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On fire

DER FLUGHAFENFALKNER – HERBERT BOGERS

Text: Anna Lena Kaufmann | Fotos: Christina Czybik

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 54

Egbert ist on fire. Der zweijährige amerikanische Wüstenbussard hat potenzielle Beute erspäht: Krähen. Sie tummeln sich am Rand des Rollfelds. Noch sind die Rabenvögel nur als kleine Punkte auszumachen, aber dem aufmerksamen Blick des Terzels (männl. Falke) entgeht nicht die geringste Bewegung. Falkner Herbert Boger reagiert prompt. Er prüft kurz die Windrichtung und startet dann seinen SUV, den Harris Hawk auf der behandschuhten Faust. Boger beschleunigt bis auf 70 Stundenkilometer und wirft Egbert aus dem geöffneten Fahrerfenster. „Werfen“ ist Falknerisch und bedeutet: Er gibt ihn zum Jagdflug frei. Der gefiederte Jäger steuert sogleich mit bussardtypischen ruhigen, großen Schwüngen die schwarzen Gesellen an, die jedoch den Feind bereits registriert haben und laut krächzend das Weite suchen. Herbert Boger nickt zufrieden: „Die werden dieses Areal in den nächsten Tagen meiden.“ Well done, Egbert!
Boger unterstützt seit nunmehr zehn Jahren als Freelancer das Wildlife Control Team des Hamburger Flughafens, dem auch Förster Markus Musser angehört. Oberste Priorität: die Verhütung von Vogelschlägen, das heißt, die Kollision von Vögeln mit Flugzeugen. Früher griff man hier noch regelmäßig zur Waffe (in Hamburg aufgrund der Stadtnähe nur noch in Ausnahmefällen als Ultima Ratio erlaubt), heute kommen vorwiegend Pyrotechnik und speziell trainierte Greifvögel wie Egbert zum Einsatz. „Ziel ist es, die natürlichen Feindvermeidungsstrategien der Vögel auszunutzen und diese mit der Falknerei nachhaltig und emissionsfrei aus den Flugbetriebsflächen zu verscheuchen“, so Musser. Als Biotopmanager und Jagdbeauftragter ist er dafür zuständig, die Tierwelt am Flughafen im Blick zu haben – und zu steuern, welche Arten hier leben. „Wir müssen einerseits natürlich verantwortungsvoll mit den Geschöpfen auf dem Gelände umgehen, andererseits müssen wir gewährleisten, dass Flugzeuge hier sicher starten und landen können“, erzählt er. Was viele nicht wissen: Jeder Flughafen muss einen Flughafenjäger beschäftigen. Das ist gesetzliche Pflicht – weltweit. Bei Gefahr im Verzug wird scharf geschossen. Hierfür gibt es entsprechend Ausnahmegenehmigungen gemäß Jagd- und Naturschutzrecht zum ganzjährigen Abschuss.
Egbert interessiert Bürokratie herzlich wenig. Er hat nur eines im Sinn: Jagen mit Meister Boger. Als „Leckerchen“ winken Eintagsküken und andere Delikatessen aus der Greifvogel-Speisekammer. Die sogenannte Beizjagd, die Jagd mit einem ausgebildeten Greifvogel auf Wild in seinem natürlichen Lebensraum, beruht auf absoluter Freiwilligkeit. Egbert könnte sich nämlich – wenn er wollte – jederzeit vom Acker, genauer gesagt vom Airport, machen.
Da Wüstenbussarde aber sehr gesellige Tiere sind – sie gehören zu den wenigen Greifvögeln, die im Familienverband leben – zieht er die Gesellschaft und die Leckerbissen von Falkner Herbert Boger vor.
Die Hamburger Betriebsflächen haben eine Größe von 570 Hektar, etwa die Hälfte davon ist Grünfläche – eine der größten zusammenhängenden in der Hansestadt. Trotz der startenden und landenden Flugzeuge ist der Flughafen für viele Tiere ein Rückzugsort. Feldlerchen etwa gehören dazu. Und auch andere heimische
Arten wie Feld-, Erd- und Rötelmäuse, Kaninchen, Kröten und mehrere Fuchsfamilien leben hier. Letztere jagen Mäuse, die wiederum
Vögeln als Nahrung dienen, und halten so die
Population der Bodenbrüter auf natürliche Weise in Schach. Mancherorts wird für die Räuber sogar sozialer Wohnungsbau in Form
von Kunstbauen und Reisighaufen betrieben.
Am Boden kommt es eher selten zu Konflikten mit tierischen Flughafenbewohnern, wohingegen Vogelschlag in der Luft bereits zu zahlreichen, zum Teil schweren Unfällen geführt hat. In 2019 zählte der Helmut-Schmidt-Flughafen allein 101 Vorfälle – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. „Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Insbesondere geht der Anstieg auf Kollisionen mit Kleinvögeln zurück – darunter vor allem Schwalben, Drosseln und Lerchen. Diese haben in den Statistiken der Vorjahre kaum eine Rolle gespielt“, weiß Markus Musser.
