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Hamburg Pilots

DIE HAFENLOTSEN

Text: David Pohle | Fotos: René Supper

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 58

Es ist kurz vor 6 Uhr an einem frischen Donnerstag Ende Oktober, Hamburg und der Tag kommen langsam in die Gänge. Da lächelt der Hafen nur milde, denn er schläft bekanntlich nie. Mit der öffentlichen HADAG-Fähre 64 haben wir den dunklen, noch trägen Fluss von Teufelsbrück nach Finkenwerder gequert, sind umgestiegen auf die 62, die uns am Anleger Bubendey-Ufer ausgeworfen hat, unser Ziel – die von Fritz Schumacher gebaute Lotsenstation auf dem Seemannshöft – die ganze Zeit im Blick.

Daniel Beissel ist natürlich schon lange auf Betriebstemperatur, hat nachts bereits ein Schiff gelotst und angeboten, uns bei den nächsten Einsätzen mitzunehmen. Er ist einer von 65 Hafenlotsen. Alles Männer. Unter drei Aspiranten, wie Bewerber genannt werden, ist erstmalig allerdings auch eine Frau.
„Wenn man Manövrieren liebt, ist das hier wie ein gelebter Männertraum vom Spielen mit großen, schweren Dingen. Eigentlich ist jedes Schiff vor allem ein mächtiges Stück Eisen, das wir bei Wind und Wetter an wirklich jedem Tag im Jahr rund um die Uhr zur kontrollierten Kollision mit der Pier bringen.“

Hafenlotse ist übrigens nicht gleich Elb­lotse, obwohl die Hafenlotsen ja auch auf der Elbe unterwegs sind. Aber eben nur im Hafen. Die Elblotsen mit Sitz an der Elbchaussee auf der anderen Flussseite, den Hafenlotsen in frotzelnder Partnerschaft verbunden, gehen bei aufkommenden Schiffen schon in der Deutschen Bucht oder der Elbmündung an Bord und lotsen dann bis Tonne 121. Das ist bei Wedel, Höhe Schulau/Willkomm-Höft, gefolgt von der Delegationsstrecke bis Höhe Teufelsbrück, auf der die Hafenlotsen übernehmen, die nun das gesamte Hafengebiet exklusiv betreuen. Für abgehende Schiffe ist es entsprechend umgekehrt.

Was die wenigsten wissen, ist, dass die Lotsen hochausgebildete Spezialisten sind, die alle über ein nautisches Studium und natürlich auch ein Kapitänspatent für Große Fahrt auf allen Weltmeeren verfügen.
„Wir sind die Formel 1 im Hafenbecken und parken die dicksten Pötte wie andere ein Auto auf dem IKEA-Parkplatz. Und ich sage dir, jedes einzelne Mal ist das wieder schön“, lacht Beissel, der aus der Seefahrerstadt Aachen kommt, nach Kiel ging, um Jura zu studieren, und dann mehrfach auf der „Alexander von Humboldt“ – kennt man noch aus der Beck’s-Werbung – mitgefahren ist.

Da legte er sich schnell die Karten und tauschte die Paragrafen gegen die Aussicht auf ein Leben auf See. Es folgte das Nautikstudium in Bremen. Und eine Karriere auf den Weltmeeren: als Wachoffizier, Chief Mate, später auch als First oder Staff-Kapitän. „Stellt man sich gut an, setzt die Reederei einen bei entsprechendem Zutrauen dann vielleicht auch als Kapitän ein“, sagt der 51-Jährige.
Tat sie, er wurde Kapitän auf der „Columbus“, einem schnieken Kreuzfahrer von HL Cruises. Da war er 35 Jahre jung, und die älteren Semester, die an Bord gingen, fragten: Na, junger Mann, können Sie das denn schon? Beissel antwortete dann: Das werden wir am Ende der Reise gesehen haben. Natürlich ging es immer mehr als gut. So kamen insgesamt 13 Jahre auf See zusammen.

Die Augen glänzen, wenn er von der Seefahrt erzählt. Sie glänzen aber auch, wenn er von seiner Frau und seinen beiden Kindern in Kiel spricht. „Sieben, acht Monate auf See, das ist – mit Familie an Land – ein dicker Stiefel im Rücken.“ Beissel bewarb sich bei den Hafenlotsen und wurde mit Kusshand genommen. Auch weil er ein feiner Kerl ist, was bei allen Qualifikationen unabdingbarer Soft Skill ist.
Jetzt ist er Teil der Hafenlotsenbrüderschaft Hamburg, eine von neun Lotsenbrüderschaften in Deutschland. Sie ist der Zusammenschluss aller Hamburger Hafenlotsen und als Körperschaft des öffentlichen Rechts seit Juli 1981 organisiert. Vorher waren sie 128 Jahre Bedienstete der Stadt, 1885 wurden die ersten drei Lotsen in Dienst gestellt.

Der Ablauf ist nun familienfreundlicher. Für Landratten wie mich dennoch nicht ganz ohne. Auf sieben Tage frei folgen sieben Tage Dienst, währenddessen man auf einer Bereitschaftsliste geführt wird. Kommt der Einsatz, macht man in der Regel drei bis vier Schiffe am Stück, dann rückt man wieder ans Ende der Liste. Zeit, zu schlafen, was einzukaufen, essen, ein wenig Sport. Beissel hat eine kleine Wohnung um die Ecke. Denn wenn der Schichtleiter anruft, muss man nach allerspätestens 90 Minuten auf der Matte stehen. „Faire Einteilung, festes Regelwerk, statistische Gleichbehandlung, gefühlt haben wir alle immer nur nachts Dienst“, grinst er.

