Für den Vollbildmodus bitte auf ein Bild klicken
Die rote Supermacht
BRANDDIREKTOR WESTPHAL
Die „Branddirektor Westphal“ kann mit Rekorden nur so um sich werfen: Es ist nicht nur das größte Löschboot, das die Hamburger Feuerwehr je hatte, sondern seit dem Stapellauf 2018 auch das modernste Einsatzboot zur Brandbekämpfung in ganz Europa. Wir durften ausnahmsweise einen Tag mitfahren – in alle Räume luschern, auf der Brücke sitzen und die elefantösen Fontänen in Aktion erleben.
Text: Andrea Hacke | Fotos: Jan Northoff
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 65
WOW – das ist mein erster Gedanke, als Fotograf Jan und ich am frühen Morgen mit in den Maschinenraum des Feuerwehrschiffs „Branddirektor Westphal“ dürfen: Der Raum sieht so clean aus, als hätte Meister Proper hier gerade durchgewischt. Nirgendwo ist ein Ölfleck zu sehen, es riecht nicht mal nach Öl. Man findet auch keine Staubschicht. Stattdessen überall Rohre für das Wasser und den Löschschaum, alle silbern eingeschlagen, ebenso die Abgasrohre, die explosionsgeschützt besonders dick verpackt sind. Dazwischen stehen zwei wuchtige Dieselmotoren, die das Schiff mit je 500 Kilowatt antreiben, sowie drei Dieselgeneratoren zur Stromversorgung. Insgesamt erinnert der Raum eher an ein Space Shuttle. Maschinist Niels Schaefer, 43, und sein Kollege, Decksmann Frank Ratzmer, 49, machen nach der Dienstbesprechung früh um sieben hier ihren morgendlichen Kontrollgang und checken das Kühlwasser sowie den Ölstand. Zwei Aufgaben der vielen Routinemaßnahmen, die täglich anstehen, um sicher sein zu können: Wir sind bestens vorbereitet!
„Auf dem Schiff muss immer alles eins a funktionieren, schließlich kann jederzeit ein Einsatz losgehen“, sagt Koordinator Björn Brust, ein durchtrainierter Kerl in weißem Diensthemd und Stoffhose. Früher war auch er eine der 25 Personen, die hier immer im Wechsel als Vier-Mann-Team für eine 24-Stunden-Schicht an Bord gehen. Jetzt ist er zuständig für die Aus- und Fortbildung des Feuerwehr-Nachwuchses. Für den HAMBURGER macht er heute eine Ausnahme und zeigt uns das Superlativ eines Löschboots: so modern ausgestattet, dass kein anderes in ganz Europa mithalten kann. „Die drei Fontänen auf der ,Westphal‘ können zusammen 120.000 Liter Wasser pro Minute transportieren“, erklärt Björn. „Und das 180
Meter weit sowie 110 Meter hoch.“ Bei den Wolkenkratzer-ähnlichen Kreuzfahrtschiffen und Containerriesen mittlerweile ein Muss.
Dazu verfügt das Schiff über Sensoren, die ermitteln, ob Strahlung, Schwefel, Wasserstoff oder Chlor in der Luft liegen. Bei Bedrohung kommt ein Gas-Schutz-System ins Spiel, die
Zitadelle. Dann fährt das Schiff umluftunabhängig – das Boot wird zur sicheren Kapsel für die Besatzung.
Mit Björn laufen wir treppauf, treppab. Vorbei an den Löschmonitoren zur Pantryküche, am Gemeinschaftsraum und an einer Sanitätsstation, eingerichtet wie ein Rettungswagen.
„Es ist auch alles genauso befüllt“, so Björn. „Müsste jemand versorgt werden, weiß jeder Feuerwehrmann gleich, was sich in welcher Schublade befindet.“ Draußen zeigt er uns ein Kleinboot, die Rettungsinsel, die Plattform für Taucher sowie den Kran, um ein Schiff abzuschleppen. Bisher fand ich dieses Löschboot mit dem roten Rumpf immer niedlich, wenn ich es von den Landungsbrücken aus beobachtet habe. Doch das täuscht: Der Kaventsmann ist gute 43 Meter lang, 10 Meter breit und fast 17 Meter hoch.
