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Planten un Blomen
Text: Marco Arellano Gomes | Fotos: Matthias Plander
New York hat den Central Park, Madrid den Parque del Retiro und Hamburg? Hat Planten un Blomen. Den Vergleich braucht Hamburgs zentralster Park nicht zu scheuen: Im Mai erst wurde Planten un Blomen, basierend auf Google-Rezensionen, zum schönsten Park Deutschlands erklärt. Fast jeder Hamburger hat Erinnerungen an diesen Park: die ersten Abenteuer als Kind auf den Bullerbergen, das Abhängen mit Freunden an der Minigolf-Anlage, romantische Abende vor den Wasserlichtspielen, lange Spaziergänge und längere Sitzpausen auf den schweren weißen Hummelstühlen. Für all das ist er da: der Park mitten in Hamburg, mit seinen Pflanzen und Blumen, die ihm den plattdeutschen Namen „Planten un Blomen“ gaben.
Die Artenvielfalt ist groß: Tulpen, Geranien, Rosen, Azaleen, Veilchen, Zypressen, Gänseblümchen, Rhododendren, Mammutblätter, Hibiskus, Wacholder, Narzissen, Tannen, Platanen, Kiefern, Büsche. Sogar ein ganzer Apothekergarten mit Heil- und Gewürzpflanzen sowie ein japanischer Garten mit Teehaus sind zu bestaunen.
20 Mitarbeiter, zehn Azubis und eine Praktikantin sorgen dafür, dass alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort sprießt und blüht. „Sie kennen sich bestens aus“, sagt Sylva Flörke, stellvertretende Parkleiterin. „Sie wissen immer, um welche Pflanzen es sich handelt und was diese ausmacht.“ Dann erzählt sie weiter: von gekörntem und gepresstem Rinderdung; davon, dass nicht gehackt wird, weil man sonst die unterirdischen Ausläufer der Pflanzen kappt; und von den Kosten für die Pflege und den Betrieb des Parks, für die jährlich rund 2,4 Millionen Euro anfallen – ohne Personalkosten. Vandalismus gebe es kaum, wenngleich durchaus Blumen und Holzstühle abhandenkämen. Der finanzielle Schaden sei marginal, ärgerlich sei es trotzdem.
Dabei ist dieser Park vergleichsweise gut bewacht: Es gibt Parkwächter – und auch die Gärtner haben ein wachsames Auge. „Die lassen sich nicht die Butter vom Brot nehmen“, so Flörke. Seit drei Jahren arbeitet sie bei Planten un Blomen, möchte nicht mehr weg. Die Arbeit sei ganz anders als in anderen Parks: Die Besucher seien freundlicher, zugewandter, wertschätzender. „Auch wenn es furchtbar pathetisch klingt: Wir arbeiten da, wo andere Urlaub machen“, so Flörke. Zum Urlaub gehört auch mindestens eine Kugel Eis – und die gibt es bei Livotto. Verkäuferin Alexandra Gomes arbeitet seit 22 Jahren dort, einen Großteil davon im Eiskiosk am Eingang Planten un Blomen/Messehallen.
„Die älteren Menschen sind immer so freundlich, und die Kinder haben eine solche Freude im Gesicht, wenn es Eis gibt“, sagt Gomes. Im Sommer wählen die Kunden eher fruchtige Sorten, bei frischeren Temperaturen die Klassiker. Die Auswahl ist groß.
Facettenreich ist auch die Geschichte von Planten un Blomen. 1616 entstanden zunächst die Wallanlagen zum Schutz der Stadt. Ab 1820 kam die Umwandlung zur Grünanlage. Spazierwege wurden angelegt, Bastionen abgeflacht, Blumen gepflanzt. Der Botaniker Johann Georg Christian Lehmann legte 1821 einen botanischen Garten an. 1863 wurde das Areal zum Tierpark: Der Zoologische Garten stand einige Jahre in Konkurrenz zu Hagenbecks Tierpark, gab 1930 aber wieder auf.
