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Anatol Kotte und Oliver Heinemann

KHROME

Text: Regine Marxen
Fotos: Julia Schwendner

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 53

„Film is not dead“ steht in weißen Lettern auf schwarzem Grund. Der kleine Aufkleber prangt oben mittig auf der Glastür eines Kühlschranks. Im Inneren lagern Filme von Kodak, Agfa oder Fujifilm. Nein, der Fotofilm ist nicht tot. Der Beweis dafür ist der Raum, in welchem besagter Kühlschrank steht. „Khrome. Analog | Cameras | Film | Lab“ ist von draußen auf der Schaufensterscheibe zu lesen. Im Inneren lagern in den Vitrinenregalen vor verspiegelten Wänden unendlich viele analoge Kameras, Objektive und allerlei Zubehör. In der Mitte, gegenüber der Eingangstür, befindet sich ein kleines Minimuseum mit Fundstücken wie dem fotografierenden rosa Plüschhasen oder dem Räuchermännchen mit der kleinen Kamera, die ihm vor dem massigen Bauch baumelt. Links davon liegen neben den günstigen Instax-Sofortbildkameras die hochpreisigeren Schätze, Kameras von Leica zum Beispiel, für die man schon mal mehrere Tausend Euro hinblättern kann. Oder die gebrauchten Sammlerstücke von Miranda oder Ansco.

Letztere kennt laut Oliver Heinemann, Fotograf und einer der beiden Inhaber des Fachgeschäfts, „kein Schwein“. Er hält die „Anscomark“ in den Händen. Die Kamera ist topgepflegt und ziemlich schwer. „Ich mag ungewöhnliche Kameras wie diese. Sie wurde in den 1960er-Jahren in Japan entworfen, und zwar speziell für Amerikaner. Sie sieht aus wie eine Tankstelle. Völlig absurd, dieses Design. Aber liebevoll.“ Er grinst. „Ich habe da wirklich Spaß daran.“ Damit meint der 41-Jährige nicht nur diesen Apparat, auch wenn er zu seinen persönlichen Lieblingen zählt. Ihn fasziniert die Idee der analogen Fotografie, er liebt das Material, das Leder, das Klicken, wenn der Film weitertransportiert wird. Er ist überzeugt: „Wer Fotografie wirklich erlernen will, für den ist die analoge Fotografie ein Muss. Da kannst du nicht einfach abdrücken und sehen, was passiert. Du musst dich disziplinieren, wirklich sehen. Sehen ist die Essenz des Ganzen. Das ist es, worum es geht.“
Oliver Heinemann weiß, wovon er spricht. Seine beruflichen Wurzeln liegen – natürlich – in der analogen Fotografie. Damals, Anfang der 2000er-Jahre, hätte es im professionellen Bereich keine digitale Technik gegeben. Erlernt hat der dreifache Familienvater das Handwerk bei Anatol Kotte. Dem Mann, mit dem er jetzt das Fachgeschäft Khrome eröffnet hat.

Sieben Jahre hat Heinemann Kotte als Assistent begleitet, bis er sich schließlich mit Schwerpunkt Architektur-Fotografie selbstständig gemacht hat. Das lief gut, aber die Zeit war reif für eine beruf­liche Veränderung. Was tun? „Ich komme aus einer Retail-Familie“, sagt Oliver. „Ich habe mich damit nie identifiziert. Aber irgendwann stand ich da und dachte: Vielleicht kannst du das ja auch? Verkaufen. Und zwar das, wofür du dich ehrlich begeisterst.“ Er mietete das Erdgeschoss in der Kaiser-Wilhelm-Straße 73 an – rund 500 Quadratmeter mit mehreren Räumen. Als Anatol ​
Kotte ihn dort im Dezember vergangenen Jahres besuchte, war das der Startschuss für ihr gemeinsames Unternehmen. Der
Fotograf musste seine Berliner Galerie „Capitis“ schließen – Corona sei Dank – und suchte Lagerraum für das Inventar. Er sah die Räumlichkeiten, Heinemann erzählte von seinen Plänen. Das war der Initialmoment. Vier Monate später hatten die beiden den fertigen Businessplan in der Tasche.

