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Dahlia Diva vivat
DAHLIENGARTEN
Die ursprünglich aus dem warmen Mexiko stammenden Schönheiten im 1920 vom Altonaer Gartendirektor Ferdinand Tutenberg gestalteten Dahliengarten am Volkspark sind anspruchsvoll. Sie entfalten ihre Farb- und Formenpracht nur, wenn sie von liebevollen Gärtnerhänden das ganze Jahr über gehätschelt und für jeden Sommer wieder neu gepflanzt werden.
Text: Simone Rickert | Fotos: Matthias Plander
Diesen Artikel finden Sie in Ausgabe 68
„In der Mitte, der erste Bogen rechts – da fangen wir jetzt an!“ Ansage von Dahlien-Vorgärtnerin Claudia Zechner-Retzmann morgens Anfang Mai. Los zuckeln vier Gärtner und Gärtnerinnen vom Gewächshaus Richtung 15.000 Quadratmeter Garten, der aus der Vogelperspektive aussieht wie Petit Versailles. Auf kleinem Vehikel chauffiert Matthias Noll, gelernt hat er eigentlich Gemüsegärtner, vorsichtig die Ladefläche voller Körbe mit sanft gebetteten Dahlien-Knollen. Im lichtdichten und wohltemperierten Schlafzimmer des Glashauses durften sie seit dem ersten Nachtfrost überwintern, ganz ohne ihren Blatt- und Blütenschmuck. Die großblumigen Sorten, die mit Halskrausen, die pompösen, die mit lustigen Namen wie „Hirschgeweih“ oder „Seerosen“, es ist eine wahre Wissenschaft, sie als nackte Knollen auseinanderzuhalten. Darum wie in einer Bibliothek: alles sorgfältig dokumentiert und mit handschriftlichem Katalog.
Könnten Blumen wirklich sprechen, würden die knallgrünen Triebe an den Knollen jetzt rufen: „Ey, hallo, wir ham Bock! Wir wollen jetzt raus, Meter machen!“ Die meisten werden in den nächsten vier Monaten gut einen bis anderthalb Meter hoch. Einigen der frischen Triebe blüht das allerdings anders, als sie vielleicht grad noch denken. Sie werden von Sonja Baukau vorsichtig von der Mutterknolle „Mami“ gekappt und als Setzling noch ein paar Wochen im Gewächshaus bleiben, um ihre eigene Wurzel zu bilden. So und durch das Teilen von Knollen werden die Pflanzen vermehrt und verjüngt. Dadurch weiß man auch gar nicht genau, wie alt eine ist. Claudia: „Die Pflanzen können uralt werden, irgendwann weiß man nur nicht mehr, was der alte und was der neue Teil ist.“ Die ältesten Damen im Museumsgarten, wo nur die Züchtungen von vor 1960 gesetzt werden, sind „Siegmanns Feuerball“ von 1879 und daneben platziert aus dem Jahr 1881 die „White Aster“.
Die ersten Dahlien kamen 1791 nach Europa, die Samen der wilden Schönheiten (im Hochwald gibt’s sogar Lianen-Dahlien, 20 Meter lang) sandte man aus dem Botanischen Garten in Mexiko-Stadt nach Madrid in den königlichen Garten, wo ein Botaniker namens Cavanilles sie höflicherweise wiederum nach seinem schwedischen Kollegen Andres Dahl offiziell benannte. So eine richtige Manie wie um die Tulpe, inklusive ernsthafter Börsenkrise 1637, gab es um die Dahlie zwar nicht, aber sie wurde schnell sehr beliebt. Obwohl die Diva mit ihren exotischen Frostfüßen zumindest in Nordeuropa was für Liebhaber mit viel Einsatzbereitschaft zum Ein- und Ausbuddeln bleibt.