Laut Schiffsgesetzbuch müssen immer mindestens vier Personen an Bord sein, um abzulegen – neben Maschinist und Decksmann noch zwei Schiffsführer. Ich werde später live erleben, warum auf der Elbe acht statt nur zwei Augen nötig sind. Um ein solcher Schiffsführer zu werden, braucht es Geduld: vorweg eine abgeschlossene Berufsausbildung, dann die Ausbildung im feuerwehrtechnischen Dienst mit dem Rettungssanitäter. Anschließend heißt es: Erfahrungen sammeln als Feuerwehrmann für etwa sechs Jahre auf drei verschiedenen Wachen. Das ist die Mindestanforderung für den Decksmann. Dieser macht den Kleinbootführerschein und lernt das Verhalten an Bord. Nach mehreren Monaten auf See ist es möglich, über einen Lehrgang das Maschinenpatent zu erlangen. Und wer danach noch mal 365 Seetage nachweisen kann, hat endlich die Voraussetzungen für den Schiffsführer. Bis dahin sind etwa zwölf Jahre vergangen – mit sechs unterschiedlichen Berufen. Bei uns steht Berti Voigt, 52, am Steuerrad als Erster Schiffsführer. Hinter ihm sitzt Lars Bylda, 53, heute als zweiter Mann eingeteilt. Wir legen ab! Während der Fahrt befindet sich das ganze Team auf der Brücke. Sobald für unsere Fotos die Fontänen mitten auf der Elbe und vor der Elphi an drei Seiten angehen, haben die Feuerwehrmänner je eine Himmelsrichtung im Blick. Jeder Strahl ist so heftig, der darf nicht aus Versehen irgendein Sportboot treffen. Aus allen Ecken kommen nun Fähren, Ausflugs- und Containerschiffe. Für sie alle tragen die vier gefühlt die Verantwortung.
„Was macht der denn da?“, ruft plötzlich Lars Bylda. Eine Barkasse nähert sich dem Strahl, fährt aber dann doch unter dem Wasserbogen durch, damit die Passagiere an dem noch warmen Tag etwas Erfrischung abbekommen. Lars schüttelt den Kopf und lacht: „Die sind jetzt nass.“ Er funkt den Schiffsführer an, flachst mit ihm rum wegen der Schnapsidee. Unter den Wasserstrahlen bilden sich durch die Lichtbrechung nun Regenbögen. Auf der Plaza der Elphi hat sich längst eine Traube von Menschen gesammelt, um die „Branddirektor Westphal“ in Aktion zu fotografieren. Weil die so hübsch aussieht, buchen immer öfter Reedereien von Kreuzfahrtschiffen das Löschboot mit laufenden Fontänen im Hafen. Das garantiert zufriedene Passagiere – und bringt Geld in die Kasse des Senats. Das einzige Risiko: Falls in der Zeit ein Einsatz losgeht, wird sofort abgebrochen.
Ich darf nun neben Lars im zweiten Sitz auf der Brücke Platz nehmen. Ein echter Chefsessel. Mich interessiert, ob es bei dieser Wasserkraft nicht öfter Kollateralschäden gibt? „Bei voller Wassermenge könnte ein zu löschendes Schiff schon sinken oder zur Seite kippen, das müssen wir im Blick haben“, sagt Lars. „Und wenn wir zum Beispiel auf dem Schrottplatz löschen, klären wir vorab mit dem Einsatzleiter an Land, dass sich dort kein Mensch mehr befindet. Man muss bei der Wasserkraft schon aufpassen, dass nicht irgendeine Motorhaube oder eine Waschmaschine durch die Gegend fliegt.“
Alle lachen. Die Stimmung ist gut. Schiffsführer Basti, der seine langen Haare zum lockeren Dutt zusammengebunden hat, wird zum Beispiel gefragt, ob er später für Fotos im „Titanic“-Style nicht die „Rose“ geben will. Will er nicht … Wie überall bei der Feuerwehr ist der Gemeinschaftssinn auch hier die Basis für alles. „Und wenn es mal nicht rundläuft, heißt es: ‚Hast du nicht draußen irgendwas zu erledigen?‘“, sagt Lars. „Und dann ist es auch wieder gut.“ Jeder Arbeitstag an Bord startet um sechs Uhr morgens, die meisten sind deutlich früher da. Feuerwehrmänner haben Disziplin im Blut. Bis zum Abend erledigen sie dann alle Jobs, um das Schiff in bestem Zustand zu halten.
