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Mirko Bonné

SCHRIFTSTELLER

Text: Regine Marxen | Fotos: Jan Northoff

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 62

Dass Mirko Bonné jetzt, nach zwei Jahren, in der Isestraße in Harvestehude angekommen ist, hat viel mit Benno Romik zu tun.

Dessen Name ist nicht nur ein Anagramm von Mirko Bonné, er hat auch sonst einiges mit ihm gemeinsam. Beide leben in der Isestraße, blicken aus ihrem Arbeitszimmer auf das Hochbahn-Viadukt und beobachten von ihrem Raucherbalkon die Menschen in den U-Bahnen. Kurze Blitzlichter in fremde Leben, untermalt vom ratternden Sound der Gleise. Aber es gibt einen Unterschied: Der eine ist fiktiv, der andere nicht. Benno Romik ist Protagonist in Mirko Bonnés aktuellem Roman „Alle ungezählten Sterne“. Er ist, sagt der Autor, eine Art Avatar. „Ich habe mit seiner Hilfe etwas durchgespielt.“

Wie wäre es, zwölf Jahre älter zu sein, zu wissen, dass es bald zu Ende geht? Wie könnte so eine letzte Reise aussehen, über welche Brücke muss man da gehen? Romik ist pensionierter Brückenkommissar, 70 Jahre alt, verwitwet, krank. Ihm bleibt, so die Diagnose, nicht mehr lange zu leben. So beginnt der Roman. Aber statt des Sensenmannes tritt Hollie Magenta auf den Plan. Die junge Frau gehört zu den Zertrümmerfrauen, die in Hamburg Luxus-Autos abfackeln. Als sie sich auf der Flucht vor der Polizei verletzt, gewährt Benno ihr in seiner Wohnung Unterschlupf.

Er baut vielleicht seine letzte Brücke – nicht nur zu Hollie. Das Thema böte Raum für Kitsch. Doch das passt nicht zu Mirko Bonnés Erzählstil. Seinem „Brückenpharao“, wie Hollie ihn nennt, hat
er eine entspannte Struppigkeit verliehen – und einen Hang zu verspielten Sprachgebilden.

Ho – Hohn
Lie – Lieferpizza
Ma – Maximalgenie
Gen – Genuschel
Ta – Tamtam

Ich bin Hollie. Hollie Magenta.
(Leseprobe: „Alle ungezählten Sterne“)

Bonné verleiht seinem Text Rhythmik. „Heimlich poetisches Sprechen“ nennt er diesen Kunstgriff.
Das Gedicht ist für ihn die literarische Königsdisziplin. Seit über 40 Jahren schreibt Bonné. Der Durchbruch kam 2013 mit seinem Roman „Nie mehr Nacht“, der auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis kam. Inzwischen kann der 58-Jährige von seiner Tätigkeit als freier Schriftsteller und Übersetzer leben. „Ich habe mir oft gewünscht, nicht Künstler sein zu müssen. Oft verlangt es einem zu viel ab.“ Aber was kann man gegen das eigene Talent ausrichten? Den ungefilterten Mirko Bonné liest man auf seinem Blog „Das Gras“. „In jedem Augenblick des Lebens besteht die Möglichkeit zur Poesie und somit zum Wunder“, schreibt er in einem Post. Im Interview erzählt er, dass es für ihn persönlich nichts Erfüllenderes gebe, als ein stimmiges Gedicht geschrieben zu haben. „Eines, das aus meinem Leben entstanden ist, das ich mit einer eigenen Musik erfüllt habe und das gut auf dem Papier aussieht.“ Trotzdem hat er bisweilen versucht, gerade das Dichten sein zu lassen. „Es beansprucht zu viel Lebenskraft. Aber Gedichte sind wie Unkraut, das durch die Autobahndecke bricht.“

Die Samen für das Unkraut – Gedanken, Erlebnisse, Lektürefundstücke – sammelt er in Notizbüchern, von denen er immer eins bei sich trägt. Rund 50 davon stehen auf dem Fensterbrett seines Arbeitszimmers. Er schreibt auch gern am Küchentisch, abends, wenn die Kinder schlafen. Dort, wo die Spuren des Tages noch fühl- und sichtbar sind. Schreiben kann einsam machen, weil man für sich ist. Es kann aber auch verbinden. Seine Frau Juliette Aubert-Affholder hat er über die Literatur kennengelernt. Sie hat seinen Roman „Der eiskalte Himmel“ ins Französische übersetzt. „Die Übersetzung ist die innigste Form der Lektüre“, sagt Bonné. Er selbst hat Werke von Joseph Conrad, Henry James, John Keats oder Antoine de Saint-Exupéry ins Deutsche übertragen. Seine 2023 erschienene Übersetzung von Oscar Wildes Lebensbeichte „De Profundis“, auf Deutsch „Aus der Tiefe“, wurde als kongenial und feinsinnig gefeiert. Das Übersetzen erfüllt Mirko Bonné. „Bis der Druck, die Deadline einzuhalten, zu groß wird.“ Dann freut er sich aufs Erzählen, aufs Dichten. Das Unkraut will durch die Betondecke.

Manches muss eben raus. Das gilt auch für die Liebe zum Fußball. Als er mit zehn Jahren vom Tegernsee nach Hamburg zog, nahm er den FC Bayern im Herzen mit. Es hat ein wenig gedauert, bis er erkannte, dass er eigentlich HSV-Anhänger ist. Der Raute ist er treu geblieben. „Für mich ist der HSV auch ein poetisches Gebilde. Durch das Leiden mit ihm, durch dieses ‚gemeinsam so tief im Quark Stecken‘. Das gehört für mich zu Hamburg dazu.“ Fast 30 Jahre hat er gebraucht, bis er sich wirklich als Hamburger fühlte. Dass es doch noch geklappt hat, liegt vor allem an den Menschen und ihrem widerständigen Naturell. „Dieses ‚Mit einem Messer im Rücken gehen wir noch lange nicht nach Hause. Dieses Durchhaltenkönnen. Das Aushalten. Davon habe ich viel gelernt.“

Benno Romik treibt es im Laufe des Romans noch einmal raus aus Hamburg. Mirko Bonné freut sich inzwischen, wenn er nach Lese- oder Recherchereisen zurück über die Elbe kommt. In die Isestraße. Angekommen. Dank Benno Romik.

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