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DESY
Hier wird Hochleistungsphysik betrieben, in Bahrenfeld, mit mehreren Teilchenbeschleunigern. Gut 3.000 Desyaner strecken sich und ihre intellektuelle Kraft von der Erde bis ins Universum, um Grundlagenforschung zu betreiben, die den Ursprung und die Zukunft des Universums erklärt, und um für ihre Ergebnissse Anwendungsgebiete im Energiesektor, in der Medizin und der Kunst zu finden, die uns die größten Probleme der Menschheit lösen könnten.
Text: Simone Rickert | Fotos: Julia Schwendner
Elementarteilchen, im Fachjargon Teilchen abgekürzt, fliegen uns um die Ohren, kleinste Bausteine des Universums, in allem was uns umgibt, das Magazin das Sie gerade lesen. Nur viel kleiner. Der altgriechische Philosoph Demoklit postulierte die Idee, dass alles auf der Welt in kleinere Teilchen zu separieren sein muss, bis zum allerkleinsten, und dass sie sich ständig verändern. Eine erstaunlich genaue Einschätzung, ohne jegliche Forschung, nur auf Gedankenbasis. Das blieb dann gut 2.500 Jahre eine Idee. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Heisenbergschen Unschärferelation, Max Plancks Quantentheorie und Einsteins Relativitätstheorie richtig Schwung in die Atom- und Astrophysik kam.
Der Verdacht, dass es darüber hinaus noch etwas mehr geben muss, erhärtete sich mit ihrer Forschung, die rein auf ihren Berechnungen beruhte. Das Universum dehnt sich aus, doch eigentlich müsste das viel viel schneller gehen? Licht in den Galaxien müsste stärker strahlen – wenn es nicht etwas anderes gäbe, die dunkle Materie, die wohl rund 85 Prozent des gesamten Universums ausmacht und eben nicht sichtbar ist!
Kleinste Teilchen werden seit 1959 in Hamburg erforscht, als das DESY gegründet wurde. Das Deutsche Elektronen-Synchroton, vieles hier wird mit Abkürzungen, Akronymen, benannt, ist eine von wenigen Forschungseinrichtungen dieser Art auf der Welt: in China wird gerade eine neu gebaut. Ein Synchrotron ist ein Teilchenbeschleuniger, der Elementarteilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit bringt und damit auf andere Teilchen schießt. Die bei diesen Kollisionen entstehenden Teilchen werden mit hochsensiblen Detektoren analysiert. Das konnte der 6,3 Kilometer langen Speicherring HERA unterhalb von Bahrenfeld besonders gut, die Hadron-Elektron-Ring-Anlage ist die einzige weltweit, in der unterschiedliche Teilchensorten – Protonen und Elektronen, und ihre Antiteilchen, die Positronen – getrennt beschleunigt und zum Zusammenstoß gebracht werden konnten. Heute wird der HERA-Tunnel nur noch in Streckenabschnitten genutzt: mit dem „Licht-durch-die-Wand-Experiment“ ALPS wird hier unten nach dunkler Materie gesucht.
Prof. Dr. Beate Heinemann wurde im April zur Vorsitzenden des Direktoriums im DESY berufen. Hamburgerin, hier ganz in der Nähe aufgewachsen, hat sie mit ihrem Faible für Zahlen ihre Eltern gefragt, ob sie Physik studieren darf? Sie ehrlich: „Kann sein, dass es nichts wird.“ Es wurde: sie hat für ihre Promotion an der Uni Hamburg am DESY geforscht, wurde Stipendiatin der britischen Gelehrtengesellschaft Royal Society, Professorin an der Berkeley University in Kalifornien, nun an der Uni Hamburg. 2012 hat sie das Higgs-Boson mit entdeckt, ein Teilchen das eine Schlüsselrolle im Universum spielt und lange gesucht wurde. Gefunden am Beschleuniger LHC im Forschungszentrum CERN in Genf. Das war ein „Wahnsinns-Heureka-Moment“.
Sie tritt die Nachfolge von Helmut Dorsch an, der das DESY ab 2009 geleitet hat und schon eine Reihe von Innovationen auf den Weg brachte. Auf dem Campus gibt es Baustellen, ab Herbst öffentlich das DESYUM, ein Ort wo die Forschung für alle ausgestellt wird. Dort kann man dann einfach vorbeischauen, Führungen buchen kann man jetzt schon. Die Forschung in Deutschland nicht nur auf Spitzenniveau zu halten, sondern auch sie verständlicher und nahbar zu machen, das ist Beates Ziel. Die schlausten Köpfe für das DESY zu gewinnen.
