Auffrischung
Text: Karina Lübke | Illustration: Mone Seidel
Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, das erste Jahr meiner Regentschaft neigt sich langsam dem Ende zu. Um in dieser Vorweihnachtsansprache gleich den Blick auf das Positive zu lenken: Endlich hat unsere Stadt wieder hitzefrei! Mein Kontrollblick streift wohlwollend über die kuschelige graublaue Wolkendecke vor den verregneten Panoramafenstern des königlichen Fern-Seh-Turms.
Unten schmücken Lichterketten, Schals, Mützen und Schirme das Straßenbild. Und zum Glück funktioniert unsere himmlische Sprinkleranlage wieder, denn ich muss sagen, dass ich diesen Hamburger Sommer – normalerweise feinstes norddeutsches Anti-Aging-Wetter, um das wir von Dubai bis Athen glühend beneidet werden – nicht entspannt genießen konnte. Es gab sogar für mich, die ich ökologisch über zwei persönliche Assistenten mit Fächern verfüge, zu viele Tage, an denen die Temperaturen in der Stadt über 30 Grad gestiegen sind, die Anforderungen an die Arbeitsfähigkeit der Einwohner aber nicht entsprechend sanken.
Als ich hören musste, dass die Hamburger weder in Krankenhäusern (es sei denn, man liegt gerade im OP) noch in Alters- und Pflegeheimen durch moderne Klimaanlagen vor Überhitzung und Dehydrierung geschützt werden, bin ich eskaliert wie die Temperaturen am 2. Juli. Das ist ja passive Sterbehilfe! Jahrhundertelang reichten uns stoisches Stoßlüften und steife Brisen als alternative Aircondition, aber das wird wohl künftig utropisch werden. Bis nächsten Sommer muss nachgerüstet werden! Öffentlichen Gebäuden verordne ich den Einbau energiesparender Kühldeckensysteme – durch einen geschlossenen Wasserkreislauf kommt der Frischeeffekt ganz ohne Geräusche, Zugluft und Staubverwirbelung flächendeckend von oben. Im Winter kann die gleiche Anlage dann durch warmes Wasser zur Heizung werden. Auch in sämtlichen Schulen sollten zeitnah nicht nur sanierte Toiletten, sondern zu klimatisierende Klassenzimmer das neue Normal werden.
Schluss mit heißen Tipps, man möge sich stattdessen nasse Handtücher vors Fenster hängen. Dadurch werden Insassen nämlich nicht vor Wärme geschützt, höchstens gedämpft, statt gebraten. So wird das nichts mit dem guten PISA-Schnitt. Unser Hamburger Rathaus hat übrigens als Quell der Coolness den nicht nur optisch eindrucksvollen „Hygieia-Brunnen“ im Hinterhof; dieser ist auch der Geheimeingang der Klimaanlage: Durch Öffnungen im Sockel wird frische, vom permanent fließenden Brunnenwasser gekühlte Luft angesaugt und von elektrisch betriebenen Ventilatoren in die einzelnen Räume und Säle weitergeleitet. Hitzköpfe bei Debatten sollte man nicht aufs Wetter schieben.
Leider kann nun nicht jeder so einen Wunderbrunnen hinterm Haus haben, aber immerhin will ich dafür sorgen, dass bis nächsten Sommer nicht nur um die Außenalster, sondern in jedem Viertel etliche Trinkwasserbrunnen installiert werden, die dann tatsächlich auch funktionieren sollten. Insgesamt muss Hamburg wieder mehr Oase als Hotspot werden, dafür möglichst viele Fassaden und Dächer begrünt, wie es bereits beim Feldstraßenbunker so vorbildlich gemacht wurde. Keine Neubauten mehr aus Glas- und Stahlflächen, back to the Backstein. Schotterboden statt Grünflächen als „Gärten“ verbiete ich ab sofort, und gesunde Bäume werden nicht mehr abgeholzt, damit jemand „mehr Licht“, „weniger Dreck“ (sprich Laub) oder einfach freien Elbblick hat.
Apropos: schlimm genug, beim Abriss der historischen Sternbrücke für einen gigantomanen 23 Meter hohen Neubau insgesamt 86 alte Bäume abzuholzen. Dass der erste nachts um drei Uhr fiel, lässt auf ein gewisses Unrechtsgefühl schließen. Auch die in der Sternbrücke schon ewig beheimateten Clubs haben durch die Räumung tödliche Platz-Wunden erlitten. Aber halleluja, „Fundbureau“ und „Beat Boutique“ konnten im August in den Kasematten hinter den Deichtorhallen wieder auferstehen – im Gegensatz zu den Bäumen. Der „Waagenbau“ hat in Altona eine neue Bleibe gefunden.
Wenn die Stadt jetzt offensichtlich schon dabei ist, mehr oder weniger zwangsweise Plätze zu tauschen: Ich habe große Pläne. Baupläne, um es genau zu sagen. Erinnert ihr euch an die große HSV-Aufstiegsfeier im Mai? Selten habe ich so viele emotionale Hanseaten gesehen wie an diesem Tag auf dem Rathausmarkt – nicht mal als 2023 mein Kollege King Charles III. mit seiner Camilla zu Besuch war! Nachdem der HSV nun endlich wieder erstklassig ist (und hoffentlich bleibt), sollten wir ihn nicht aus der Volkspark-Verbannung ins Herz der Stadt holen, wo er gefühlt hingehört? Straight out of Bahrenfeld, hinein in ein neues, zentrales Schwarz-Weiß-Blau(licht)-Viertel.
Ich denke da an einen Uferabschnitt der erweiterten Hafencity, wo Hamburg sogar für Auswärtige wie Hamburg aussieht. Am schönsten gleich ein innovativer Neubau auf einer Plattform über der Elbe, mit einem fantastischen Panorama-Ausblick auf Fluss und Skyline. Wenn ganz Venedig auf Ziegelsteinmauern und Pfählen auf dem Wasser stehen kann, sollten wir das für ein Stadion auch hinbekommen. So könnte das Volk hinterher an der Wasserkante weinen oder feiern gehen. Ich bitte drum: Vertröstet die Debatte um einen eventuellen Neubau des bröckelnden Stadions nicht auf ein bestenfalls in elf Jahren bei uns stattfindendes Olympia. Das wird doch sowieso wieder nix. Architektenvorschläge bitte zügig per Mail an mich.





