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Rosi Sheridan McGinnity

ROSI’S BAR

Text: Annika Ruge | Fotos: Oliver Vonberg

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 54

Das silberne Zigarettenetui schließt mit einem metallischen Geräusch. Rosi nimmt einen Zug, atmet den Rauch aus und blickt aus dem Fenster. Das hier ist ihr Platz: die Bank rechts hinter dem Eingang zu ihrer, zu „Rosi’s Bar“. Von dort aus blickt sie auf den Hamburger Berg, die Straße, die Reeperbahn und Simon-von-Utrecht-Straße verbindet. Sie nimmt noch einen tiefen Zug und erinnert sich: „Mein Vater hat den Laden Ende der 1950er-Jahre übernommen, da war es noch ein Trinklokal, das rund um die Uhr geöffnet hatte. Eines von so vielen hier auf St. Pauli.“ Dass Rosi Heitmann, so ihr Mädchenname, das Lokal „Zu den drei Huf­eisen“ einmal übernimmt, um daraus eine der angesagtesten Musikbars der Stadt mit internationaler Bekanntheit in Musikerkreisen zu machen, „war so gar nicht geplant“, erzählt sie. Erst das Ende ihrer großen Liebe mit dem Musiker Tony Sheridan McGinnity führt dazu, dass die alleinerziehende Mutter zur Kiezwirtin wird. Und das ist sie auch heute noch, gute 53  Jahre später.

Der Beginn von Allem „Im Stück oder in Scheiben? Das konnte nicht mein Leben sein“, lacht Rosi, die nach dem Tod der Mutter 1947 mit ihrem Vater und zwei Schwestern aus Schleswig-Holstein zurück nach Hamburg kehrt. „Dorthin wurden wir 1943 evakuiert“, erinnert sie sich. Nach dem Schulabschluss steht sie hinter der Theke in einer Schlachterei, wo sie dem Feierabend entgegenfiebert. Die müden Beine wollen tanzen, denn das ist ihre Leidenschaft: 44 Takte pro Minute beim Jive. Rosis Tanzpartner ist Jörn Nürnberg, Sohn des zweimaligen Boxeuropameisters Herbert Nürnberg, der 1953 ein paar Häuser weiter das Lokal „Zum Goldenen Handschuh“ gründet. „Jörn war ein stattlicher Kerl. Beim Jive habe aber ich ihn ‚geschmissen‘, und das kam gut an – eine zierliche junge Frau, die einen Kerl am Kinn packt und ihn einen Salto rückwärts machen lässt“, lacht Rosi. 1959 eröffnet der ehemalige Trapezkünstler Bruno Koschmider schließlich den „Kaiserkeller“ in der Großen Freiheit 36, und schon bald hilft die noch sehr junge Rosi den Frauen hinter der Bar.

„Bruno gefiel mein Umgang mit den Gästen, und er bot mir an, für ihn zu arbeiten“, sagt Rosi, die im „Kaiserkeller“ fortan in einer Woche mehr verdient als in einem Monat Plackerei in der Schlachterei. Es ist 1959, und der Rock ’n’ Roll erreicht St. Pauli. „Zunächst mit Peter Kraus, der bei uns auftrat und jedem Angestellten fünf Mark in die Hand gedrückt hat. Ich habe dankend abgelehnt – das war für mich kein Rock ’n’ Roll“, erinnert sie sich lachend. Der kam 1960 mit der Band Tony Sheridan & The Jets nach Hamburg, einer Kombo, die Koschmider in London gebucht hatte. „Das war“, sagt Rosi, nimmt wieder einen tiefen Zug aus der Zigarettenspitze und atmet behutsam aus, „der Beginn von allem.“
Tony, Ricky und Rosi Sie, die die Musik liebt, findet in Sheridan ihre Zwillingsseele. Er bleibt in Hamburg und tritt mit verschiedenen Bands auf, darunter ein paar Jungs aus Liverpool, die sich The Beatles nennen. Er wohnt mit ihnen über dem legendären „Top Ten“ auf der Reeperbahn, wo auch Rosi regelmäßig übernachtet. „Tony und ich schliefen im Stockbett hinter der Tür, Paul und seine deutsche Freundin Ruth gegenüber und John auf einem Diwan“, erinnert sich Rosi. Schließlich wird sie mit 20 Jahren schwanger. Unverheiratet. Damals ein handfester Skandal.

Zu dritt zieht die junge Familie in eine Ein-Zimmer-Wohnung auf der Großen Freiheit, die ihnen Horst Fascher, der Gründer des „Star-Clubs“, vermittelt. Dort schreiben Tony und Paul, mit dem kleinen Ricky auf dem Schoß, im Wohnzimmer den Song „Tell Me If You Can“. 1965 heiratet das traumhafte Paar, eine Wohnung in der Osterstraße wird gekauft, und alles sieht danach aus, als würde das Trio in Hamburg sesshaft werden. Doch Tony verliebt sich während einer dreimonatigen Reise in Viet­nam. Und so trennen sich ihre Wege als Liebespaar. Freunde bleiben sie jedoch bis zu seinem Tod 2013. 1969 beginnt sie schließlich im Lokal ihres Vaters zu arbeiten – und macht aus der Säuferkneipe einen Szenetreff für Musiker und jene, die gute Musik lieben: „Rosi’s Bar“.
All you need is love Die Bar ist der Ort, an dem ihre Liebe zur Musik sich vollends entfalten kann. Ab den 1970ern bestimmt nur sie, was in die Musikbox kommt: „Viel Rock ’n’ Roll, aber auch deutsche Musik.“ Ihre Freundschaft mit dem Hamburger Blues- und Boogie-Pianisten Vince Weber führt dazu, dass ein Klavier in die Bar gestellt wird. Auf dem spielen Newcomer wie Joja Wendt, der heute die Elbphilharmonie füllt, aber auch damals schon große Musiker wie Inga Rumpf oder Axel Zwingenberger. Die kleine Bar am Hamburger Berg 7 wird zum Szenetreff: „Zazie de Paris, Ulrich Tukur, Klaus Pohl und die Gang rund um Peter Zadek – sie alle kamen, wenn sie in Hamburg gastierten“, beschreibt Rosi den Wandel der Bar. In den 1990ern baut Sohn Ricky ein DJ-Pult auf und lockt Discjockeys aus aller Welt an die Plattenteller am Hamburger Berg. „Und wieder ein Publikum, das vor allem wegen der Musik zu uns kam. Das war mir immer wichtiger als alles andere“, sagt Rosi und schnippt ihre Zigarette aus der Spitze. Sie muss jetzt los, noch ein wenig ausruhen: Zwei Mitarbeiterinnen sind krank, und deshalb steht Rosi heute Abend selbst hinter der Bar. „Nützt ja nichts“, sagt die 81-Jährige, die sonst nur morgens um sechs auf den Kiez fährt, um die Abrechnung zu machen und als Letzte den Laden abzuschließen. Wer Glück hat, der erlebt dann einen der Momente, in denen sie selbst Musik macht, denn Rosi hat, was man den Blues nennt: eine Stimme, die von den Höhen und Tiefen des Lebens erzählen kann.

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