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Learning by ruling

Text: Karina Lübke | Illustration: Mone Seidel

Ja, ich gebe es zu. Weder der alkohol- noch der autofreie Sonntag sind in allen Stadtteilen gut angekommen. Auch Königin von Hamburg ist ein Ausbildungsberuf – Learning by Ruling und schließlich habe ich die Prinzessinnenklasse übersprungen. Meine Krönung verlief unspektakulär: Nachdem meine beiden selbst gemachten und im UKE geborenen Hamburger nun aus dem Haus sind, bekönigsmuttere ich neuerdings meine geliebte Stadt. Und spätestens als ich diesen Sommer in der Außenalster am Schwanenwik ein großes Badeschiff verankern ließ und den Preis für eine Kugel Eis bei 1,50 Euro deckelte, stieg meine Popularität auch bei denjenigen Hanseaten, die bisher meinten, keine Königin zu brauchen. Andere müssen abdanken, ich habe quasi aufgedankt.

Um zu wissen, was die Einwohner bewegt, habe ich mir einen königlichen S-Bahn-Waggon mit Teppich, Samtvorhängen, Schreibtisch, Sofa und Kühlschrank ausstatten lassen (davon habe ich als Bürgerliche schon immer geträumt), der dreimal die Woche überraschend an U- oder S-Bahn-Linien gehängt wird. In den vorderen Waggons meines Zuges verteilen meine Mitarbeiter Hamburger Speck an die Mitreisenden und sammeln Zettel mit Beschwerden und Lösungsvorschlägen ein. Seit sich das herumgesprochen hat, ist der Run auf den HVV gewaltig, das entlastet die Straßen. Und was die Verkehrsführung und Auflösung von Staus betrifft: Ich habe auf dem Isemarkt eine Maut für Touristen eingeführt. Ja, Pinneberger, das gilt auch für euch. Seitdem kann ich sogar an Freitagen zügig Kartoffeln, Blumen, eine Pho beim Reis-Ninja und Schokosaurier am Stiel von Pingel einholen. Dass Fußgänger nicht mehr über herumliegende E-Scooter stürzen, liegt daran, dass ich die Dinger kurzerhand verboten habe – was nicht nur unsere MGK-Chirurgen, sondern auch die Umwelt entlastet. Vorbild: Paris. Da lagen die Dinger in der Seine, bei uns in Alster und Elbe. Ach, das Anbringen sogenannter „Liebesschlösser“ – ein Oxymoron an sich – habe ich zum Schutz unserer schönen Brücken auch unter Strafe gestellt. Sorry, Mausi und Bärchen, aber es heißt hier bei uns FREIE und Hansestadt Hamburg, das passt leider GAR nicht.

Apropos Schloss: Mein Safe Space sollte aus Sicherheitsgründen eigentlich geheim bleiben, aber zu den Panoramafenstern kann eh niemand hineinschauen. Also, mein Regierungssitz ist die drehbare Aussichtsplattform des Fernsehturms. Ja, genau dieser, der seit dem 1. Januar 2001 offiziell geschlossen ist und wegen Asbest saniert wurde. Seitdem konnte die Eigentümerin „Deutsche Funkturm“ offiziell „keine neuen Mieter für die Gastronomie finden“, obwohl alle anderen großen Städte das auch hinkriegen – sogar Berlin! Ich habe den Turm einfach annektiert und instand besetzt. Wie in einem Ufo schwebe ich über meiner Stadt und habe von Sonnenauf- bis -untergang alles im Blick. Statt Brieftauben wollte ich eine Royale Möwenpost installieren, aber da von meinen bei „Bude 10“ bestellten Fischbrötchen immer nur die Brötchen hier ankommen, musste ich dieses Projekt wieder einstellen. Dafür spendierte ich dem Hamburger Schwanenvater Olaf Nieß zwanzig schwarze Alsterschwäne zu seiner weißen Flotte. Billig war das nicht.
Ja, das hatten sie sich anders vorgestellt, als sie mich fragten, ob ich Königin von Hamburg werden wollte. Wahrscheinlich war es vom Tourismusverband als PR-Gag gedacht, eine Wochenend-Regentschaft wie bei Wein-, Schützen- oder Heideköniginnen. Aber ich bin einfach geblieben, im Dienst der guten Sache(n).
Ich bringe sogar meine eigene Dienstkleidung mit – Friesennerz statt Hermelinmantel. Journalistinnen als Königinnen haben in Europa mittlerweile Tradition, siehe meine Kollegin Letizia von Spanien.

Praktischerweise können wir unsere Reden selbst schreiben, und ich bin so frei, dass ich sie auch halten darf. Anderes habe ich mir von der Queen abgeschaut: „Never explain“ fällt mir leicht, „never complain“ schon weniger. Dabei ist meine Sommerresidenz nicht nur schöner, sondern auch viel älter als Schloss Balmoral: der Leuchtturm Neuwerk, erbaut 1300, um Hamburg vor See- und Strandräubern zu schützen.
Apropos – morgen werde ich wieder mal Olaf Scholz zum Gehirnjogging antreten lassen, bis er sich daran erinnert, wie und bei wem die den Bürgern gehörenden 47 Steuermillionen (Cum-Ex-Affäre klingt ja schon sehr nach Reeperbahn) zurückzufordern sind. Meine Regentschaft wird Payback Time für Hamburg.

Während ich meine Stadtstaatskarosse bei verkehrsflüssigen 80 km/h durch den Elbtunnel gleiten lasse, überleg’ ich, was man mit dem Geld alles Schönes anfangen könnte. Etwa die langweiligen Kachelwände von Hamburger Künstlern Standbild für Standbild mit der Geschichte unserer Stadt bemalen lassen: vom Bau der Hammaburg (um 800) über den großen Brand (1842), die riesige Flut (1962) und G20 (2017) bis zum unvollendeten Elbtower. Statt Tunnelblick liefe beim Blick durch die Seitenfenster dann ein Kurzfilm ab, Unterhaltung und Unterricht im Vorbeifahren. Noch deutlich preiswerter als ein neues Museum!

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