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Lebensmuster

MAIKE WEYRICH

Fein und robust, das sind die Gegensätze, auf die man im Atelier von Maike Weyrich in Bergedorf stößt. Robust ist der über einhundert Jahre alte Webstuhl, fein sind die einzig­artigen Stoffe, die darauf in selten gewordener Handwerksmeisterschaft entstehen.

Text: Annika Ruge | Fotos: Giovanni Mafrici

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Vor gold verputzten Wänden wirft der durch das Oberlicht sichtbare Himmel das Licht auf Maike Weyrich. Ihre Füße wandern über die hölzernen Pedale, der Oberkörper bewegt sich rhythmisch vor und zurück, die linke Hand schickt das Schiffchen immer wieder auf wilde Schussfahrt, quer durch die Kette gleitet es, die Garnwinde im Schlepptau. Saust unter den Schäften hindurch, durch deren 1500 winzige Litzenaugen jeweils ein Kettfaden verläuft, die gemeinsam das feine und gleichzeitig robuste Gerüst für den Stoff bilden, den Maike hier gerade entstehen lässt.

Fein ist die Erscheinung der 1,80 Meter großen und schlanken Handwebmeisterin, deren Handwerk eine gewisse Robustheit erfordert – es verlangt den Einsatz des gesamten Körpers. „Und des Kopfes“, lacht sie und erinnert sich an die ersten Monate ihrer Ausbildung vor mehr als 30 Jahren in Rostock. „Auf einem Zettel war die Trittfolge notiert, in der ich die Pedale treten musste, um ein bestimmtes Muster zu erzeugen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die verschiedenen Muster in meinem Muskelgedächtnis verankert habe.“

Unter den Augen einer strengen Lehrmeisterin lernte sie, Leinen- und Baumwollstoffe für Gardinen, Tisch- und Bettwäsche zu weben, Polsterstoffe herzustellen oder Stoffe für Kleidung. „Das Angebot in den Läden der DDR war ja sehr begrenzt. Deshalb wurden die Stoffe für besondere Waren in den Webereien auf Bestellung von Hand hergestellt. Und weil auch die Rohstoffe, also das Garn, teuer und nur in begrenzten Mengen zu beschaffen waren, wurde jeder Fehler, der Material kostete, entsprechend gerügt“, erinnert sich die Meisterin, die liebevolle Gedanken an ihre strenge, aber auch sehr herzliche Ausbilderin hegt. Und verstummt plötzlich. So wie das Rattern der Webstühle in der DDR nach dem Mauerfall. Wie viele Handwerksbetriebe schloss auch ihr Ausbildungsbetrieb. Doch sie entschied: „Ich würde weiterhin weben. Auf alten Stühlen.“

Ein solcher Webstuhl zog deshalb vorübergehend in eine Garage, Maike absolvierte ein auf das Handwerk zugeschnittenes BWL-Studium, gründete eine Familie und stand irgendwann in einem roten Backsteinbau in Hamburg-Bergedorf, in dem sie schließlich vor 17 Jahren ihre eigene Weberei einrichtete. „Es war das Oberlicht“, sie blickt zur Decke. „Als ich das sah, wusste ich, dass hier der perfekte Platz für meinen alten Webstuhl ist.“ Und so wuchsen ihre Kinder zwischen dem Rattern der Schäfte und dem Klackern des Schiffchens auf, tobten zwischen Garnrollen, Stoffbahnen und Knöpfen und „jedem anderen Material, das ich in die Finger bekam“. Federn, in Streifen geschnittenes Leder, aufgetrennte Stoffe und Perlen, es entstehen einzigartige Stoffe, aus denen sie Kleidung, Taschen, Lampenschirme, Kissen oder Objekte und sogar Schmuck entwirft.

Gemeinsam mit einer Schneidermeisterin entwickelt sie aus solchen Stoffen Kleidungsunikate, ihre glänzenden Abendkleider sind ein Traum, auf Maß für Kunden. Die fahren oder fliegen mittlerweile aus ganz Europa nach Bergedorf, um mit Maike ihren Stoff zu finden, quasi ihr Lebensmuster. Denn ein solches Kleidungsstück kauft man nicht einfach ein, man ist Teil eines Entstehungsprozesses: „Das ist aufregend und schafft eine besondere Verbindung zu dem, was auf dem Webstuhl und anschließend aus dem Stoff entsteht.“

Viele kleine bunte Rechtecke bedecken fast ein Drittel des Fußbodens ihres Ateliers: Gewebt für das Designerlabel Katharina Hovman aus Hamburg, schon bald werden sie als Teil eines Kleidungsstücks oder eines Schuhs durch die ganze Welt getragen. „Jeder Mensch erzeugt ein eigenes Lebensmuster, und ein Ausschnitt davon wird auf dem Webstuhl sichtbar“, so sind die Kleidungsstücke aus solchen Stoffen tatsächlich eine zweite Haut, die in nahezu allen Farben und Formen erscheinen kann.

„Das Großartige an meinem Handwerk ist, dass so viel möglich ist“, sagt sie und lehnt sich in ein großes Kissen aus gewebtem Leder. „Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass uns der Nachwuchs nicht ausgeht.“ Ob die Ernennung des Handwebens zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO im letzten Jahr dazu beiträgt? „Vielleicht. Am Ende sollte es darum gehen, sich als Gesellschaft tatsächlich für Nachhaltigkeit und Regionalität einzusetzen und Entscheidungen zu treffen. Dann würde das Handwerk insgesamt zumindest wieder auf stabilen Boden zurückkehren.“

Maike geht an den Webstuhl, den der Himmel gerade in Licht taucht. Fast sakral wirkt die Szene, zeigt die Kraft und die Verletzlichkeit dieses jahrhundertealten Handwerks. Einfach schön.

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