Die Mitarbeiter hier nennen sich selbst die Desyaner. Es sind rund 3.000 Menschen, die mit Leidenschaft an der Zukunftsforschung arbeiten: Hochleistungsforscher, Ingenieure, die die Anlagen hier bauen. Es gibt Elektriker, Tischler, fast alles wird hier geplant und konstruiert. Die wenigsten Instrumente können überhaupt extern bestellt werden, da sie so speziell sind. Und wenn um ein Rohr Alufolie gewickelt ist, dann soll das so. Wenn im HERA-Tunnel Fahrrad gefahren wird und Wählscheiben zur Haustelefonie an der Wand hängen, dann, weil das gut funktioniert.
Der derzeit meistgenutzte Teilchenbeschleuniger PETRA III beschleunigt Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit. Diese bewegen sich 130.000 Mal pro Sekunde durch die Anlage. In speziellen Magneten werden sie abgelenkt und emittieren dabei intensives, gebündeltes Röntgenlicht, das ähnlich einem Laserstrahl genutzt wird. PETRA III wird nicht mehr für Teilchenkollisionen verwendet, sondern dient ausschließlich der Erzeugung von Röntgenstrahlung zur Forschung. Das hochfokussierte Röntgenlicht ermöglicht die Untersuchung kleinster Strukturen, die mit herkömmlicher Mikroskopie nicht sichtbar sind.
An 15 Stellen innerhalb der Anlage wird das Röntgenlicht entnommen und zu Experimentierstationen geleitet, sie nennen sie niedlich Hütten, auch im Forscherjargon, die jeweils speziell darauf eingerichtet sind, verschiedenste Materialien zu analysieren. Besonders in der Biochemie ist PETRA III essenziell: Forscher untersuchen die Struktur von Proteinen, beispielsweise zur Entwicklung neuer Medikamente gegen das Coronavirus. Durch Kristallisation der Proteine wird eine hochaufgelöste Bildgebung ermöglicht, wodurch getestet werden kann, ob ein Wirkstoff das Zeug zum Medikament oder Impfstoff hat.
Hier herrschen konstant angenehme 21 Grad, ein Summen liegt in der Luft, das kommt nicht von fliegenden Teilchen sondern der Klimatisierung: Die Experimentierumgebung ist präzise temperaturgeregelt, da selbst minimale Schwankungen die Ergebnisse beeinflussen können. Die Halle wurde mit einer massiven, schwingungsarmen Betonplatte errichtet, um Stabilität zu gewährleisten. Beim Bau wurde extra ein Wochenende abgewartet, an dem der benachbarte HSV auswärts spielte, damit es für die Betonmischmaschinen keinen Stau gab. Die Anlage läuft sieben Tage die Woche, mit einer Betriebszeit von über 98 Prozent, um der hohen Nachfrage gerecht zu werden. Jährlich kommen 7.000 Wissenschaftler aus Europa und der Welt nach Hamburg, um Experimente durchzuführen. Die Messzeiten werden von einer externen Jury in einem kompetitiven Bewerbungsverfahren vergeben.
Außerdem in Planung, und das wird eine Sensation: PETRA IV, das ultimative 4D-Röntgenmikroskop für die Nanoforschung, mit herausragendem Potenzial für Nutzer aus der Industrie und mit gesellschaftsrelevanten Anwendungen in Energieforschung, Informationstechnologie, Mobilität, Umwelt und Medizin. Die Ergebnisse werden helfen, wirksamere Arzneien zu designen und das Maßschneidern von Enzymen zu ermöglichen, die beispielsweise Plastikmüll zersetzen könnten. Das wird die zukünftig leistungsstärkste Synchrotronstrahlungsquelle der Welt.
Dieses wichtigste Zukunftsprojekt, das Deutschlands Spitzenposition auf diesem Gebiet sichern wird, plant Selina Storm mit ihrem Team. In ihrer Forschung geht es um Molekularbiologie. In 20 Jahren Grundlagenforschung hat Biontech Experimente zu Messenger-RNA-Impfstoffen am DESY durchgeführt. Nur dadurch konnte in relativ kurzer Zeit ein wirksamer Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickeln werden: maßgeschneidert an genau das Protein andockend, das für die Vermehrung des Virus ausgeschaltet werden muss. Und das ging schnell – inzwischen würde es sogar noch schneller gehen. 2020 wurden die Proben noch einzeln mit menschlichen Augen begutachtet. Inzwischen kann das eine KI, sie ist gut trainiert und scannt auf Brauchbarkeit, der Roboterarm MARVIN serviert die Ergebnisse, so dass sich die Forscher im Team wie Pontus Fischer „nur noch“ auf die Analyse konzentrieren können. KI ist, wird noch mehr, ein Gamechanger! „Wir kennen zwar die Struktur vieler Proteine, wissen aber noch nicht, wie sie im Detail zusammenspielen“, Selina ist sicher, es wird möglich sein, personalisierte Medikamente herzustellen. Die Forschung an den großen Malaisen der Menschheit ist im Gange: Alzheimer, Hunger, nachhaltige Energiesicherung.
