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Tulga Beyerle
DIREKTORIN MK&G
Kann Design die Welt wirklich besser machen? Ja! Im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zeigt die Wienerin Tulga Beyerle uns Hamburgern, wie genau das aussehen könnte. Unter ihrer Leitung hat sich das Haus verändert. Es ist poröser geworden – im besten Sinne
Text: Regine Marxen | Fotos: Anatol Kotte
Draußen vor der Tür zeigt sich die Großstadt von ihrer ungeschönten Seite. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) liegt zwischen Hauptbahnhof und dem Drob Inn St. Georg. Obdachlosigkeit und Drogensucht lassen sich hier nicht unter den Teppich kehren. Ist das die Nachbarschaft, die man sich als Museumsdirektorin wünscht? Ja, sagt Tulga Beyerle. „Wir als Museum für Gestaltung sind an dem Ort, wo Gestaltung gefragt ist. Ich könnte mir keinen besseren Standort vorstellen.“
Seit 2018 leitet die Wienerin das MK&G. Davor war sie Direktorin des Kunstgewerbemuseums Dresden. Tulga Beyerle kennt viele Seiten des Kunstbetriebs. Nach ihrer Tischlerlehre studierte sie Industriedesign und unterrichtete anschließend sieben Jahre lang an der Wiener Universität für angewandte Kunst. Glücklich war sie dort nicht. Überrascht von den verkrusteten, patriarchalen Strukturen fand sie sich in diesem System nicht wieder. Überhaupt hat sie in dieser Zeit viel über sich selbst gelernt. Sie erkannte, dass sie sich selbst nicht als leidenschaftliche Wissenschaftlerin, als keine „in die Tiefe Forschende“ sieht.
Sie wollte Projekte machen, die Menschen berühren, inspirieren, zur Diskussion einladen. Also raus aus dem Universitäts-Kosmos, rein in die Selbstständigkeit. Ein mutiger Schritt. „Ich erinnere mich noch gut, wie mein Vater, der Hochschulprofessor für Bratsche war, mit mir schimpfte“, sagt sie mit ihrem schwingenden Wiener Akzent im Podcast „DER HAMBURGER Inside“. Er sah den finanziellen Untergang am Horizont drohen. Er hat sich geirrt. Tulga Beyerle zog durch, rief mit Freunden die Vienna Design Week ins Leben und erarbeitete sich ein Renommee als freie Kuratorin in Wien und Glasgow. 13 Jahre lang, bis sie 2014 die Chance erhielt, ihren Traum zu verwirklichen: ein Museum zu leiten. Erst in Dresden, dann in Hamburg. „Ein Museum mit einer Sammlung hat einen gewissen Unendlichkeitsanspruch.“
Das hat sie schon früh gereizt. Ein Festival könne man leichter abwickeln, wenn die leitenden Personen weggehen oder Förderungen wegfallen würden. Ein Museum aber bietet ganz andere Gestaltungsspielräume. Das ist es, was sie liebt. Führen, aktuellen Diskursen Raum geben. Kunstgewerbemuseen sind dafür quasi wie gemacht. Sie wurden schließlich gegründet, um Gestaltungsthemen zur Diskussion zu stellen und Design im Spannungsfeld ihrer Gegenwart zu befördern. Das funktioniert aber nur, wenn Museen zu Teilen der Stadtgesellschaft werden. Unter Tulga Beyerles Leitung hat sich das Haus nach außen geöffnet. Es ist poröser geworden. Großen Anteil daran hat der von ihr geschaffene Freiraum im Erdgeschoss. Wenn das Museum geöffnet ist, kann man hier lesen, sich ausruhen, still arbeiten.
Ganz kostenfrei, ohne etwas konsumieren zu müssen. Auch Workshops oder das Ausstellungsprogramm ergänzende Veranstaltungen finden hier statt. Pate für diese Idee ist die Zentralbibliothek, die gleich nebenan liegt. „Haben Sie da mal einen Tag verbracht?“, fragt Beyerle. „Das ist wirklich ein vor Energie brummender Ort, an dem alles Mögliche passiert.“ Ein Raum der Zusammenkunft mitten in der Stadt habe sich dort entwickelt, konsumfrei – und schön gestaltet. Aus Beyerles Sicht gibt es von diesen Orten in der Innenstadt viel zu wenige, von schönen, öffentlichen Plätzen ganz zu schweigen. „Weil die Hamburger gar nicht wissen, was sie mit einem Platz machen sollen, während in Italien und in Österreich jeder und jede weiß, wie es ist, auf einem Platz zu sitzen, zu tratschen und gemeinsam Zeit zu verbringen.“ Deshalb hat sie neben dem Freiraum auch gleich das Museums-Foyer neu gestalten lassen. „Ich wollte, dass unsere Gäste – wenn sie schon diesen anstrengenden Weg zu uns haben – in dem Moment, wo sie reinkommen, einfach nur noch glücklich sind.“
Fragt man Tulga Beyerle, hat Hamburg in Sachen Stadtgestaltung eine Menge Luft nach oben. Vielleicht steckt ein bisschen zu viel „Pfeffersack“ in dieser Stadt. „Ich vermisse dieses Savoir-vivre. Hamburg ist
eine harte Stadt mit dieser protestantischen Haltung des Geldverdienens.“ Aber wo Schatten ist, ist auch Licht, und das sind in diesem Fall die Hamburger selbst. „Wenn du hier Freunde findest, sind es auch wirklich Freunde.“ Und dann gibt’s ja noch die Alster. Die mag Beyerle sehr. Vor allem die Außenalster, hier fährt sie oft mit dem Fahrrad entlang, aus Winterhude, wo sie wohnt, bis zum MK&G, ihrem zweiten Zuhause.
Ihr Vertrag als künstlerische und wissenschaftliche Leitung des Museums für Kunst und Gewerbe ist inzwischen bis 2028 verlängert worden, und sie hat hier noch eine Menge vor. Mit der Ausstellung
„Glitzer“ hofft sie, im kommenden Jahr viele alte und neue Besucher zu erreichen. 2027 feiert das MK&G 150-jähriges Jubiläum, sie plant Großes.
Und was kommt nach 2028? „Ich werde dann 64 Jahre alt sein. Ich würde mir wünschen, dass ich dieses Haus zufrieden loslassen kann.“ Wer weiß, vielleicht hält es sie in Hamburg. Von der Rente jedenfalls träumt sie nicht. Da ist zu viel Gestaltungskraft in ihr. Oder, um es mit ihren Worten zu sagen: „Das ist ein total absurder Gedanke.“
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 65