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Hubertus Meyer-Burckhardt

TV-PRODUZENT & SCHRIFTSTELLER

Text: David Pohle | Fotos: Sebastian Fuchs

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 54

Große Elbstrasse, erster Stock. Aus den Fenstern schaut man auf die Hallen des echten Fischmarkts, dahinter die Elbe. Es ist elf Uhr, die Fisch- und Kühleisreste der letzten Nacht sind weg, wer die Augen schließt, tief durch die Nase atmet, ahnt, wo er ist. Meyer-Burckhardt ficht das nicht an, er ist hier Untermieter. Christian Rach hat ihn aufgenommen, beide sind mit Mitte 60 ähnlich alt. Meyer-Burckhardt, fortan MB, macht nur noch, wozu er Lust hat. „Ich hätte viel falsch gemacht, wenn ich mit 65 noch nicht unabhängig wäre.“

Ich bin auf die Minute pünktlich. Bin ich sonst auch, aber MB hat – so schreibt er an unterschiedlichen Stellen – ein echtes Thema mit der Zeit. Vor allem will er sie nicht verplempern. Die Hürde also genommen, gibt es eine freundliche Begrüßung und einen Kaffee auf die Hand. „Ich bin ein Lebensunternehmer, habe immer gedacht, was man jetzt noch so anstellen könnte“, beginnt MB. Und ihm ist immer was eingefallen, nachdem er Kassel mit Abitur in der Tasche in ein Ziel verließ, das nur eine Bedingung erfüllen sollte: Es musste mehr als eine Mil­lion Menschen haben. Das Schicksal fiel 1977 auf Berlin, um Geschichte und Philosophie zu studieren. „Erstmals etwas, wofür ich mich wirklich interessiert habe.“ Ein Jahr später wechselt er an die Elbe. Frauen faszinieren ihn bereits damals, doch in Hamburg – mit dem Studiengang – und ohne Kohle, dazu aus Kassel kommend, „bist du nicht sehr sexy“.

Außerdem waren die tollen Mädchen schon besetzt durch Kindergarten- oder Hockeyclubfreunde.
„Ich hatte keinen konkreten Plan, aber ich wusste, ich will irgendwie an die Schnittstelle von Kapital und Kreativität.“ Initiativ bewarb er sich bei Boy Gobert am Thalia Theater, arbeitete drei Monate ohne Geld als Regieassistent. Gobert beeindruckt der junge Kerl. Er schiebt ihm einen Umschlag mit 2000 Mark rüber, MB folgt ihm, geht wieder nach Berlin. „Hamburg ist eine Beziehungsstadt, fast aristokratisch. Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt. Ich kannte niemanden, in Berlin waren sich alle gleich fremd und damit neugierig aufeinander.“ Gobert habe ihm damals gesagt, er wolle mal in eine Stadt, wo Kultur die Hauptspeise ist. Und nicht nur das Dessert. MB glaubt, er lächelt dabei, er sei ganz gut in dem Job gewesen, denn er zieht nach München weiter, wird an der Hochschule für Fernsehen und Film unter 800 Bewerbern als einer von nur 24 angenommen. „Ich hatte viele Pläne im Kopf, wichtig war mir aber immer, mich nicht einengen zu lassen, frei zu sein. Deshalb mag ich mein Büro an der Elbe auch so sehr, wenn Schiffe kommen und gehen.“ MB fängt an Werbefilme zu drehen, richtig Geld zu verdienen.

„Ich wollte gar nicht reich und berühmt werden. Ein gutes Leben haben, ja, das war der Gedanke.“ Mit einer Mischung aus Instinkt und Freiheitswillen lernt er die Welt kennen, sieht das Leben auch für sich als eine Reise, wird in den Vorstand des Axel-Springer-Verlags – „da kann man sich ja nicht bewerben“ – berufen, Geschäftsführer bei Polyphon, sitzt in Aufsichtsräten, schreibt Bücher, hat 34 Spielfilme gemacht, zahllose Dokumentationen und ist seit 14 Jahren nun an der Seite von Barbara Schöneberger Gastgeber der „NDR Talk Show“. „Obwohl ich das Wort nicht so gern mag, ist man wahrscheinlich ein besserer Moderator, wenn man beruflich – so wie ich – eine bürgerliche Existenz, z.B. als TV-Produzent, hat und so verortet werden kann. Erfahrung und auch ein gewisses Alter helfen sicher.“

