Christin Siegemund
GRÜNDERIN & CEO FOODLAB
Text: Stevan Paul, Fotos: Brita Plath
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 49
Wenn Christin Siegemund von ihrem langen Weg zum foodlab Hamburg erzählt, gewinnt man den Eindruck, alles habe sich ganz natürlich ergeben. Tatsächlich brauchte es mehr als nur Fortune und hilfreiche Zufälle, um das foodlab im Elbtorquartier der Hafencity Wirklichkeit werden zu lassen. Dieses Mammut-Projekt einer kulinarischen Denkfabrik ist weltweit einzigartig. Das foodlab ist Co-Working-Space und praktisches Versuchsfeld für Gastronom*innen und Food-Start-ups, eine Ideenschmiede, in der die kulinarischen Trends der Zukunft interdisziplinär erarbeitet werden. Es ist das größte seiner Art mit einer Fläche von 1156 m², Treffpunkt einer neuen Generation von Food-Entrepreneuren, dem Handel, der Industrie – hier kommen sie zusammen, arbeiten, lernen und profitieren voneinander.
Im Obergeschoss findet sich der Co-Working-Space mit bodentiefen Fenstern und Blick auf die Norderelbe. Internet, Schließfächer und Flatrate-Getränke sind in der Tischmiete von derzeit 500 Euro enthalten – der Kontakt und Austausch mit Gleichgesinnten der unterschiedlichsten Disziplinen ist inklusive. Einzigartig ist die Kombination mit einer öffentlichen Gastronomie. Das angeschlossene Café der Hanseatic Coffee Company wandelt sich abends zur Wein-Bar. Im Restaurant probieren zukünftige Gastronom*innen und Köch*innen im monatlichen Wechsel ihre neuen Konzepte aus. Küche und Service arbeiten dabei für echte Gäste, das Restaurant ist jetzt schon so beliebt, dass eine Reservierung dringend empfohlen ist!
Der puristisch-elegante Gastraum geht fließend über in die offene Küche, Designerlampen schaffen den optischen Brückenschlag vom Gast- in den Arbeitsraum. Weitere Versuchsküchen schließen sich an, in denen neue Ideen und Produkte in Ruhe entwickelt werden können. Ein Fermentations-Labor ist in Planung, ein Foto- und Event-Studio für Produkt-Shootings oder Kochbuchproduktionen existiert bereits. Zur Eröffnung am 16. Juli 2020 schaute auch Michael Westhagemann vorbei. Der Senator für Wirtschaft und Innovation versteht, was das foodlab für den Standort Hamburg bedeutet: Es ist ein Leuchtturm-Unternehmen von internationaler Strahlkraft für kulinarische Zukunftsideen aus der Hansestadt.
Zu verdanken ist das Unternehmerin und Geschäftsführerin Christin Siegemund (39), die erst mal Schriftstellerin werden wollte. Einen Berufswunsch später arbeitet die studierte Kommunikationswirtin als Kontakterin in der Werbung, dort schätzt sie die Nähe zur Kreation. Im Marketing beim Sportswear-Hersteller Golfino fehlt ihr dann die Kreativität, sie kontrolliert Zahlen und Menschen. Ausgleichend startet sie 2013 ihren Foodblog Hamburger Deern, veröffentlicht in den Anfangsjahren von Social Media Restauranttipps für die Hansestadt. Eine Schwangerschaft ändert die Prioritäten, erste Rezepte aus der eigenen Küche erscheinen, der Blog wächst mit den Zwillingsmädchen, die heute sechs Jahre alt sind. Im Blog denkt sie auch das heutige foodlab vor, zeigt kulinarische Start-ups, unterstützt Gründern*innen mit ihrer Marketing-Expertise: „Die Vernetzung fehlte, eine Produktionsküche, die Zertifizierungen, der Kontakt zu Unternehmen und Presse. Alle hatten dieselben Fragen.“ Fragen, die heute im foodlab auf dem kurzen Dienstweg geklärt werden können, von der Idee über die Finanzierung bis zur Marktreife. 2018 schreibt die Hamburgerin den ersten Businessplan zum foodlab. 2019 findet sie über die BDA-Architekten Kerstin Heyroth und Ralf Kürbitz zur Immobilie, das Erd- und Warftgeschoss des Watermark-Gebäudes war ursprünglich für eine große Vollgastronomie ausgeschrieben. Die Architekten haben schon Kevin Fehlings „The Table“ als Gesamtkonzept entworfen und die „Hobenköök“ gestaltet, das Büro übernimmt in Folge auch das Design des foodlabs. Für „die Küche“ holt Siegemund sich Antje de Vries ins Team, die als freie Köchin schon auf der ganzen Welt gearbeitet hat und ihre Expertise in die Planung einfließen lässt: „Antje hat dann gleich fünf Küchen geplant.“ Der Ausbau beginnt am 15. März, zeitgleich mit dem Corona-Lockdown, es wird ein Hoffen und Bangen: „Heute leben wir damit.“ Der frischgebackenen Unternehmerin helfen in dieser Zeit ihr Optimismus und ihr Urvertrauen in Menschen.
Mit einem starken Team und der Unterstützung von Branchenprofis und Freunden hat es Christin Siegemund geschafft.
Dabei gelang es auch, das Projekt ohne Investoren zu stemmen, sich die eigene Freiheit mit einem Bankkredit, Baukostenzuschüssen und privatem Geld zu erhalten. An dieser Stelle ist das foodlab auch Familienunternehmen: Siegemunds Mann ist Unternehmensberater, Mutter Elisabeth Buchhalterin. Zur foodlab-Familie gehört auch ein weibliches Führungsteam, die geballte Frauenpower war zunächst Fügung: „Alle aus meinem Team haben mich mehr oder weniger gefunden.“ Dahinter steht aber auch die Tatsache, dass in Deutschland nur 15 Prozent aller Gründer*innen weiblich sind. Das möchte Siegemund ändern, Frauen ermutigen, den eigenen Weg zu gehen.
Für ihr eigenes Unternehmen sind Siegemund auch ein unabhängiger Blick und die beständige Experten-Expertise wichtig, darum hat das foodlab einen Beirat, dem u.a. Medienprofi Gabriele Mühlen und der Spitzenkoch und Unternehmensberater Christian Rach angehören, Letzterer zählt zu den frühen Vordenkern nachhaltiger Betriebsführung in der Gastronomie.
Nachhaltigkeit und Low Waste gehören ganz selbstverständlich zur Philosophie des Unternehmens. Im Haus findet sich auch ein Hightech-Komposter der innerhalb von nur 20 Stunden organische „Küchenabfälle“ in Humuserde verwandelt. Die wiederum könnte der Start für ein Side-Projekt sein: selbstverwaltete Hochbeete für die Kinder der Nachbarschaft im nahen Park. An Ideen für morgen und übermorgen mangelt es der Gedankenschmiede foodlab anscheinend nie.
„Es ist alles einfach so passiert“, resümiert Siegemund am Ende unseres Gespräches – und muss selbst ein bisschen lachen.