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Retter der Lüfte

ADAC LUFTRETTUNG

Seit 35 Jahren sind die ADAC-Luftretter am Klinikum Boberg stationiert. Von hier aus fliegt der Rettungshubschrauber „Christoph Hansa“ Notärzte durch den Himmel über Hamburg zu jedem Einsatzort. Heldenhaft bescheiden die Crews.

Text: Anne Klesse | Fotos: Julia Schwendner

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Diesen Artikel finden Sie in Ausgabe 68

Wenn die Sonne über dem halbrunden Dach des Hangars am Unfallkrankenhaus Boberg in Hamburg-Lohbrügge aufgeht, beginnt die Schicht der Luftretter. Dann machen sie sich bereit, um jederzeit mit dem großen gelben ADAC-Hubschrauber in die Luft gehen zu können. Ziehen ihre roten Overalls aus festem Sicherheitsstoff über und melden sich über ein spezielles System bei der Rettungsleitstelle an. Der Pilot – an diesem Tag ist das der 56-jährige Michael Gomme – checkt als Erstes den Hubschrauber, geht im Cockpit des „Christoph Hansa“ Knöpfe und Funktionen durch. Notarzt Felix Meyne testet Beatmungsgerät, EKG und Defibrillator, kontrolliert Medikamente und Hilfsmittel seines Notfallrucksacks. Das dritte Crewmitglied, Notfallsanitäter und Technical Crew Member René Panschog, der im Ernstfall beiden assistiert, prüft die Rettungswinde, eine spezielle Vorrichtung an der Seite des Hubschraubers, mit deren Hilfe Personen hochgezogen oder herabgelassen werden können.

Dann wird erst einmal gefrühstückt. Bei Brötchen und Kaffee besprechen die Männer den vor ihnen liegenden Tag, gehen mögliche Szenarien im „Emergency Briefing“ durch. „Um in Übung zu bleiben und auf alles vorbereitet zu sein“, so Pilot Gomme. Ihr Dienst startet offiziell um 7.30 Uhr (geflogen wird ab 8 Uhr) und endet im Sommer um 21.15 Uhr. Eine 14-Stunden-Schicht, und je nach Einsatz kann es auch mal länger dauern. Denn ihr Einsatzgebiet ist groß. Es erstreckt sich über ganz Norddeutschland rund um Hamburg herum in einem Umkreis von etwa 70 Kilometer bis nach Flensburg, Rostock, Hildesheim und Oldenburg und manchmal bis ins ganze Bundesgebiet. Im Mai dieses Jahres schlossen die Freie und Hansestadt Hamburg und das Land Schleswig-Holstein einen gemeinsamen Staatsvertrag zur vertieften Kooperation bei der Luftrettung: Seither sind grenzüberschreitende Einsätze nicht mehr nur im Rahmen der Amtshilfe möglich, sondern regelhaft und unbürokratisch.

Seit 55 Jahren gibt es die ADAC Luftrettung. 1967 war die Zahl der Verkehrstoten in Westdeutschland gerade auf 20.000 gestiegen, als das neue Konzept zur Erstversorgung, nach dem Notärzte auf dem schnellsten Weg zum Patienten gebracht werden und nicht umgekehrt, entstand. Ziel war es, eine bessere Versorgung der Verletzten zu erreichen. Bei Bedarf können Patientinnen und Patienten auch mit dem Hubschrauber weiter zu einem geeigneten Krankenhaus geflogen werden. Am 1. November 1970 wurde mit „Christoph 1“ der erste „zivile permanent betriebene Rettungshubschrauber“, so heißt es in der Fachsprache, in München-Harlaching stationiert – die Geburtsstunde der Luftrettung. In Hamburg wurde der Luftrettungsstandort am BG Klinikum („Boberg“) im Februar 1990 in Betrieb genommen.