Kotte und Heinemann vereint mehr als die berufliche Vergangenheit. Beide teilen diese tiefe Leidenschaft für die analoge Fotografie, sammeln Kameras, verfügen über ein unendlich großes Archiv an Analoggeräten. Aber die Idee, die das Duo entwickelt hat, geht weit über die Eröffnung eines Fachgeschäfts für Analogfotografie hinaus. In ihrer Karriere haben sie viele Orte porträtiert – hier wollten sie selbst einen schaffen. Einen Ort der Begegnung, den es so in Hamburg noch nicht gibt. Das Herz des Ganzen ist der Laden mit den Analoggeräten, flankiert werden wird er von einem Fotolabor, einer Bibliothek als Treffpunkt und einem Workshop-Raum, in dem Oliver unter anderem sein Wissen um den Beruf des Fotografen weitergeben wird. „Da wird es weniger um die Technik gehen als um die Frage, wie ich mich als selbstständiger Fotograf aufstellen muss, um zu überleben.“ Aber das ist noch nicht alles. Zum Laden zählen auch die drei Galerieräume und ein Restaurant, das derzeit geschlossen hat und das Oliver Heinemann gern abgeben möchte. Erste Pläne für die Zusammenarbeit mit einem bekannten Hamburger Koch haben sich ob der Pandemie verzögert. Die Galerie aber ist bereits an den Start gegangen, und das fulminant. Andreas
Mühe präsentierte hier – in der neuen Hamburger Galerie
„Capitis“ – Ende September seine Ausstellung „Mischpoche“.
Die Galerie wird Kottes Schwerpunkt sein. Der 58-Jährige hat nicht vor, seine aktive Karriere als Fotograf an den Nagel zu hängen. Er braucht das, definiert sich als Künstler. „Viel mehr als ich“, sagt Heinemann. „Ich habe mich immer eher als Handwerker gesehen. Meine emotionale Bindung zu
meinen Bildern war auch weitaus weniger intensiv, als es bei Anatol der Fall ist.“ Von daher wird es Heinemann sein, der sich um das alltägliche Geschäft, den Verkauf, um den Aufbau des
Ladens und des zugehörigen Labors kümmern wird. Verstärkung erhält er durch Christopher Gorski, der sich unter anderem im Verein „Analogfilmwerke“ engagiert. Er ist genau der richtige Mann für das Fotolabor. „Die Leute vertrauen uns ihre Werke an, die sie über Tage erarbeitet haben. So ein Film ist teuer, den knipst du nicht einfach so weg. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Bereich funktioniert. Genau deswegen starten wir damit auch erst, wenn die Technik einhundertprozentig funktioniert.“

Fotografie kann ein emotionales Geschäft sein. Es ist von Vorteil, darum zu wissen. Es geht um mehr als um Technologie. Oliver Heinemann freut sich über das, was hier zwischen der Laeiszhalle und den Stadthöfen entstanden ist.

Er gehe mit einem Lächeln hierher. Auch wenn die Baustelle vor der Tür nervt, Corona so manches gehemmt hat und es noch immer tut. „Ich übe mich in Geduld. Wir kommen doch gerade aus den ganzen Problemen, es kann doch nur besser werden.“ Den idealisierenden „Früher war alles besser“-Blick zurück mag er nicht, übrigens ein Grund, warum er auch den Begriff „Retro“ nicht mag. Das klingt für ihn melancholisch nach Abschied. Das Khrome mag Retro wirken, ist es aber nicht. Hier schaut man nach vorn, mit all dem Equipment und Know-how der Vergangenheit im Gepäck. Denn Film ist noch lange nicht tot.

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