Ein Großteil der Unfälle geht für Passagiere und Crew Gott sei Dank glimpflich aus – so wie im August 2019, als eine voll besetzte Airbus-Maschine in einem Maisfeld bei Moskau notlanden musste. Kurz nach dem Start rauschten mehrere Möwen in die beiden Triebwerke. Der Crew des Ural-Airlines-Flug 178 gelang die Meisterleistung der glimpflichen Landung auf dem Acker. Der wohl weltweit spektakulärste Fall ereignete sich im Jahr 2009 in New York, als Gänse in Triebwerke eines Jets gerieten. Der Pilot Chesley Sullenberger musste auf dem Hudson River notlanden, alle 155 Menschen an Bord wurden gerettet. Clint Eastwood verfilmte das Drama mit Tom Hanks in der Hauptrolle.
Nicht selten entstehen durch einen sogenannten Bird-Strike bedeutende Schäden an Luftfahrzeugen, die von Verschmutzungen oder kleinen Beulen an Tragflächen, Stabilisatoren, Leitwerk und der Außenhaut bis zur Zerstörung von Cockpitscheiben oder ganzen Triebwerken reichen. Dann wird es schnell
teuer. Im August 2017 stieß zum Beispiel am Stuttgarter Flughafen ein Mäusebussard mit
einem Eurowings-Flieger zusammen und verursachte einen Schaden von sage und schreibe zehn Millionen Euro. In Hamburg konnten die Vogelschläge mit Auswirkungen auf das Luftfahrzeug dank der gefiederten Luftwaffe rund um Egbert in den vergangenen Jahren auf etwa zwei Stück pro Jahr reduziert werden. Die Greife schlagen allein durch ihre Anwesenheit die unerwünschten Besucher des Airports in die Flucht. Diese biologische Vergrämung ist nicht nur ökologisch, sondern auch effizient.
Zwei- bis dreimal pro Woche fährt Herbert Boger mit seiner Fliegerstaffel auf dem Flughafengelände in Fuhlsbüttel „Bird-Patrouille“. Vor ihrem ersten Einsatz als Sicherheitsmitarbeiter am Hamburg Airport müssen alle Greifvögel aber zunächst eine Art Desensibilisierungsprogramm durchlaufen, um sich an den Fluglärm vor Ort zu gewöhnen. „Man nimmt den Vogel ein paar Mal mit zum Flughafen, gibt ihm viel zu atzen, lässt ihn aber nicht fliegen“, so der Fachmann. „Dann verbindet er den Fluglärm mit viel Futter, das war’s.“ Je nach Temperament des einzelnen Vogels dauere das „Vertrautmachen“ ein bis vier Wochen.
Damit bei den zu vergrämenden Arten kein Gewöhnungseffekt eintritt, handelt Herbert Boger nicht nach Schema F, sondern nutzt das gesamte Repertoire seiner verschiedenen Greife. Falkenartige fahren eine andere Jagdstrategie als Habichtartige. Erstere jagen primär im freien Luftraum und steigen gern mal 300 bis 400 Meter auf – seine Falken setzt Boger deshalb auch nur dort ein, wo wenig Verkehr ist. Habichte und Bussarde dagegen jagen meist nur über kurze Distanzen und setzen auf Überraschung. Diese Strategie fährt auch Boger: „Der Tod muss unkalkulierbar kommen.“ Ein Plan, der aufgeht: Egbert und seine Kollegen erbeuten im Jahr rund 40 bis 50 vogelfreies Flugwild. Der Verscheuchungseffekt ist noch viel, viel größer!
Und es werden noch weitere Maßnahmen ergriffen, um das Areal für Vögel so „unsexy“ wie möglich zu machen: Mit einer gezielten Gestaltung und Pflege von Grünflächen beispielsweise reduziert der Flughafen das vorhandene Nahrungsangebot; das absichtliche Stehenlassen von hohem Gras führt ebenfalls zu einer Meidung, denn die meisten Vögel
ziehen für Brut und vor allem Nahrungssuche offen einsehbare Flächen mit niedrigem Bewuchs vor. Auch Randbereiche gestaltet man so, dass große, den Flugbetrieb gefährdende oder in Schwärmen auftretende Vogelarten ihre ökologischen Ansprüche an einen Lebensraum nicht erfüllt finden.
Trotz wachsendem Flugverkehrsaufkommen ist die Kollisionsrate im deutschen Luftraum annähernd konstant. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass sich die Bemühungen lohnen. Weltweit wurden 10 Vogelschläge pro 10.000 Flugbewegungen registriert, im deutschen Luftraum seien es 5,8 – Egbert und
seinen Kameraden sei Dank!

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