Highlight eines jeden Planten-un-Blomen-Besuchs sind die Wasserlichtspiele. Dafür verantwortlich sind Hector González Pino und sein achtköpfiges Team. Sie sitzen ein wenig versteckt in einem kleinen Pumpen- und Spielhaus am Rande des Gewässers. Darin befindet sich die Technik, die das allabendliche Licht- und Wasserspektakel ermöglicht: das Lichtklavier mit seinen 95 Tasten in doppelter Anreihung, direkt daneben die Wasserorgel mit ihren Hebeln. González Pino und seine Kollegen lassen mittels Wasserdüsen und LED-Scheinwerfern die Fontänen tanzen. Das geht nur zu zweit: Eine Person spielt die Wasser-, die andere die Lichtorgel. Seit 20 Jahren leitet der Hamburger die Wasserlichtspiele, choreografierte zehn Programme.
„Es ist eine spannende, virtuose Aufgabe, die mir immer noch, obwohl ich es schon fast 30 Jahre mache, viel Spaß und Lust macht.“ González Pino fährt fort: „Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einem diebische Freude bereiten.“ Ab und zu schießen die auf den Düsen sitzenden Enten hoch, wenn die Anlage angeht. Und auch die Zuschauer werden so manches Mal überrascht: Wenn der Wind dreht, hält der romantische Abend eine spontane Abkühlung parat.
Seit 2013 ist Planten un Blomen unter Denkmalschutz gestellt, was die Instandhaltung schwieriger und kostspieliger macht. Dass sich solche Investitionen aber lohnen, zeigt das Beispiel der 3700 Quadratmeter großen Eis- und Rollschuhbahn in den Wallanlagen, die 2017 saniert wurde. Im Sommer gehört die Laufbahn den Skatern, den Longboardern und den Rollschuhfahrern. Im Winter aber gleiten die Schlittschuhe über die Eisfläche.
„Die Eis- und Rollschuhbahn ist eine der größten und schönsten Europas“, sagt Jens Eickmeier, Geschäftsführer der Indoo Spielwerk Betriebs GmbH & Co. KG. Er betreibt die Eisarena und ganzjährig das Parkcafé, mit seinen regionalen Produkten. „Auf der Eisfläche trainieren auch Vereine. Heinz Germershausen, 89, Vize-Europameister im Rollschuhfahren, ist im Winter als Übungsleiter für Schlittschuhkurse beschäftigt. Er fährt immer noch wie ein junger Gott!“, sagt Eickmeier.
Nebenan, im sanierten Teehaus wiederum wird seit knapp zwei Jahren zum Austausch, zur Vernetzung und zu Aktionen eingeladen. Kamishibai Salon, die Deutsch-Türkische Jugend, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und Oll Inklusiv – um nur einige zu nennen – bieten ein vielseitiges Programm aus Sport, Tanz, Musik, Lesungen und Diskussionen. Ana Amil und Cenk Bekdemir rücken im Teehaus einige Tische und Stühle durch den Raum, suchen Getränke, stellen Gläser bereit. Sie bereiten eine Veranstaltung vor. Amil ist stadtteilaktivistin, Kultur- und Community-Managerin sowie Gründerin. Als sie erkannte, dass Kultur ein Werkzeug sein kann, rief sie gemeinsam mit Bekdemir und anderen das Kabinett der schönen Künste ins Leben. „Unsere gesellschaftspolitischen Ideen haben uns zusammengebracht. Wir wollten Veranstaltungen organisieren und zugänglich machen. Das war die Grundidee“, sagt Bekdemir. Kultur verbindet, sind beide überzeugt.
„Das ist in diesen Zeiten wichtiger denn je“, so Bekdemir. „Alle unsere Veranstaltungen sind kostenfrei und barrierearm. Wir machen keine Veranstaltungen, mit denen wir Menschen ausschließen“, so Amil.
Nach einem Tag im Park wird einem bewusst, dass Planten un Blomen der wahrscheinlich demokratischste Ort der Stadt ist: Menschen aller Nationalitäten und aller Altersstufen treffen sich hier, mitten im Zentrum dieser Metropole, um die Natur zu genießen, Kultur zu nutzen, sich zu sonnen, ein Eis zu naschen und ins Gespräch zu kommen. So schön kann Innenstadt sein.
Diesen Artikel finden Sie in Ausgabe 64