Mit dem „Christoph Hansa“ stellte die gemeinnützige ADAC Luftrettung deutschlandweit damals den ersten Ambulanzhubschrauber in den Dienst. Offiziell gilt dieser bis heute als Intensivtransporthubschrauber, in dem Patientinnen und Patienten, die intensivmedizinisch versorgt werden müssen, transportiert werden können. Er fliegt jedoch mittlerweile mehr sogenannte „Primäreinsätze“ als Verlegungsflüge („Sekundäreinsätze“) – bringt also vor allem Notärzte und -ärztinnen so schnell wie möglich an den Einsatzort. Offizieller Auftraggeber für die Einsätze ist die Hamburger Innenbehörde, die Piloten sind Angestellte der ADAC Luftrettung, das medizinische Personal kommt vom BG Klinikum Hamburg. Neben dem ADAC fliegt im Raum Hamburg auch die Bundeswehr Luftrettungseinsätze, vor allem im Raum Bergedorf, wo sie auch stationiert ist – allerdings ohne Rettungswinde. Der Funkrufname „Christoph“ wird für alle Rettungshubschrauber verwendet, danach folgt der Name bzw. die Nummer der Station. „Christoph“ wurde damals nach dem Schutzpatron der Reisenden, St. Christophorus, gewählt.

Zwei Minuten braucht die ADAC-Crew vom Alarm bis zum Start des Hubschraubermotors. „Alarm für ,Christoph Hansa‘, Alarm für ,Christoph Hansa‘“, schallt es dann aus den Lautsprechern der Station bis in die Toiletten- und Lagerräume. Die drei Männer gehen schnell zum Hubschrauber, schnallen sich an, setzen routiniert ihre Helme mit den Funkmikrofonen auf, dann zieht Gomme den Hubschrauber vertikal in die Luft. Manchmal entscheiden Sekunden über Leben und Tod.

„17-Jährige mit Pupillen-Indifferenz, Verdacht auf Hirnblutung“, heißt es an diesem Morgen über Funk. Es geht nach Geesthacht in Niedersachsen, vom Unfallkrankenhaus Boberg aus 27 Kilometer Luftlinie. Die Jugendliche sei von ihren Kolleginnen im Aufenthaltsraum gefunden worden, eingesunken, mit dem Kopf auf dem Tisch. Sie reagiere nicht, sei nicht ansprechbar. Ein Rettungswagen ist bereits vor Ort und informiert die ADAC-Crew über den Zustand der Patientin. Unterschiedlich große Pupillen können auf eine Blutung im Kopf hindeuten, die Jugendliche muss von Spezialistinnen und Spezialisten der Neurochirurgie untersucht werden.

Der Hubschrauber vom Modell H145 schafft maximal 220 Stundenkilometer, seine Reichweite beträgt etwa 650 Kilometer, 300 Liter Kerosin verbraucht der Motor pro Stunde –nach jedem Einsatz wird getankt.
Im Hubschrauber riecht es nach Treib- und Kunststoff, die Rotorblätter donnern über der Kabine. Während draußen Spargelfelder vorbeiziehen, Wohnsiedlungen, Windräder und Sportplätze, sucht Notfallsanitäter Panschog auf einer Karte einen geeigneten Platz zum Landen, Pilot Gomme schlägt das verlassene Gelände eines alten Bahnhofs vor. Dort angekommen stehen Polizeiwagen, die das Gelände sichern, und der Rettungswagen mit der Patientin bereit. Die Strecke nach Geesthacht hat der „Christoph Hansa“ in wenigen Minuten geschafft. Nach einer kurzen Übergabe wird die Jugendliche über die hintere Tür in den Hubschrauber geschoben, dann hebt der Hubschrauber schon wieder ab. Ziel: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Notarzt Meyne behält während des Fluges die Überwachungsgeräte im Blick und gibt die wichtigsten Infos bereits an das Zielkrankenhaus durch. Herzfrequenz 79, Sauerstoffsättigung 100. Es blinkt und piept. Alle sind hoch konzentriert. Die Patientin verkrampft ihren Kiefer, wirkt ansonsten schlaff, aber bewegt leicht ihre Hand in Richtung Beatmungsschlauch. Vom Dach des UKE geht es innerhalb von Sekunden per Fahrstuhl runter zum Schockraum, wo bereits ein Dutzend Personen bereitstehen, darunter auch welche aus der Neurochirurgie und der Pädiatrie, da die ­Patientin ­minderjährig ist. Meyne nennt die Verdachtsdiagnose und alle relevanten Werte und Beobachtungen. Die Luftrettungscrew wartet vor dem Schockraum, dann geht es für alle drei zurück zum Hubschrauber und nach Boberg.