Vor zwei Jahren wird Krebs diagnostiziert. Faul sind sie, die Karzinome, die er auf Anraten seiner Frau Dorothee nach seinen Lieblingsschriftstellern Kafka und Shaw tauft. „Du hast zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn du begriffen hast, dass du nur eins hast“, sagt MB und fügt hinzu: „Ist nicht von mir. Aber gut.“ Er schreibt ein Buch, auf dem Cover steht „Diese ganze Scheiße mit der Zeit“. Und ein MB, der bestimmt und kampfeslustig voller Optimismus in die Zukunft blickt und sehr launig über seine Entdeckung des Jetzt schreibt. „Heute blicke ich zurück und reflektiere voller Dankbarkeit. Vieles ist gelungen, manches nicht. Aber Niederlagen gehören zu einem erfüllten Leben ja dazu.“ „Die Einschläge kommen näher. Meine Freunde sind plus/minus zehn Jahre älter oder jünger als ich, da hagelt es schon deutlich mehr als früher rein.“ Ob er etwas verändert habe? Sicher, früher hatte er 220 Flüge im Jahr, war schwer durchgetaktet und genoss es. Corona, Gott sei’s gepfiffen, habe allen, ihm auch, geholfen, ein ausgeprägteres ökologisches Bewusstsein zu entwickeln. „Ich bin jetzt einfach sensibler mit meiner Lebenszeit, mache nur noch Sachen, die ich wirklich machen möchte.“ Wie die Kaskaden der Wasserspiele am Herkules in Kassel sieht er das. Abwärts natürlich, aber nicht als Niedergang. „Auf diesem Weg habe ich alle Mandate aufgegeben, schon vor der Diagnose damit begonnen. Bin kein Vorstand, kein Aufsichtsrat, kein Geschäftsführer mehr. Aber ich bin nie im Streit gegangen und würde überall noch einen Kaffee bekommen.“

Das habe gutgetan, dieses Freimachen. „Ich hänge emotional nicht an Orten, schon gar nicht an Funktionen. Nur an Menschen.“ Und er ist – ganz Lebensunternehmer eben – voller Ideen, ein neuer Film soll kommen, ein neuer Buchvertrag – „ein Pakt mit dem Teufel. Und du brauchst einen guten Masseur, der beim stundenlangen Schreiben hinter dir steht“ – ist unterzeichnet. „Langweilig wird mir nie. Ich bin sehr gern allein, liebe Musik, bin hin und wieder fast ein Eigenbrötler. Alle denken ja, ich sei so gesellig. Das ist ein Irrtum, ich sitze oft allein im Büro, brauche nichts um mich herum, und Einsamkeit kenne ich nicht.“ Er mutmaßt, dass das in der Kindheit begründet liegt. Seinen faschistoiden Vater warf er mit zwölf Jahren aus dem Haus, seine Mutter mit all ihrer bedingungslosen Liebe war alleinerziehend, musste arbeiten.
Hubertus saß in der leeren Wohnung. Und genoss es. Das hätte auch
anders ausgehen können.
Ob er mit seinem Leben heute so allgemein zufrieden ist, möchte ich wissen. Da macht er sich gerade, echauffiert sich fast. „Zufrieden gibt es nicht in meinen Sprachgebrauch, Stolz übrigens auch nicht. Ich ersetze beides durch glücklich. Zufrieden klingt für mich nach Behörde und Beamtentum. Meine Mutter gab mir mit, dass Glücklichsein eine Entscheidung ist.“ Sein alter Weggefährte Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der „ZEIT“, erzählte einst, dass MB an einer Mülldeponie, wo eine einzige Rose steht, nur die Blume sieht. „Ich interessiere mich eben mehr für Blumen als für Müll. Und – meine Frau nervt es manchmal – dass ich immer nur das Positive auch im Schlechten sehe. Andere sehen es andersrum.

Irgendwas geht immer, sagt man im Ruhrgebiet. Und das ist auch meine Haltung.“ Und Hamburg? Ist das jetzt Liebe geworden? Neben seiner großen Liebe Dorothee? „Bedingt: Ich habe vor allem in vier Städten gewohnt, Düsseldorf, Berlin, München. Und hier. Und die sind wie vier Freunde, die man nicht gemeinsam einladen würde, weil sie so unterschiedlich sind. Hamburg genügt sich selbst, mag keine Überraschungen. Hier sagt man, wenn du einen Freund findest, dann hast du den für immer.“ Da schüttelt es ihn etwas. „Das will ich doch gar nicht. Was ist denn bloß die Faszination von Dauer? Warum muss etwas lange dauern, ist es dann wertvoller?“, denkt er laut. „Na ja, ich bin eben das Gegenteil eines Ritualmenschen.“ Fügt hinzu: „Hamburg ist vernunftbetont. Protestantische Handelsstadt eben. Hier möchte man immer vorher wissen, worum es geht, ist es Ernst – ist es Ironie, ist es Liebe – ist es Sex, ist es Beruf – ist es privat? Der Katholik lebt es und findet später raus, was es war.“ Eigentlich passt das ganz gut zu ihm. Die Vernunft älterer Tage jedenfalls. Nie habe er der Versuchung nachgegeben, einen Porsche zu fahren. Lieber habe er einen Sportwagen auf der Bank gehabt. Und – ganz französisch – Geld stattdessen in Essen, Trinken, Bücher und Reisen investiert. Ins Leben eben. „Der Soundtrack meines Lebens ist ohnehin der Rock ’n’ Roll. Ich muss mir deshalb auch nicht den Vorwurf machen, sonderlich viel verpasst zu haben. Heute bin ich ganz entspannt und übrigens auch sehr glücklich.“ Wie ein echter Hamburger eben.

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