Je nach Wetter ein bis zwei Wochen brauchen die vier hier, um die perfekt vorbereitete Dahlien-Pflanz-Aktion durchzuziehen. Die Pfähle, an denen sich die ranken Diven hochräkeln können, sind gesetzt, Unkraut gejätet, Pflanzplan von Claudia handgezeichnet. Jedes Jahr etwas anders das Design, damit es auch für die Dauergäste des Dahliengartens immer spannend bleibt und weil man ja immer etwas noch schöner gestalten kann als im Vorjahr. Das ist hier jetzt echt Grundlagenarbeit für ein Jahr: Das muss hübsch werden – wird es! Es gibt Besucher, die kommen das ganze Jahr über fast jeden Tag, um die Dahlien wachsen zu sehen, und im Winter aus Verbundenheit oder weil der Hund eh raus muss. Seit fast 30 Jahren ist Claudia hier. Sie erkennt die allermeisten der über 600 hier wachsenden Sorten auf den ersten Blick. Nur ganz selten kommt es mal vor, dass eine Knolle zur „Geisterdahlie“ wird, irgendwo beim Einsortieren oder Einbuddeln verrutscht. „So vielleicht vier, fünf Pflanzen im Jahr“, meint Daniel Kazimierczak mit vollem Ernst, sonst eher einen lockeren Spruch auf Lager. Ziemlich gute Quote bei über 11.000 Pflanzen, kann man von außen betrachtet kommentieren.
Sonja setzt den Spaten an und ruft laut übers Feld: „Bettina Tietjen“, jeder weiß, was los ist. Das Promi-Beet wird beackert. Es folgen „Loki Schmidt“, „Franz Beckenbauer“, „Hermann Rieger“, „Anuschka und Rolf Zuckowski“, die „Gebrüder Braun“ … Oft kamen die Namensgeber zur Taufe ihrer Sorten. Claudias Vorgänger hat die mit Verve zelebriert, sich für Otto Waalkes sogar als Ottifant verkleidet. Der Spaß wurde von der Stadt mit seiner Pensionierung eingestellt. Vielleicht ja doch mal wieder? War nämlich immer ein Highlight im Jahreskalender der Gärtner und Besucher.
Dahlien sind ja echt kleine Diven, lernt man hier. Aber von den Promis, ihre Patenschaften schon ein bisschen nach Charaktertauglichkeit ausgesucht, sind eigentlich alle pflegeleicht, „außer vielleicht ,Loki Schmidt‘, da muss man mit den langen Stielen sehr aufpassen beim Anbinden. Und ,Franz Beckenbauer‘ geht erst grade hoch, knickt denn aber beim Wachsen leicht mal ab“, lacht Sonja – kommt auf den Spielverlauf an.
Das ist ein Ganzjahresjob. Nach der Saison ist vor der Saison, wird die Erde komplett gefräst, im Frühjahr noch mal, im Herbst und Winter werden die Knollen geputzt und vermehrt, und man hilft gelegentlich bei Baumpflegearbeiten im Volkspark aus. Dann die Pfähle wieder rein, die Knollen und Stecklinge setzen. Wenn die Pflanzen wachsen, jede einzelne gut hochbinden, im Sommer Verblühtes ausputzen, weiter Unkraut stigern, die Ladys nur genau bis zur individuellen Blüte mit mineralischem und organischem Dünger verköstigen, bisschen Sand in der Erde tut auch gut, Staunässe um die Füße mögen sie halt gar nicht. Es klingt nach einer Sisyphos-Arbeit. Aber die macht offenbar viel Spaß und bereitet einer Menge Besucher riesige Freude! Nervt was? Konsens der vier: Richtig kalte Winter fehlen. Die Schnecken sind eine einzige Plage, es hilft nur (viel diskutiert) haustierfreundliches Schneckenkorn: sparsam dosiert wie eine „Mauer“ rund um den Garten. Dies als kleiner Tipp für Halb-Amateure. Die Wühlmäuse sind nur vorn in der rechten Ecke aktiv, und eher niedlich knabbern sie Knollen an. Die muss man dann halt auswechseln. Herr Sisyphos-Beckenbauer zuckt locker mit den Schultern.












