top of page

Christoph Busch

ZUHÖR-KIOSK

Text: Regine Marxen | Fotos: René Supper

DH2002_Titel_S.jpg

Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 59

„Ich glaube, mir war nach Abenteuer“, sagt Christoph Busch. „Verrückt, was daraus geworden ist.“ Das Abenteuer begann an einem Novembertag 2017. Der Autor und Drehbuchschreiber stand am Bahnsteig der U2, Haltestelle Emilienstraße, Eimsbüttel, und betrachtete den leer stehenden Kiosk zwischen den Gleisen. Eine Idee wuchs in ihm. Wie wäre es, das Büdchen zu mieten, um dort zu schreiben – und nebenbei neue Geschichten zu sammeln. Nicht nur durch Beobachtungen des ungeschönten Trubels an einem Hamburger U-Bahnhof, sondern durch Zuhören. Wenn er dort wartenden Menschen die Möglichkeit geben würde, ihm zu erzählen, was sie gerade beschäftigt, würden sie sie nutzen?

Ein verlockender, spannender Gedanke. Busch war schon immer jemand, der gern macht. Der Mittsiebziger hat schon als Taxifahrer gearbeitet, studierte Jura, verkaufte auch mal Antiquitäten. Warum also sollte er dieses Experiment nicht wagen? Gedacht, getan. Er kontaktierte die Hochbahn, und wenige Wochen später richtete er seine Schreibstube zwischen den Gleisen ein. Zwei Klappstühle auf acht Quadratmetern, grüne Vorhänge, Bücher, ein Buddelschiff, allerlei Gesammeltes als Dekoration für die leeren Regale und ein Schild am Fenster: „Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich oder ein anderes Mal.“ Zum Schreiben sollte er an diesem Ort allerdings nicht mehr kommen. Denn die Menschen kamen, und das zahlreich. Sie blieben an seiner Luke stehen oder traten ein, erzählten ihm ihre Geschichten – und das machte etwas mit ihm. „Sie ließen mich in ihr Leben blicken, und ich fragte mich, wie es mir an ihrer Stelle ergehen würde. Ich lernte etwas über mein eigenes Gefühlsleben“, erinnert er sich. Am Anfang hätte er sich noch Notizen gemacht, es dann aber sein lassen. „Der Verwertungsgedanke von Geschichten für mich als Autor ging dabei verloren.“
Das, was als Nebensache geplant war, wurde zum Hauptakteur. Aus der Schreibstube wurden der Zuhör-Kiosk und ein gemeinnütziger Verein, und Christoph Busch hat inzwischen ein Team von rund 15 ehrenamtlichen „Ohren“ um sich geschart.

Es ist eine bunt gemischte Truppe, die sich digital organisiert, um wirklich alle Tage und Schichten im Kiosk zu besetzen. Montags bis freitags von 12 bis 18 Uhr sind sie vor Ort ansprechbar. Jeder von ihnen macht Menschen ein bisschen glücklicher. Weil man mit ihm oder ihr reden kann.

Was aber ist das Geheimnis des Zuhör-Kiosks, was bringt die Menschen hier zum Sprechen? „Er ist ein neutraler Ort, und wir, die wir in ihm sitzen, sind keine Coaches oder Therapeuten. Wir geben kein Thema vor, wollen die Besuchenden nicht optimieren, ihnen etwas beibringen, etwas mit ihnen erreichen. Wir hören eben nur zu.“ Wobei die Ohren nicht nur lauschen, sondern auch mal nachfragen oder Anteil nehmen. Manche der Gespräche dauern nur wenige Minuten, andere länger als eine Stunde. Viele der Kiosk-Gäste schauen vorbei, weil sie zufällig auf die kleine Bude am Gleis stießen. Andere haben zum Beispiel über die sozialen Medien oder in Zeitungen und Magazinen von ihr erfahren und fahren extra dorthin. Busch hat schon den unterschiedlichsten Leuten Gehör geschenkt, Schülern, Älteren, jungen Müttern und Vätern. Jedes Leben, sagt er, sei voll von Geschichten und nie sei eine langweilig. Man muss eben nur genau hinhören, die Wendungen erkennen, den Kern des Gesagten ergründen.

Wer als Ohr im Verein aktiv werden will, muss empathisch sein. Er oder sie sollte ein Gespür haben für Situationen und Stimmungen, neugierig auf Menschen sein, Spaß am Gespräch haben und Vertrauen stiften können. Das ist wichtig, denn nicht selten öffnen Besuchende an diesem Ort ihr Innerstes. Sie erinnern sich an ihre Kindheit in Armut, erzählen davon, dass sie ihre Liebste nicht mehr pflegen können, und von der Angst vor Zeugnissen. Leben ohne Filter. Sie berichten in dem Wissen, dass sie dem Zuhörenden nie wieder begegnen werden. Obwohl, manche von ihnen kommen öfter am Kiosk vorbei, halten kurz an der Ladenluke inne und verraten, wie es ihnen inzwischen ergangen ist. Schließlich hat man hier stets ein Ohr für sie.

Das Leben schreibt die besten, manchmal auch überraschendsten Geschichten. Die des Zuhör-Kiosks ist definitiv eine von ihnen. Gute Storys brauchen eben nicht viel: eine Bude und Menschen, die etwas daraus machen. Miteinander. Wenn das kein Happy End ist.

bottom of page