Die Forschung zur Gewinnung nachhaltiger Energieversorgung nachhaltig zu machen, dafür ist Denise Völker zuständig. Sie ist als Kind schon auf Schornsteine geklettert, um gegen die Luftverschmutzung zu protestieren, hat bei diversen NGOs, unter anderem Greenpeace, gearbeitet und setzt beim DESY alles daran, jeden Ablauf auf dem Campus so umweltverträglich und menschenfreundlich zu machen, wie es geht. Fängt an damit, dass nur noch Öko-Strom eingesetzt wird: Das DESY verbraucht Strom wie 75.000 Haushalte. Verglichen damit, wie viele Haushalte wohl über dem 6,4 Kilometer langen HERA-Tunnel stehen, scheint das eigentlich gar nicht so viel. Geht weiter mit der Begrünung der Flachdächer auf den Gebäuden, damit das Regenwasser nicht sturzbachartig abläuft und das Mikroklima auf dem Campus verbessert wird. Und wenn Krötenwanderung ist, verschiebt sie schonmal verständlicherweise einen anderen Termin. Dabei ist ihre Hauptaufgabe, wie sie selbst sagt, Kaffeetrinken. In ihrem Büro hängt ein enormes Chartboard mit bunten Zetteln, sie vernetzt sich mit jedem Forschungsbereich, jeder Werkstatt, um zu schauen, was können wir hier besser machen – und setzt es um.
Wie kann man die hocheffizienten Teilchenbeschleuniger kleiner und schneller machen, so dass sie viel günstiger sind und zum Beispiel auch in Arztpraxen angewendet werden könnten? Dazu arbeitet Andreas Maier am KALDERA-Projekt, einem Laser-Plasmabesechleuniger. Dabei wird ein extrem heller Laserblitz in ein sehr kleines mit Wasserstoffplasma gefülltes Röhrchen geschossen. Gas, getrennt von seinen Elektronen, „Kielwellenbeschleunigung, die fegen wir weg, dadurch formt sich hinter dem Laserpuls eine Welle, auf der die Elektronen surfen können.“ Auf wenigen Zentimetern entstehen so Energien, für die sonst hunderte Meter Anlage notwendig sind. Der Laserpuls ist 20 x 20 Mikrometer groß, sehr klein, daher hat das Licht die Kraft, das Gas auf die Seite zu drücken. Mathematisch gesehen ist das ähnlich, wie wenn ein schnelles Boot durch den Hamburger Hafen fährt und seine Heckwlle schwappt. Diese neue Generation von Beschleunigern wird 1.000 mal stärker sein.
Aber nochmal zurück zum ganz Großen, wie das Universum zusammenhält: Dr. Axel Lindner erforscht die dunkle Materie, die bisher niemand gesehen hat, von der man aber seit einhundert Jahren annimmt, dass es sie gibt. ALPS (Any Light Particle Search), schießt Licht durch die Wand. Im alten HERA-Tunnel leitet er ein astrophysisches Experiment, das nach Teilchen sucht, die sich prinzipiell nicht an Beschleunigern aufspüren lassen, aber viele offene Fragen zur Entstehung des Universums beantworten werden. Was er hier tut, grenzt für Laien an Magie. Er sieht das nüchtern: „Forschung, mit vielen, vielen Mitarbeitern. Und wenn einige davon in die Industrie, ins Finanzwesen, Banken, und das Gesundheitswesen abwandern, dann habe ich hier einen super Beitrag geleistet, um Leute in Führungspositionen zu bringen, die die Welt annähernd verstehen.“
Und wie ist das nun mit dem Beamen? Wenn Masse in Licht und Licht wieder in Masse umgesetzt werden kann, müsste das doch gehen? Vom Energieaufwand mal abgesehen. Beate denkt kurz nach, ja, das ist nicht ganz falsch. Dazu gibt es keine konkreten Forschungsprojekte, aber dafür ist Grundlagenforschung ja auch da. Die große Herausforderung wäre wohl, dass sich das Objekt danach am richtigen Ort und in der exakten Anordnung seiner ursprünglichen Teilchen auch wieder zusammenpuzzelt. Und wenn man eine KI hätte, die sich Captain Kirk vorher ganz genau angeguckt hat? Beate ist Optimistin: „Ich würde es nicht ausschließen, es ist schon sehr zukunftsorientiert. Es ist schwierig, aber das sollte einen nicht entmutigen.“
Diesen Artikel finden Sie in Ausgabe 67