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Museumshafen Oevelgönne

Text: Till Briegleb | Fotos: Matthias Plander

Die beiden Ufer der Elbe auf Höhe Neumühlen sind Schifffahrtsgeschichte, wie sie gegensätzlicher kaum sein könnte. Drüben die planen Betonfelder einer automatischen Entladetechnik für Riesenkähne, die durch ihre gnadenlose Platzausnutzung kaum noch aussehen wie Schiffe. An der Övelgönne dagegen die Zeugnisse einer Hafenschifffahrt mit Persönlichkeit, wo jedes Boot einen Charakter zeigt. Die 30 Gefährte aus 150 Jahren, die im Museumshafen festgetäut liegen, sind arbeitslos im GPS-Zeitalter, aber nicht altes Eisen. Sie haben eine individuelle Geschichte und ein technisches Eigenleben. Sie sind Handwerkerkunst und Regionalkultur, staunenswert und schön.

Hier existiert es noch, das Eigentliche der Wasserreise, das Generationen zum Träumen einlud, bevor drei Cs jede Matrosenromantik auslöschten: Container, Computer und Chinaimport. Als Maschine und Mensch noch eine Einheit bilden mussten, um die Meere zu befahren, wurden diese Wunderwerke der Ingenieurskunst aus Erfahrungen geschweißt, die oft blutig erkauft waren. Und als der globale Wandel der Schifffahrt zum digitalen Kapitän abzusehen, aber noch nicht vollendet war, da wurde einigen Nautikern der Stadt bewusst, dass es dringend eine Rettungsbucht braucht für diese Schätze der Mechanik, denen das völlige Verschwinden drohte.

Anfang der Siebzigerjahre machten sie sich auf die Suche nach alten Rümpfen auf kleinen Werften und verschlammten Seitenarmen der Elbe, um sie liebevoll zu restaurieren, etwas, das einem bei den Containerriesen von heute nicht im Traum einfallen würde. Dass diese in der Regel nach zwei Versicherungsperioden oder 14 Jahren abgeschrieben und verschrottet werden, mag zwar die Nachhaltigkeitsvernunft stören, nicht aber das Kulturempfinden. Zu groß, zu seelenlos, zu austauschbar sind diese Monster, die alles weggefressen haben auf den Weltmeeren, was die Berufsschifffahrt in 3000 Jahren an maritimen Erfindungen hervorgebracht hat.

Aber die aus Holz, Stahl und Messing, Dampfkesseln und Kolben, Traditionsfarben und engen Kajüten komponierten Hafenboote, die Hamburgs Hobbyreeder in den damals noch vielfältigen Ankerplätzen der Stadt aufstöberten, lockten mit technischen Geheimnissen die Neugier. Selbst, wenn sie traurig ausgeschlachtet ohne Deck, Schornstein und Führerstand irgendwo vergammelten, konnten sie die Fantasie und den Ehrgeiz befeuern, ihnen ihre ursprüngliche Gestalt zurückzugeben. Gaffelschoner und Dampfschlepper, Ewerboote und Eisbrecher, Zollbarkassen und Hochseekutter hatten auch als Ruinen noch die über 800-jährige Geschichte des Hamburger Hafens gespeichert, die sie begleitet haben und die ihre Wiederbelebung für die Stadt bewahrt.

Trotzdem war es ein technisches Bauwerk der neuen Zeit, das den Ort schuf für die Pflege des beweglichen Erbes. Mit der Bohrung des Neuen Elbtunnels unterhalb der Övelgönne zwischen 1968 und 1975 entstand eine Spundwand neben dem alten Heuhafen am Unionskühlhaus. Hier hatten die Bauern ihr Viehfutter und ihre Milch verladen, als am gegenüberliegenden Ufer der Elbe noch Sommerweiden und keine Betonwüsten der Stadternährung dienten. In diesem neu geschaffenen Becken schlugen nun Anfang der Siebziger einige Övelgönner aus den kleinen Kapitänshäusern am Strand vor, könne die Stadt doch einen Sammelplatz für Schiffsdenkmäler machen.

