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Porträt –

112 für die 11

 

 

AUTORIN: SIMONE RICKERT

FOTOS: TOMMY HETZEL

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 42

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Der Mann auf dem Dach hat Angst. Ausgeglitten, Fuß verstaucht, traut sich nicht mehr vor oder zurück. Vier Leute sichern ihn vorm Abrutschen, beruhigen ihn. Den Patienten einfach mit der Drehleiter abzubergen, wäre zu schön. Doch die Einfahrt zu diesem Hinterhof auf St. Pauli ist so eng, da passt gerade mal der Rettungswagen durch. Was der Mensch, nur mit Pulli und Cordhose bekleidet, auf dem dritten Obergeschoss an einem Wintermorgen mit einer leeren Wodka-Flasche wirklich vorhatte, darüber wird unter den Kollegen nicht diskutiert, nur laut, klar und sachlich über das weitere Vorgehen. Hier ist ein Menschenleben zu retten – das machen sie im Schnitt einmal am Tag. 


Nach zwei Stunden haben die Kletterer den Verletzten abgeseilt. Die Kollegen werden allmählich knatschig, der Alarm kam fünf vor acht, kurz vor dem Frühstück. „Wehe, es ist kein Mett mehr da“, man merkt, dass die Anspannung zugunsten von Scherzen von Brandmeister Basti abfällt. Auf dem Rückweg erzählt er von seinem Hof, die Kinder lieben die Ziegen. Für ihn ein wertvoller Ausgleich zum Job, an den freien Tagen mit niemandem zu reden außer den Hühnern und Gänsen. Der Löschzug parkt in der Remise ein, so heißt das hier – die Wache 11 wurde gebaut, da zogen noch Pferde die Wagen. Deswegen sagen sie auch „abspannen“, wenn ein Einsatz beendet ist. Martin Timmler, der Wachführer, weiht uns im Laufe unserer Tage im Einsatz in die weiteren Besonderheiten ein. Die Männer essen schnell, keiner weiß, wann der nächste Alarm kommt. Aber wenn, sitzen sie 30 Sekunden später wieder auf ihrem Fahrzeug, sind in fünf Minuten am Einsatzort. Jeder Mann wird morgens um 7 Uhr beim Antreten einem Einsatzfahrzeug zugeteilt. Ihre Schicht dauert 24 Stunden. In der Zeit leben sie zusammen wie eine große Familie: Essen zusammen, einer von ihnen kocht, einer wäscht die Handtücher der Gemeinschaftsduschen, sie schreiben Einsatzberichte, halten Fahrzeuge und Geräte instand, machen „Dienstsport“ in der eigens ausgebauten Turnhalle und für nachts haben sie Ruheräume. Und würden ihr Leben füreinander geben, wenn der Alarm losgeht. Die meisten Notrufe gelten den Rettungswagen oder der technischen Hilfeleistung: Unfallopfer aus Autowracks freischneiden, Schwan festgefroren, Katze im Baum – passiert gar nicht so selten. Rund 14.000 der insgesamt 18.000 Einsätze, die hier im Jahr gefahren werden, sind Rettungseinsätze. Gute Quote, spricht für die vorbildlichen Brandverhütungsmaßnahmen.


Der Einsatz eben war also typisch für diese Wache. Ein paar Brandmeldungen fahren wir auch an: Fehlalarm oder Mini-Brände. An einem Tag rücken wir zweimal aus, um von Zigarettenkippen qualmende Mülleimer auf der Mönckebergstraße zu löschen – zwei Brandmeister tragen erhobenen Hauptes Gießkannen zum Einsatzort. 
Aber es geht auch anders. So wie der Brand in einer Gummifabrik. „Das war wie in die Hölle pinkeln“, meint Zugführer Klaus. Oder ein Unfall, der Fahrer scheinbar hoffnungslos im Fahrzeug eingeschlossen.

 

„In unserem Job heißt verlieren meist, dass Menschen sterben. Und wir verlieren nicht gern.“

 

Aber wenn sie es dann schaffen, mit der machtvollen Hydraulik-Schere (630 Bar) und dem Spreizer an den Verletzten heranzukommen und sein Leben zu retten: „Dann laufen hier alle die nächsten zwei Wochen mit so einem Lächeln rum.“ „Die Schipper“, die Kollegen mit Bootspatent, sind eine Spezialität der 11, ihr Einsatzgebiet umfasst den Hafen und die Speicherstadt. Sie haben zwei Löschboote, die neue „Branddirektor Westphal“ ist das modernste Europas. Drei Wasserwerfer können 120.000 Liter pro Minute pumpen, bis 180 Meter weit löschen. Da die Containerschiffe immer riesiger werden, ist das auch notwendig. 


Der härteste Dienst aber ist auf dem Rettungswagen, denn das Revier umfasst auch den Kiez. Meist können die Kollegen ihre Patienten direkt vom Straßenrand abholen, sternhagelvoll, ein Passant hat den Notruf gewählt. Unter Kollegen sagen sie ironisch, aber nicht herabwürdigend: „Päckchen ausfahren – UPS.“ Sie tun ihnen leid, die Päckchen, die keiner haben will: Nicht die Polizei (keine Straftat), ins Obdachlosenheim können sie nicht, weil sie nicht allein die Treppe raufkommen (verständliche Regelung), und das Krankenhaus, in dem sie abgeliefert werden, setzt sie nach kurzer Zeit wieder auf die Straße (kein Notfall). Manchmal sind die Patienten nicht besonders dankbar für die Hilfe, „noch voll auf Krawall gebürstet“. Die Retter werden bepöbelt, bespuckt, geschlagen, nur weil sie eine Art Uniform tragen – da muss man mit umgehen können. 
Auch mit den Misserfolgen. Bei einem Brand stirbt ein junges Mädchen, ein zerrissener Körper auf den Bahngleisen, plötzlicher Kindstod, nichts mehr zu machen. Es gibt ein psychologisches Interventionsteam, eine eigene Feuerwehrpastorin, doch meistens setzen sie sich nach besonders schweren Einsätzen sofort auf der Wache zusammen. Martin und Klaus schauen sich die Leute auch ein paar Tage und Wochen später noch genau an und nehmen sie zur Seite, wenn sie den Eindruck haben, da hat jemand nachhaltig was mitgekriegt. Und dazu gehört auch, die Kollegen einfach mal in den Arm zu nehmen. Die Anforderungen zwischen den Extremen, das ist das Spannende an der Arbeit. Oder wie der erfahrene Oberbrandmeister Deidi sagt: „Es ist der geilste Job der Welt.“

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