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Grande Mercato

ANDRONACO

Text: Simone Rickert | Fotos: Kennedy Production

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 59

Das Lebensgefühl des sonnigsten Italiens strahlt der Mann aus. Freut sich über den neuen Wein, vorletzten Sommer in Apulien verkostet, jetzt im Regal des Grande Mercato. So macht Signor Andronaco das mit allen Produkten im Sortiment: reisen, probieren, kalkulieren, ein Stück italienische Lebensart importieren. Er versteht die rund 7500 Lebensmittel und Weine auch als Botschafter der Genusskultur. Jedes Produkt sucht er persönlich aus. Lachend schaut er an sicher herunter, „unter Aufopferung meiner Figur“.

Täglich frische Ware: in der Obst- und Gemüseabteilung Limonen, deren Duft dem Namen Ehre macht. Pasta in allen möglichen Formen, in die man eine Nudel biegen kann. Olivenöl, von gut bis exquisit. Für jeden ist etwas dabei, egal wie dick die Brieftasche: „Das finde ich wichtig, jeder kann bei uns etwas finden.“ Der fein geschnittene Prosciutto an der Frischetheke „Salumeria“, Parmesan, gegen den keiner aus einem deutschen Supermarkt bestehen kann. Zudem wird man hier mit einem urlaubshaften
„Buongiorno, Signora“ begrüßt.

Die Groß- und Einzelhandel Andronaco GmbH & Co. KG hat ihren Ursprung in einem kleinen Obst- und Gemüseladen am Bahnhof Barmbek, im Juni 1983. Inzwischen gibt es allein in Hamburg drei Märkte mit Bistro: die Zentrale hier in Billbrook, Halskestraße 48, eine Filiale in Bahrenfeld am Beerenweg 24–26 sowie ein Bistro mit Gelateria und kleiner Feinkostabteilung in der Hafencity, Am Sandtorkai 44. Dazu acht weitere Standorte zwischen Ratingen und Eckernförde. Vincenzos Sohn Florian leitet die Gastronomiebelieferung, Neffe Giovanni begleitet ihn auf Einkaufsreisen, 350 Mitarbeiter beschäftigt die Familie. Einer ist der Anwalt, der sich Tag für Tag darum kümmert, dass Produkte aus kleinen, feinen Manufakturen auf den deutschen Markt dürfen. Es reicht nicht, wenn Gianluca die beste Trüffelsauce der Abruzzen macht, Deckel aufs Glas und fertig. Es braucht ein Etikett, und auf dem muss alles stehen, was das deutsche Lebensmittelkennzeichnungsgesetz verlangt. Da müssen Rezepte angepasst, Betriebsbedingungen überprüft werden. So ist aus manch kleinem Hersteller ein großer geworden, dank Export nach Germania.
War das der Plan, als Vincenzo mit 18 Jahren im bitterkalten Winter nach Hamburg kam? Vermisst er Sizilien? Die Augen blitzen: Neulich war er im Dorf. Als er 1970 wegging, hätte keiner einen Pfifferling für ihn gegeben – sein Bruder, vielleicht. Heute ist Thema Nummer eins an der Bar, dass sein Enkel Vincent im Porsche beim GT4-Rennen in Hockenheim gewinnt. Also, die Runde Neider hat er in Deutschland wohl eher nicht vermisst. Aber das gute Leben: „Hier gab’s nur Graubrot und Kartoffeln. Der Krieg war 25 Jahre vorbei, die Stadt teils noch in Ruinen. Die Deutschen waren sehr reserviert.“

Mit 17 hatte er bereits feste Vorstellungen, an Weihnachten, mit einem Freund beim Friseur sitzend. Studieren, nein, die Schule hatte gereicht. Nach Australien zu Onkel Umberto? Zu weit. Zu Tante Cecilia Richtung Alaska kam nicht infrage. Weg, aber so, dass er zu Fuß zurückkommen kann. Deutschland …? Immerhin, der Pfarrer war schon mal dort gewesen, in der katholischen Mission in Hamburg. Von einer Diskothek hatte man auch gehört. „Ihr seid bescheuert! Da sind 30 Grad minus. Die Stadt der Sünde!“, Padre Siracusa war entsetzt. 14 Tage später kamen zwei verlorene Schafe am Hauptbahnhof an – und es waren minus 25 Grad. „Bis Mai haben wir die Sonne nicht gesehen. Ganz ehrlich, ich bin nur nicht zurückgegangen, weil ich mich geschämt hätte. Ich wollte etwas erreichen.“ Der Freund schaffte das nicht.

Vincenzo ist jetzt 53 Jahre hier. Erst Fabrikarbeit, dann auf dem Bau, war okay, gab gutes Geld. Die Ersparnisse investierte er 1983 in den Laden in Barmbek. Sein eigener Chef zu sein gefiel ihm, er mietete einen Stand auf dem Großmarkt und belieferte Gastronomen. Köche, die mit Mangold, grünem Spargel und frischen Kräutern endlich so kochen konnten wie in ihrer Heimat. Das Konzept funktionierte. Aus dem Stand wurde ein ganzer Gang, das Sortiment wuchs. Also ging der Geschäftsmann den nächsten Schritt, kaufte 5000 Quadratmeter in Billbrook, die er zum modernen Groß- und auch Einzelhandel ausbaute.

Zehn Filialen folgten. 71 Jahre ist er nun alt, seine Firma wird 40. Zum Geburtstag hat er sich ein Geschenk gemacht: die Wein-Serie unter eigenem Label, Gründungsjahr „1-983“. Natürlich ist die Region Apulien, historisches Herz des Wein­anbaus, mit Rotweinen und einem Rosé repräsentiert. Kreiert mit der Familie Maci, deren Kooperative Cantine Due Palme es über 1000 Bauern ermöglicht, nach modernsten Standards zu keltern und auszubauen. Der eine bringt seine Ernte mit einem amtlichen 16-Fuß-Anhänger auf die Waage. Der Nächste fährt auf seinem Ferrari vor. Also dem Traktor, Baujahr irgendwann im letzten Jahrhundert, und lädt stolz winkend die Trauben seiner bescheidenen fünf Hektar ab. Bestimmt werden es genau diese sein, die dem Ne­groamaro des Jahres 2022 seine Besonderheit verleihen. Das wird das nächste Kapitel der Geschichte, geschrieben zwischen Wind und Meer. „Gänsehaut“, kriegt Signor Andronaco dabei.

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