Allerdings durften Schiffe damals noch gar nicht als Denkmäler klassifiziert werden, und die Stadt hatte auch wenig Lust auf diese Privatinitiative, die sie mit einer Flut von Bedenken abzuwiegeln suchte. Hat nichts genützt. 1976 gründete sich der private Verein für einen Museumshafen, und 1977 konnte hier die erste kleine Bootsversammlung von ihm installiert werden, der etwas weiter auch die „Cap San Diego“ der drohenden Verschrottung entgegengammeln sah. Fast 50 Jahre später ist der Museumshafen Oevelgönne noch immer eine Privatinitiative aus Ehrenamtlichen, die sich in Gruppen unterteilt um jeweils eines der Boote kümmern, die hier vor allem an den wilden Sommerwochenenden des Elbstrandbummels von Tausenden umsonst bestaunt werden.

Einen einzigen Festangestellten hat diese riesige Unternehmung zur Kulturbewahrung bis heute lediglich. Bjørn Nicolaisen bearbeitet das Nötige in seinem winzigen Kontor mit noch winzigerem Hinterzimmer auf dem Ponton Neumühlen zwischen der Restaurantfähre „Bergedorf“ und dem großen Dampf-Eisbrecher „Stettin“. Beide Schiffe gehören nicht dem Verein, sondern werden wie viele der hier ankernden Boote von eigenen Initiativen oder Privatleuten betreut. Nur zehn Schiffe sind Eigentum des Museumsvereins, darunter das knallrot leuchtende Flaggschiff der Övelgönner Flotte, die „Elbe 3“. 1979, zwei Jahre nach der Außerdienststellung, wurde das Feuerschiff für eine Mark erworben und reist heute als Botschafter des ersten deutschen Museumshafens zu anderen Häfen an Nord- und Ostsee bis nach Skandinavien.
Alle Schiffe hier sind fahrtauglich und zeigen dies auch. Das ist das Besondere dieses Museums. Seine Objekte sind mobil geblieben. Anders etwa als das Hafenmuseum am Schuppen 50A mit seinem nicht mehr seetüchtigen Prunkstück, dem Viermaster „Peking“, werden die 30 Boote in Övelgönne ständig bewegt. Mietbar für Firmen, Hochzeiten und Geburtstage unternehmen sie Ausfahrten, die alten Arbeitsboote der Hafenlogistik nur auf der Elbe, die salzwassertauglichen Kutter auch bis ins Offene.

Wie bei der „Cap San Diego“ ist es die Beschäftigung der Vereinsmitglieder mit dem funktionstüchtigen Schiff, diese Freude, längst totgesagte und aus der Zeit gefallene Gefährte wie früher unterwegs zu sehen, die dieses Ehrenamt überhaupt attraktiv macht – jedenfalls für die 200 aktiven der 600 Mitglieder, die sich um die Pflege und Instandhaltung der Flotte ausschließlich ehemaliger Berufsboote kümmern.
Wer einmal mit einem dieser Enthusiasten in die engen Maschinenräume der Dampfkesselboote steigen durfte, der versteht auch sofort, dass diese freiwillige Museumsarbeit überhaupt nichts mit Nostalgie zu tun hat, sondern vielmehr mit dem Erlernen eines Instruments, und zwar eines mit weit mehr als 88 Klaviertasten. In Räumen, wo ein halbwegs großer Mensch nur mit stark eingezogenem Kopf stehen kann, sind Zylinder, Ventile, Kabel, Rohre, Kessel, Kurbelwellen und sogar noch Vorrichtungen für die aktive Kohlebefeuerung untergebracht. Dazu Wände mit Schraubschlüsseln und Schränke mit Ersatzteilen, die es in ihrer Form vielfach gar nicht mehr gibt. So wenig wie Konstruktionspläne. Viele der Maschinenteile wurden auf den Werften handgefertigt, nach altem Handwerkerwissen und ohne Vorzeichnungen auf Millimeterpapier.