Zur täglichen Routine gehört immer eine Revierfahrt, damit das Team jede Ecke vom Hafen kennt. In der Pause kochen sie zusammen am Anleger in Neumühlen, nachts schläft jeder in seiner Koje. Oder wie Björn mit einem Grinsen sagt: „Feuerwehrmänner schlafen nie, wir ruhen nur.“ Was er damit meint: Bei Alarm muss man hier zu jeder Uhrzeit ruck, zuck hellwach sein. Nachts geht dann auf dem Schiff automatisch das Licht an und ein Ton erklingt, der lauter ist als jeder Wecker. Dann heißt es: sofort ablegen!
Die häufigsten Einsätze drehen sich nach Mitternacht um die Personenrettung: wenn am Fischmarkt ein Betrunkener übermütig in die Elbe gesprungen ist, ein trauriger Mensch beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen oder ein frühmorgendlicher Schwimmer die Strömung unterschätzt hat. Etwa 80-mal im Jahr
erreichen Notrufe dieser Art das Schiff. Meist sind kleinere, dazugerufene Boote, zum Beispiel vom Baumwall kommend, schneller bei den Betroffenen, aber wann immer es einen Notfall auf der Elbe gibt und verschiedene Boote die Unglücksstelle anfahren, übernimmt der Erste Schiffsführer der „Branddirektor Westphal“ die Koordination für alle. „OSC“ nennt sich der Fachbegriff, On Sea Coordinator River.
„Zum Teil handelt es sich bei Notrufen tagsüber aber auch gar nicht um einen Menschen in der Elbe, sondern um einen kleinen Schweinswal oder eine Robbe, was von Land aus schwer zu erkennen war“, erzählt Lars nun. Ein typischer Fehlalarm passiert auch gern, wenn am Mühlenberger Loch ein Segelboot eine Kenter-Übung macht und Spaziergänger das Schlimmste befürchten. Bei den etwa 400 Notrufen auf dem Wasser pro Jahr sind Schiffsbrände die Ausnahme geworden. Häufiger geht es um Umwelteinsätze, wenn ein Boot Öl verloren hat und die Feuerwehr den giftigen Schleim entfernen muss. Doch falls ein Containerriese mit Gefahrgut im Hafen Feuer finge, wäre zur Brandbekämpfung kein Schiff weit und breit besser geeignet als die „Branddirektor Westphal“.
2016 war das noch anders: Am Burchardkai brannte das Containerschiff „Arauco“. Der Großbrand war durch Schweißarbeiten verursacht worden. Damals konnten die zwei deutlich kleineren Feuerwehrboote nicht leisten, was erforderlich war. Trotz eines Aufgebots von 300 Feuerwehrmännern brannte es auf dem Schiff fast vier Tage lang. Dann sahen es auch die Politiker ein: Wir brauchen ein größeres Löschboot mit viel mehr Power. Bei der Feuerwehr lagen die Pläne dafür schon in der Schublade, unter anderem hatte der heutige Brandamtmann Tom Podalski (Seite 10) über Monate erarbeitet, wie ein Löschboot für immer größere Schiffe ausgerüstet sein müsste. Der Bau kostete 16 Millionen Euro, 2018 war Stapellauf. Neben der „Branddirektor Westphal“ liegt heute auf der Elbe immer noch ein kleineres Löschboot in Harburg. Bei sehr schmalen Einfahrten oder einem Vorfall hinter der Autobahnbrücke kommt das ran.
Zurück am Liegeplatz registriere ich beim Anlegen erstaunt, dass das Löschboot sogar seitwärts fahren kann. Dieses Prachtexemplar von Schiff trägt wirklich den passenden Namen: Es wurde getauft nach dem Diplom-Ingenieur Johannes Westphal, der 1945 von der britischen Militärregierung zum Leiter der Berufsfeuerwehr ernannt worden war. Als Branddirektor kümmerte er sich um den Aufbau der Feuerwehr. Er soll eine starke Persönlichkeit mit dröhnender Stimme und viel Witz gewesen sein. Einer, über den man in Feuerwehrkreisen noch lange nach seinem Tod Anekdoten erzählte. Kurzum: eine Ausnahmeerscheinung.