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Andora

BERÜHMT, BERÜCHTIGT

Text: Regine Marxen | Fotos: Vincent Niemann

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 61

„Wenn Legenden im Bett sterben, is’ das Scheisse. Dann lieber noch mal stolpern und hinfallen.“ Andora lacht laut, zieht an seiner Zigarette, grinst breit. Zurückhaltend ist der Mann nicht. Andora hat Präsenz – und eine ziemlich große Klappe. Berliner halt. Aber er kann sich das leisten, und irgendwie gehört das auch zum Konzept. Der erfolgreiche Pop-Art-Künstler hat sich durchgeboxt, Talent trifft auf einen starken Willen und einen schlauen Kopf. Seine Kunst hat es sogar ins All geschafft. Kein Scherz. Was für eine Vita. Eigentlich könnte der 65-Jährige sich entspannt zurücklehnen, auf Privatier machen. Stattdessen zog es ihn 2019 von Berlin nach Hamburg. Ein bunter Hund in Ottensen.

„Wenn ich mir anschaue, was ich allein seit 1992 gemacht habe, dann ist das doch eine Riesennummer.“ Die Rakete. Die Rennwagen. Der Kampfmantel von Henry Maske. Hamburg spielt in dieser Nummer eine wichtige Rolle. Begonnen aber hat sie in Ostberlin, wo Andora geboren wurde. Damals hieß er noch Andreas Hoge, und den roten Teppich ins Leben hatte er nicht. Dem DDR-Staatsapparat war der normfreie Widerborst suspekt, zwei Mal landete er im Gefängnis. Seinen Freiheitsdrang verpackte er in Worte, im Dunstkreis von Wolf Biermann und Bettina Wegner begann er zu schreiben. 1980 wurde er ausgebürgert, und so stand er da, in West-Berlin, und musste sich neu erfinden. Er begegnete den jungen Wilden Rainer Fetting und Salomé, die mit ihrer Galerie am Moritzplatz die Kunstszene herausforderten. Spannend, dachte er sich. Auch bizarr. Respektfrei. Gut bezahlt. „Das kann ich auch.“ Aus Andreas Hoge wurde der Maler Andora.

Und der ist ein gewiefter Stratege. „Ich habe meine Kunst selbst erfunden“, fasst er zusammen. Aus ganz pragmatischen Gründen. In Berlin, Hamburg und dem Rheinland entwickelte sich eine dynamische Künstlerszene, in der sich der Autodidakt Andora einen Platz ermalen wollte. „In den 80er-Jahren aber waren alle Wände bereits voll bemalt“, sagt er. Also begann er, Alltagsgegenstände als Leinwand zu nutzen. Schuhe zum Beispiel. Auch heute trägt er ein Paar dieser Kunst-Treter. Eigenwillig. Auch lustig. Überhaupt ist alles in seinem Atelier im Souterrain eines ehemaligen Fabrikhofs bemalt oder beschrieben. Die Ledercouch, die Heizungsrohre, das Mauerwerk, überall stehen Leinwände, Installationen, Pinsel, Farben. Mittendrin sitzt der Meister selbst.

Ebenfalls farbbesprenkelt, quasi im Camouflage-Look. Der Geruch von Lack und Zigarette liegt in der Luft.
Aber wir schweifen ab, zurück in die 80er-Jahre, wo seine Karriere Fahrt aufnahm: Die bekannte Modedesignerin Erika Knoop wurde auf Andora und seine Schuhkunstwerke aufmerksam. Zack, es folgten Auftritte in der „Vogue“, bei Alfred Biolek, im TV. Andora wurde zum Star, reiste um die Welt – und landete in den 90er-Jahren in Hamburg.

Rund zehn Jahre lebte und arbeitete er hier. In diese Zeit fallen seine großen Erfolge. Im Rahmen seiner Reihe „West World“ bemalt er einen DTM- und einen Formel-1-Wagen, unterstützt vom Tabakunternehmen Reemtsma. „Das schnellste Bild der Welt“, schrieb die Presse damals. Für Henry Maske bemalte er den Bademantel, in dem der Boxer zum Ring schritt. Er hängt heute irgendwo im Atelier. Und dann war da noch die Rakete. 57 Meter lang, 13 Meter Durchmesser, was für eine Leinwand.
Das war sein Wunschtraum. Eine sowjetische Raumfahrtrakete zu bemalen. Als Kind hätte er schon die Sterne beobachtet, aus dem Fenster im vierten Stock in einem Ostberliner Wohnhaus. Russische Kosmonauten wären in der DDR Helden gewesen, erzählt er. Mit Sponsorengeldern und Verhandlungsgeschick sollte dieser Traum 1992 wahr werden. Als Zeichen der Völkerverständigung flog sein Werk ins All. Andora legte noch eine Ausbildung zum Astronauten nach, ist Mitglied der kosmonautischen Streitkräfte. Oder besser war, mit Russland will er heute, nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, nichts mehr zu tun haben. Auch so eine Geschichte.

Eine von vielen, er kann endlos erzählen. Vom legendären US-Tattoo-Artist Lyle Tuttle, der ihm sein erstes Tattoo gestochen hat – mit der Maschine, mit der er bereits Janis Joplin tätowiert hatte. Von Koks-Exzessen. Von der Eckfahne, die er für die 1. FC Union Berlin entworfen hat. Für ihn heute das viel größere Ding als die Rakete. Von seinem Umzug von Hamburg nach Berlin, von der Liebe, die ihn 16 Jahre begleitete, von ihrem Tod, dem Gefühl des Verlorenseins. Von der Rückkehr an die Elbe im Dezember 2019 mit Hilfe von Freunden und den neuen Ausstellungen, die er mit ihnen plant. Davon, dass er hier im Atelier alles bemalen wird. Dass er an zehn Bildern gleichzeitig arbeitet. Immer. Davon, dass er 80 Jahre alt werden will. „Man will ja nicht mit dem Rollator vorrollen bei den Frauen.“ Von der Tatsache, dass nicht die erste, sondern die letzte Liebe im Leben zählt. Darüber, dass er gerade glücklich ist. „Hier ziehe ich nicht mehr aus. Hier werde ich sterben.“ Ja. Vielleicht. Aber mit Sicherheit nicht an Langeweile.

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