Blickt man nun noch einmal vom Ponton hinüber zu den monotonen, wenn auch bunten Containergebirgen und ihren kleinstadtgroßen Transportschüsseln am Burchardkai, dann lernt man aus der Erzählung von Bjørn Nicolaisen eben auch, wie diese normierte Kultur der globalisierten Wirtschaftsströme der Schönheit der Schifffahrt das Wasser abgegraben hat. Für den Fortbestand der alten Kultur braucht es Handwerker, Seeleute, Bauteile und kompetente Werften. Doch für menschliche Arbeit und Fertigkeit, für Einzelteile und ihre kunstvolle Behandlung hat die Containerschifffahrt keine Verwendung mehr. Und weil selbst die wenigen Seeleute auf den Überseeriesen meist Billiglohnkräfte aus fernen Ländern sind, fehlt einem Projekt wie dem Museumshafen der ausgebildete Nachwuchs, ohne den es nicht geht.
Die Generation, die mit den Museumsschiffen noch im Schlaf hantieren konnte, ist mittlerweile im Seefahrerhimmel zu Hause. Die kleinen Werften, die Fachwissen besaßen über die kinetische Antriebskunst, haben den Containermonolog selten überlebt. Und der Jachtbau, wo wenigstens einige der handwerklichen Fähigkeiten noch gefragt sind, die für die liebevolle Pflege richtiger Boote nötig sind, existiert in Hamburg zwar noch, etwa bei Julius Grube, Lürssen oder Lütje. Aber für die zeitintensive Freizeitbeschäftigung, historische Seelogistik fit zu halten und auch noch über den Fluss zu steuern, liefert die Hafenstadt einfach nicht mehr genug Hobbygeist.

Obwohl man denen, die in Neumühlen Kessel vorheizen, Ventile austauschen und Bootswände neu anstreichen, die erfüllende Freude dieser Arbeit sofort ansieht, und die Begeisterung sich auch in Erklärun­gen äußert, sobald die Pontonbesucher Interesse zeigen, sucht der Verein „dringend“ neue Mitglieder, und zwar vor allem solche, die eine gewisse Qualifikation mitbringen, um die Schiffe TÜV-reif zu halten oder über die Elbe zu steuern. Und das ist nicht die einzige Sorge von Bjørn Nicolaisen, dessen Großvater einst den hier pensionierten Dampfschlepper „Claus D.“ gesteuert hat und den Enkel damit zum Fan der
Flusskreuzer machte, inzwischen eben hauptamtlich.

Geld ist natürlich bei einem Museum, das keinen Eintritt nimmt und keine institutionelle Förderung von der Stadt erhält, ein dauerndes Problem. Die jährlichen Kosten in Höhe von 300.000 Euro für Unterhalt und Res­taurierungsarbeiten werden allein durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und den Kartenverkauf für die rund 20 Ausfahrten pro Schiff erbracht. Und durch die Vermietung des romantisch grünen Wartehäuschens Döns, das eine wirklich schön maritime Kulisse für Veranstaltungen von 40 bis 50 Menschen bietet. Für große Sanierungsprojekte, wie die Restaurierungsarbeiten des fahrbaren Hafenkrans oder der „Elbe 3“, die schon mal siebenstellige Kosten verursachen, mussten Projektgelder beantragt werden oder kreative Geldbeschaffungen erfolgreich sein.

Das gilt auch für das nächste Großprojekt des Vereins: ein Besucherzentrum hinter dem Döns. Das von Hamburgs bekanntestem Architekten und eigenem Barkassenbesitzer Volkwin Marg gespendete Design wurde mit vielen weiteren freiwilligen Arbeitsleistungen zur Realisierungsreife gebracht. Das schwimmende Fundament ist bereits zu sehen. Die durch Covid, Putins Angriffskrieg und folgende Baukostensteigerungen neu belastete Fertigstellung muss aber für die 1.095.000 Euro städtisches Projektgeld realisiert werden. Außer es hilft noch ein Spender. Vielleicht von der Elbsüdseite, wo Unternehmen in den letzten Jahren Rekordgewinne erzielt haben?
Aber welche Schwierigkeiten auch immer auftauchen für Bjørn Nicolaisen und seine Museumsmatrosinnen und -matrosen – die Geschichte des Vereins mit vielen Hindernissen hat eindrucksvoll bewiesen: Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Und eine Seefrau ganz sicher auch nicht. Also ahoi, liebe Landratten. Kommt zu Besuch, und lasst auch ein bisschen Geld da. Die Flotte dankt es euch.

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Diesen Artikel finden Sie in Ausgabe 60

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