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Til Mette
CARTOONIST
Jede Woche konfrontiert uns der brillante Cartoonist mit seinem schwarzen Humor im „Stern“. Er verdichtet gesellschaftliche und politische Themen in kleine Zeichnungen und krönt sie mit einem Witz. Das macht er so geschickt, dass sogar die gerade Betroffenen darüber lachen müssen.
Text: Andrea Hacke | Fotos: Uta Gleiser
Für Idioten zeichnet er nicht. Das ist Til Mette klar, wenn er zu Hause in Hamburg-Iserbrook in seiner Kammer sitzt und Ideen zu Papier bringt. Drei Zeichnungen pro Woche erwartet der „Stern“ von ihm, eine Karikatur die Regionalzeitung „Weser-Kurier“. Das ist sein Minimum an Output. Jeden Donnerstag, wenn die Deadline der Abgabe naht, zieht er sich zurück in „den Tunnel“, und dann sollte am besten kein Familienmitglied mehr an seine Tür klopfen. Was Til dann zeichnet, richtet sich an das liberale Bürgertum – Menschen, die wissen, was politisch und gesellschaftlich gerade in der Welt passiert und ähnliche Werte haben wie er.
Til setzt auf Reduktion: Mit nur wenigen Strichen möchte er eine Stimmung vermitteln. Das Zusammenspiel aus überwiegend Schwarz-Weiß-Zeichnung und Text soll eine Pointe haben, die knallt. Viele Versuche landen im Müll. In vier Wochen verbraucht er im Durchschnitt 500 Blatt Papier. Til hört erst auf, wenn seine Witze genau an der Kippe zum „nicht mehr Machbaren“ sitzen. Gut ist, wenn der Betrachter lacht und dann stockt, erschrocken über sich selbst. Ein Beispiel seiner Zeichnungen: Zwei Jäger sind mit ihrem Hund im Wald, sagt der eine: „Ich hab’ kein Bock mehr. Lass uns doch einfach den Hund abknallen.“ Oder 2020: Da sitzen zwei Zombie-Kinder mit verfilzten Haaren auf dem Sofa, und der Vater kommentiert das Ganze mit: „Wir haben jetzt nach vier Jahren unsere Kinder aus dem Keller geholt. Wir wollten ihnen Donald Trump ersparen.“ Jetzt müssen sie da leider wieder rein …
Til Mette schreibt in seinen Cartoons, wie er redet: Man kotzt, vögelt oder ballert sich einen. Gekünsteltes ist ihm fremd. Thematisch nutzt er jedes Feld, ohne Tabu: die Gender-Debatten, jegliche Religion, die Politik, die Umweltlage, menschliche Entgleisungen, Rassismus, Antisemitismus. Er macht auch Behinderten-Witze, wird dafür aber nie gebasht wie Comedian Luke Mockridge. „Das hängt mit der schlechten Qualität seines
Witzes zusammen“, erklärt Til, der nur unterhalten will, nie verletzen. Kein Rollstuhlfahrer, Jude oder Türke hat sich je bei ihm beschwert. Im Gegenteil: Islamische Gläubige teilen Tils Witze sogar in den sozialen Medien und übersetzen sie ins Türkische. Das muss man erst mal schaffen.
Til Mette, 1956 in einem Dorf bei Bielefeld geboren, kam durch seine Familie zum Zeichnen. Der Vater, ein Arzt, lud seine vier Kindern regelmäßig zum Battle, wer die lustigste Zeichnung anfertigen konnte. Seine Mutter, eine Lehrerin und Diva, war schwer alkoholkrank. „Sie hat uns morgens schon hackedicht zur Schule gefahren“, erzählt Til. Als Kind war das erst mal nicht lustig, aber sich später darüber zu amüsieren, eine gute Überlebensstrategie. Mit neun Jahren bekam Tils Schwester einen Hirntumor. Nach der Operation saß sie halbseitig gelähmt im Rollstuhl. „Doch ihren guten Humor hatte sie noch“, sagt Til. Also machte sie Witze über Gesunde, wenn die völlig unbeholfen mit ihrer Behinderung umgingen. „Das hat mich sehr geprägt.“
Til Mette mag bis heute Menschen, die anders sind. Unangepasst und etwas verrückt. Wenn er selbst durch Hamburg fährt in seinem halben Holz-Auto, seinem Mercedes „Woody“, hört er Swing. Und seine Locken auf dem Kopf liegen mal wieder, wie sie wollen. Wer mit Til Mette spricht, spürt sofort seine Herzensgüte. Obwohl er schon etliche Preise erhielt, redet er höchstens auf Nachfrage darüber. Er lobt lieber seine Frau, eine promovierte Mathematikerin, mit der er seit 32 Jahren verheiratet ist. 1992 zogen sie wegen ihres Jobs für 15 Jahre nach New York.
„Bis heute schlappe ich gern hinter ihr her“, sagt er. Zusammen adoptierten sie zwei Mädchen, „tolle Töchter“. Früher hat er Geschichte und Kunst in Bremen studiert, dann wurde er Mitbegründer und Zeichner der „Taz“-Lokalredaktion. In der Zeit erkannte er, dass sein Humor in jeder Situation funktioniert. „Damals hatte meine Freundin mit mir Schluss gemacht“, erzählt er. „Ich war so verliebt in die, bin heulend durch die Straßen gelaufen, aber dann ging ich zurück in die Redaktion und konnte meine tägliche Zeichnung abliefern. Das klappt bis heute.“
Seit 2006 lebt Til Mette in Hamburg. An seinen freien Tagen fährt er gern in sein Atelier in Bahrenfeld und bemalt zur Entspannung großformatige Leinwände. „Es war seit meinem Studium so: Mit dem Zeichnen verdiene ich das Geld, mit dem Malen gebe ich es parallel wieder aus“, erzählt er. „Da die Bilder keinen Humoranspruch haben und ich sie nicht in erster Linie verkaufen will, bedeutet Malen für mich innere
Freiheit.“ An offenen Ateliertagen und auf Ausstellungen sind seine Kunstwerke zu bestaunen – Til Mette informiert darüber auf Facebook oder Instagram.
Dort erfährt man auch, was Til im Urlaub macht: Er reist im Bulli durch Frankreich oder fährt mit seiner „Kraftsportgruppe Frohsinn“, bestehend aus Kabarettisten, Satirikern oder Cartoonisten, auf Motorrädern durch Deutschland. Unterwegs besuchen sie gern Kollegen, zuletzt Oliver Welke von der „Heute-Show“. Und was wünschten sich die besten Humoristen des Landes bei Ankunft? Stullen.
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 66