, die ich vor rotem Abendhimmel als Tor zur Welt dargestellt hab’. Ihre Haut ist schwarz. Der Hafen hat unserer Stadt zu großem Wohlstand verholfen. Wie in anderen Ländern des Westens war der Kolonialismus ein Teil dieser Geschichte. Wenn nun eine schwarze Frau Hammonia repräsentiert, kann man das auch als maximale Teilhabe ehedem kolonisierter Völker empfinden, und sei es als Wunschvorstellung. Ich habe in meiner Laufbahn auch sehr viele politische Illustrationen gezeichnet. Und hinter manchen der scheinbar rein dekorativen, erotischen Figuren stecken auch große, gesellschaftliche Themen. Und viele offene Fragen.
Auch die „Hammonia beim HSV“ sieht aus, als würde sie etwas vor der Brust tragen, nämlich das Volksparkstadion. Täte sie es aktuell noch? Oder würde sie den Verein heute fallen lassen?
Nein, so etwas tut eine Schutzgöttin nicht. Mir hat es auf jeden Fall viel Freude gemacht, sie zu kreieren, besonders als Gegenspielerin zur St. Pauli-Hammonia.
Zu den Motiven, die ebenfalls aus der Serie ein bisschen rausfallen, gehört die „Hammonia bei Felix Jud“. Wer genau hinschaut, entdeckt in dieser Grafik ein durchgestrichenes Hakenkreuz. Ein Verweis auf die Historie des Geschäfts und seines verstorbenen Gründers. Was macht Hamburgs Schutzgöttin im Buchladen?
Zwei Jahre nach der Ausstellung in der Handelskammer wurde ich eingeladen, bei Felix Jud auszustellen, schließlich ist das nicht nur eine Buchhandlung, sondern auch eine Galerie. Und weil das Geschäft neunzig Jahre alt wurde, habe ich dem Team diese Hammonia damals geschenkt. Für mich ist Felix Jud einer der kultiviertesten Plätze der Stadt. Ein Ort, vor dem ich früher viel Ehrfurcht hatte. Schon als Student träumte ich davon, hier auszustellen. Felix Jud hat sich eine Seele bewahrt in einer Straße, die dem materiellen Luxus frönt. Damit das so bleibt, kann eine Schutzgöttin bestimmt nicht schaden. Doch vielleicht ist Hammonias Erotik hier etwas intellektuellerer Natur – womit bewiesen ist: Ich kann auch anders!