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Der Anti-Spiesser

BERND BEGEMANN

Bernd Begemann gehört musikalisch zu Hamburg wie der Michel zum Stadtbild. Er hat der Stadt unvergessliche Zeilen gewidmet – doch der ganz große Durchbruch blieb ihm verwehrt. Über einen, der mit seinen Ideen oft zu früh dran war – und damit ganz gut leben kann.

Text: Regine Marxen | Fotos: Jan Northoff

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 65

„Unten am HafeN, wo die großen Schiffe schlafen“. Die Zeile gehört längst zum popkulturellen Kanon dieser Stadt. Man kennt sie einfach. Geschrieben hat sie Bernd Begemann. 2008 erschien der gleichnamige Song auf dem Album „Glanz“. Den Singer-Songwriter macht das ein bisschen stolz. Volkslieder, sagt er, hätten in manchen Kreisen einen schlechten Ruf.

„Für mich ist es das Höchste, was man erreichen kann. Ein Lied, das in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. Nur Idioten schätzen das gering.“ Klare Aussage. Auch das ist Bernd Begemann. Er gilt als gewitzter Charmeur – mit Widerborsten. Unberechenbar im Gespräch und auf der Bühne. Der Mann hat seine Dissonanzen. Im Frühjahr 2024 machte er zum Beispiel Schlagzeilen mit seiner deutlichen Kritik an Natascha Geiers zweiteiliger NDR-Filmdokumentation über die Hamburger Schule. Sein emotionaler Post im Internet schlug hohe Wellen. Er selbst kommt in der Dokumenta­tion nicht vor, obwohl er zu den Wegbereitern der Musikbewegung gehört, die Ende der 80er-Jahre begann und Bands wie Tocotronic oder Blumfeld hervorbrachte. Begemann war einer der Ersten, der zum Teil sperrige deutschsprachige Texte in Indie-Pop-Melodien verpackte.

Ego mag dabei eine Rolle gespielt haben, doch dem Liedermacher ging es bei seiner Kritik um mehr. Darum, dass der Begriff Hamburger Schule eigentlich ein Kunstbegriff ist, den der Journalist und Musiker Hans Nieswandt geprägt hat, „weil er dauernd Hamburger Platten besprechen musste, die anders waren als die normalen Indie-Platten.“ Dass die Hamburger Schule im Kern eben kein Diskursrock war, sondern ein offenes Experimentierfeld. „Jeder ging auf die Konzerte der anderen, jeder hörte die neuen Sachen“, erinnert er sich. „Wir spielten uns Lieder vor, wir reagierten aufeinander, wir versuchten uns zu verbessern, und alle waren getrieben von diesem Bedürfnis, Gegenwarts-Pop zu machen. Also Sachen zu machen, die jetzt Sinn ergeben in dieser Umgebung.“ Irgendwann schloss sich das Zeitfenster, irgendwann wurde die Szene dogmatisch, irgendwann verlor sie sich.

Die Welle, die sein Posting auslöste, ist inzwischen abgeebbt. Die Hamburger Schule ist ein Stück Musikgeschichte, in Begemann brennt ihr Feuer bis heute. „Ich habe für ein paar Jahre in Bohemia gelebt. Und auf eine Art versuche ich immer noch, so eine vereinigende Feldtheorie, die den irgendwie versponnenen, surrealen Folkpop von einem Act wie JaKönigJa zusammendenkt mit dem wütenden Irrsinn von einer Band wie Cpt. Kirk &.“ Das heißt aber nicht, dass er in der Vergangenheit verharrt. „Es gibt immer eine gute neue Zeit. Und bisher war es in meinem Leben so, dass für jede Freude, die versiegt ist, neue Freuden kamen.“ Zum Beispiel seine Tochter Belinda Marlen Frey, ebenfalls Musikerin.

Die 18-Jährige stand schon als Zehnjährige mit ihrem Vater beim Projekt „Unter meinem Bett“ auf der Bühne. Das ist inzwischen so etwas wie eine musikalische Hamburgensie mit einem beachtlichen Song-Repertoire. Die Stadt und er haben eine tiefe Verbindung. „Ich habe mich nach Hamburg gesehnt, bevor ich die Stadt kannte.“ Geboren wurde Begemann 1962 in Braunschweig. Die ersten vier Monate seines Lebens verbrachte er im Waisenhaus, bevor ihn seine Adoptiveltern nach Bad Salz­uflen holten. Dort wuchs er auf in liebevoll umsorgter Jugend, aber er wollte raus aus dem Dorf. Nach dem gescheiterten Abitur zog er an die Elbe und gründete die Band „Die Antwort“. Das Debütalbum von 1987 war ein finanzieller Flop, es war seiner
Zeit einfach voraus.

In den 90er-Jahren startete er seine Solokarriere und begeisterte eine stabile Fanschar mit Alben wie „Solange die Rasenmäher singen“ oder „Jetzt bist du in Talkshows“. Mitte der 2000er-Jahre formierte sich
die Band „Bernd Begemann & Die Befreiung“. Heute tourt er entweder solo oder in dieser Formation durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er ist der Working-Man im Indie-Pop-Business. Über 100 Konzerte gibt er im Jahr. Traditioneller Jahresabschluss: sein Auftritt im „Knust“. Immer Ende Dezember, in Hamburg gibt es wenig schönere Arten, sich fürs neue Jahr zu rüsten. Begemanns Soundtrack des Lebens klingt nicht immer fluffig. Es gibt eben diese Rückschläge und dunkle Momente, die so ein Leben mit sich bringen kann. 2023 brach er sich den rechten Ellenbogen und dachte, er könne nie wieder Gitarre spielen.

Er ging durch ein Tal der Tränen, wer ihm auf Instagram folgt, konnte ihn dabei begleiten.
Sein aktuelles Album „Milieu“ muss für ihn wie ein Befreiungsschlag sein. Es steckt voller lakonischer Alltagsbeobachtungen, wie man es von ihm erwartet. Doch der Opener „Es hat einen Vorfall gegeben“ ist seltsam düster. Es gibt auch einen politischen Song, das ist neu im Begemannschen Kosmos. Wenn die Demokratie in Gefahr ist, ist der Künstler gefragt. Der Grundton aber bleibt romantisch. Er hat die Liebe im Leben gefunden, die bleibt. Die Musik. „Mein Triumph ist, dass ich noch existiere – und produktiv bin.“

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