Sieben gemäß dem Luftverkehrsgesetz genehmigte Hubschrauberlandeplätze gibt es an Hamburger Krankenhäusern und Kliniken. Zusätzlich werden laut Senat sechs weitere Landestellen regelmäßig für Notfalleinsätze von Hubschraubern genutzt. Bis zu sieben Einsätze fliegen die ADAC-Luftretter an manchen Tagen pro Dienst. Mit der Krankenhausreform rechnet das Team künftig mit insgesamt mehr Einsätzen. Schon jetzt hat nicht jedes Krankenhaus Spezialisten aus jeder Fachrichtung.

Seit Inbetriebnahme ist der „Christoph Hansa“ mehr als 40.000 Einsätze geflogen. Es gab spektakuläre Einsätze auf der Elbe, ein Notarzt wurde auf ein fahrendes Containerschiff abgeseilt und später zusammen mit dem Patienten wieder hochgezogen. Vergeblich suchen sie immer mal wieder Ertrinkende. Im Treppenviertel Blankenese, wo kein Rettungswagen durch die engen Gassen passt, seilten sie eine Notärztin ab, befreiten mal einen Techniker aus einem Windrad, brachten Gegengift zu einem Schlangenbiss, und auch bei Hochwasser sind sie regelmäßig im Einsatz.

Einmal retteten sie in einem spektakulären Einsatz im Kreis Pinneberg den verunglückten Piloten eines Leichtflugzeuges aus einer 25 Meter hohen Baumkrone, dafür wurde die Crew, zu der damals auch Pilot Gomme gehörte, in den USA mit dem „Rescue of the Year Award“ ausgezeichnet.

Die Luftretter werden immer dann gerufen, wenn Feuerwehr und Rettungswagen länger zum Einsatzort brauchen. 15 Notärztinnen und -ärzte wechseln sich ab und sind jeweils für zwei bis drei Schichten pro Monat im Dienst. Notarzt Meyne mag die Einsätze: „Man weiß morgens nicht, was einen erwartet. Natürlich schüttet das Adrenalin aus. Aber am Ende ist das, was wir hier jeden Tag tun, sehr sinnstiftend“, so der 44-Jährige. Da stimmen auch seine beiden Crew-Mitglieder zu. Notfallsanitäter Panschog ist einer von lediglich dreien, die als Fachkrankenpfleger und Technical Crew Member sowohl medizinisch als auch bei der Navigation unterstützen können, und gleichzeitig an der Rettungswinde ausgebildet sind. Deshalb ist er an zehn bis 13 Diensten pro Monat im Einsatz. Manche Einsätze bleiben den Männern besonders in Erinnerung. Spektakuläre wie die Rettung aus der Baumkrone mit dem 90 Meter langen Seil ihrer Rettungswinde. Aber auch besonders belastende, zum Beispiel, wenn Kinder involviert sind.

Pilot Gomme, früher Pilot in der U-Boot-Jagd-Hubschrauberstaffel der Marine, ist seit 2008 in Hamburg für die ADAC Luftrettung im Einsatz, er hat schon viel gesehen. Aber verletzte Kinder, sagt er, gingen allen nah. Dann helfe es, sich danach im Team darüber auszutauschen. Wenn das nicht reicht, können sie sich auch Hilfe bei Psychologen der Feuerwehr suchen. Notarzt Meyne sagt, die Einsätze hätten ihn gelehrt: „Es kann jeden treffen.“

Der Weg vom UKE zurück zur Station führt über den Hafen, links die Elbphilharmonie, kurze Zeit später taucht die JVA Billwerder auf. Felder, Sport- und Parkplätze, dann das Krankenhaus Boberg. Ein paar Stunden später, nach mehreren weiteren Einsätzen, ruft Notarzt Meyne noch mal im UKE an und erkundigt sich nach der 17-jährigen Patientin. Der Gedanke an den Einsatz und ihren unklaren Gesundheitszustand haben ihn nicht losgelassen. Der Verdacht auf Hirnblutung habe sich nicht bestätigt, hört er. Er legt auf, ist beruhigt, der Fall hätte ihn wohl weiter beschäftigt, sagt er. „Es ist gut zu hören, dass es ihr besser geht.“ So endet mit dem Sonnenuntergang ein weiterer Tag für die ADAC-Luftretter. Und bei all den Ungewissheiten, die ihr Job mit sich bringt, ist sicher: Morgen wird die Sonne wieder aufgehen – und mit ihr ein neuer Dienst beginnen.

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