Einsatzleiter ist heute Ben Adler, er sitzt auf, was die Lotsen den heißen Stuhl des Hafens nennen. Natürlich auch Lotse, hat er acht Stunden Schicht am Stück. „Die Pläne bleiben selten wie vorgesehen, Lotsen, Taxis, Barkassen, wer macht was wann wo, immer gibt es Unwägbarkeiten wie Verzögerungen, die dann wieder Einfluss auf alles andere haben.“ Dafür ist sein Arbeitsplatz der Hammer, 180 Grad Elbblick aus mehreren großen Fenstern.

„Man beginnt als Aspirant, wenn man gut ist und – ganz wichtig – zur Truppe passt, geht es los mit maximal 150 Meter Länge, später kommen 50 Meter dazu, und danach wächst man um 50 Meter im Jahr. Und trotzdem ist das siebte, achte Jahr auch hier das gefährlichste. Man hat nie ausgelernt, es ist nie langweilig, aber man darf auch nie lässig werden.“
Es geht los. Die „Conmar Gulf“, ein 130 Meter langer Feeder, der im Linienverkehr zwischen Sankt Petersburg und Hamburg mehrere Häfen ansteuert, soll im Hafen verlegt werden. Mit zügigen, bestimmten Schritten zum Lotsenboot „Lotse 2“, das hinterm Haus liegt, lockeres Hallo, dann fahren wir quasi durch den ganzen Hafen, besonders schön die aufgehende Sonne hinter der Köhlbrandbrücke, als wir Container-Giganten am Burchardkai passieren. Kein Weltmeer, aber für Menschen mit Seebeinen kein schlechter Arbeitsplatz.

Und das ist hamburgisch für ziemlich toll. Apropos toll, Tollerort kommt in Sicht. Ma­trose Hagemann erzählt, dass der Name von den Dänen kommt und Zollstelle bedeutete. Da waren Hamburg und Altona noch zwei fremde Städte. Jetzt ist Globalisierung Trumpf, die chinesische Reederei Cosco hat 24,9 Prozent vom Terminal erworben. Ein Politikum. Ein Cosco-Schiff wird entladen.

Beim Elbspaziergang würde man der eher kleinen „Conmar Gulf“ kaum Beachtung schenken. Wenn man die wackelige Gangway hochstiefelt, dann sechs Decks hochklettert und rund 20 Meter über der Pier spektakulär auf den Hafen schaut, ist man ehrlich beeindruckt. Und außer Atem. Alexander, russischer Kapitän mit Tim-Frisur (aus Tim und Struppi) ist fröhlich, lacht über den Knoblauchküchengeruch seiner philippinischen Matrosen und steuert mit leichter Hand von Tollerort zum Athabaskakai. Bald fährt er Ägypten, Türkei, er stöhnt, vorher fuhr er St. Petersburg, Ostsee, Hamburg und zurück. „The war, you know.“
Beissel steht neben ihm auf der Brücke. „Der Kapitän des Schiffs hat immer die Verantwortung, wir sind Berater, bieten nur an, zu übernehmen, aber es gibt keine Verpflichtung.“ Und ergänzt: „Sollte aber etwas passieren und der Kapitän hat mehrfach unsere dringliche, spezifische Beratung ignoriert und nicht kooperiert, hat er grob fahrlässig gehandelt. Und das gibt dann ziemlich Ärger. Insofern stellt sich die Frage nahezu nie. Und ja, natürlich können wir jedes Schiff manövrieren“, sagt Beissel wie selbstverständlich und weiter: „Die Elbe wird immer enger, für Kapitäne, die das nicht kennen, kann das ein mulmiges Gefühl geben, da halten wir dann fast schon Händchen und geben psychologische Betreuung. Ob ich mit denen gut in den Parkhafen komme, entscheidet sich auf Höhe der Lotsenstation. Das ist dann Erfahrung“, ergänzt Beissel.

Der nächste Auftrag führt uns per Auto­taxi an die Süderelbe, die „Yeoman Bridge“, Heimathafen Nassau, hat im Seehafen 2 einen Berg Granitsplitt entladen, der für ein mittleres Skigebiet reichen würde. „Ein enges Ausparkmanöver, wo wir gut auf die Weichteile aufpassen müssen“, sagt Beissel und meint Schraube und Ruderanlage des 250 Meter langen und 40 Meter breiten Kaventsmanns, da nimmt Beissel lieber noch seinen Kollegen Hartmut Bosch sowie den Aspiranten Björn Sievers mit. Außerdem sind zwei Schlepper im Einsatz, der Verkehr muss kurz aufgestoppt werden, und Beissel gibt in der Fahrrinne konzentriert Kommandos: „Midships, 20 Port, 10 Starboard, 10 Port usw.“, die vom philippinischen Steuermann wiederholt werden, bis Kattwyk- und danach Köhlbrandbrücke passiert sind, vor Teufelsbrück gehen wir Mitte Fahrwasser von Bord. Per Lotsenleiter, „Lotse 3“ liegt unter der letzten Sprosse. Einen Zwischenfall hat es seit 1981 mit den Hafenlotsen noch nicht gegeben. Die Elblotsen übernehmen. Tagein, tagaus.

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