Kaderschmiede
WIN-POLOSCHULE
Text: Marco Arellano Gomes | Fotos: Rolf Simon
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 64
Wer das 40 Hektar grosse Gelände der Win-Poloschule in Hamburg-Osdorf betritt, wähnt sich in einer anderen Welt: Vögel zwitschern, Hunde knabbern auf von den Pferden stibitzten Möhren herum, Trecker stehen vor den Holzgebäuden, aus den Ställen ragen Pferdeköpfe und grüßen mit einem Wiehern. Zwei Poloplätze (290 m x 160 m), eine Galoppbahn (Länge: 1,3 km) sowie eine Trainingshalle für den Winter bietet die Schule an. Es gibt Platz für 140 Pferde – und das, einzigartig in Europa, mitten in einer Großstadt.
An einem Donnerstagnachmittag trudeln nach und nach die Kinder und Jugendlichen ein, die heute Training haben. Die ersten schon Stunden vor Beginn, weil es hier so schön ist. Die Freude steht den Kleinen ins Gesicht geschrieben. Die letzten Schulprüfungen sind bestanden – heute steht Polo auf dem Lehrplan. Während die Schüler sich umziehen, werden die Pferde auf das Training vorbereitet: Maxi Gonzales und Daniel Valdez, zwei der argentinische Grooms, bandagieren die Beine, legen Gamaschen an, ziehen Hufglocken über die Füße, binden Sattel samt Brustgurt um, befestigen Zaumzeug, Trense, Martingale und Zügel am Kopf, binden den Schweif hoch. Die Mähne ist bereits geschoren.
Die Sicherheit des Pferdes sei das oberste Gebot des Polosports, betont Thomas Winter, gräuliches, gelocktes Haar, 5-Tage-Bart, Baseball-Kappe, dunkelgraues Poloshirt, weiße Jeans. „Wenn ein Spieler mitten im Spiel vom Pferd fällt, ohne sich zu verletzten, hat er Pech gehabt. Wenn ein Pferd in Gefahr gerät, wird sofort das Spiel unterbrochen“, so Thomas.
Thomas Winter ist der erfolgreichste deutsche Polospieler und Gründer der Hamburger Poloschule. In seinen Spitzenzeiten hatte er als einziger deutscher Polospieler das von einem internationalen Expertenrat festgestellte Handicap +5 (die Skala reicht von –2 bis +10), gewann zahlreiche Deutsche Polomeisterschaften. Mittlerweile konzentriert sich Thomas auf das Trainieren, ist Bundestrainer des „Deutschen Polo Verbands“ und übernimmt oft die Rolle des Schiedsrichters. Ab und an aber schwingt er sich noch immer in den Sattel und nimmt aktiv an Turnieren teil.
Seine Brüder Christopher „Niffy“ Winter und Oliver „Nolly“ Winter sind ebenfalls erfolgreiche Polospieler, letzterer sogar Präsident des „Deutschen Polo Verbands e.V.“. Die Winters prägten und prägen den deutschen Polosport wie keine Familie vor ihnen. Schon ihr Vater Klaus spielte Polo, nachdem seine Frau Lena, eine Reitlehrerin, dem Kaufmannssohn Anfang der 1970er-Jahre im ostafrikanischen Sambia das Reiten nahebrachte.
Zurück in Hamburg blieb die Familie am Ball: Die Win-Poloschule gründete Thomas Winter 1993, weil er zu den Besten gehören und zugleich sein Wissen weitergeben wollte. Sie ist eine der ältesten und renommiertesten Deutschlands. Vor dem Umzug nach Osdorf (2002) stand sie in Norderstedt. Etwa 300 Pferdebegeisterten hat er seither den Polosport nahegebracht, neun der Top-10-Spieler in Deutschland wurden von ihm ausgebildet.
Die Winters brachten das traditionelle Polo in Hamburg auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau. Viele Matches spielten sie gemeinsam, bestritten sogar Elefanten-Polo in Thailand – und gewannen. „Das hat irre Spaß gemacht“, sagen Thomas und Christopher in freudiger Erinnerung. Die bis zu 60 km/h schnellen Pferde sind ihnen aber lieber. Sie sind das Kapital jedes Turnierspielers. Polopferde sind ruhig, entspannt, geradezu pflegeleicht. Erst auf dem Feld zeigen sie ihre energische Seite. Diese Dualität erklärt sich durch die spezielle Zucht. Dabei werden, auch hier im Stall, englische Vollblüter (Rennpferde) mit argentinischen Criollos (Nutztieren) gepaart. Heraus kommt das perfekte Polopferd.
Die Kinder (ab sechs Jahren) und Jugendlichen stehen nun bereit, ausgestattet mit weißer Jeans, Poloshirt, Polohelm, Polostiefeln, gepolsterten Knieschützern, Lederhandschuhen und einem hochelastischen Poloschläger aus Bambus, mit einem Kopfstück aus Holz. Jeder der Schüler hat sein Lieblingspferd – und
diese tragen ungewöhnliche Namen: Chocolate, Columbus, Estrella, Cocaina und Norbert (eigentlich: Il Jumpo, weil es so gern hüpft).
„Zu Beginn haben die Kinder Respekt und Ehrfurcht“, erklärt Thomas Winter. „Das Verständnis für die Pferde entsteht bei Kindern aber relativ schnell.“ Pferde spüren, ob die Chemie stimmt, und benehmen sich entsprechend. Thomas Winter ist überzeugt, dass junge Menschen besser mit Pferden können. „Kinder kommunizieren, ohne zu sprechen. Das verlernt man, sobald die Sprache kommt.“
Die Schüler steigen auf die Pferde und traben mit Betreuern und dem Trainergespann in Richtung Feld. Pferdehufe klackern über den gepflasterten Weg. Trainiert wird auf einem etwa zwölf Hektar großen Rasenplatz, im Hintergrund die Plattenbauten. „Natur pur – mitten in Hamburg, umgeben von 30.000 Nachbarn“, scherzt Thomas. Eine Einzelstunde inklusive Pferd und Ausrüstung kostet 85 bis 100 Euro. Reinschnuppern kann man auch, zum ermäßigten Preis. „Polo ist nicht nur was für Reiche. Bei uns ist jeder willkommen“, das ist Thomas wichtig.
Das Training beginnt, Zügel in der linken, Schläger in der rechten Hand. Aufschlag: Der Ball aus Hartplastik fliegt im hohen Bogen durch die Luft, 100 bis 150 Meter weit. Mehrere Pferde jagen hinterher. Wenn die kraftvollen, edlen Tiere über den Platz donnern, stellt sich sofort eine gewisse Faszination ein.
Thomas steht während des gesamten Trainings am äußeren Ende des Feldes und beobachtet gelassen die Szenerie. Wohldosiert gibt er Anweisungen, die direkt befolgt werden. Der Respekt ihm gegenüber ist groß. Entgegen jedem Klischee ist er nicht der Ralph-Lauren-Hemdenträger, der Champagner-Polospieler. Er ist nahbar, sympathisch, bodenständig. Wie kein anderer verkörpert er das Lebensgefühl, welches das Mannschaftsspiel zu Pferd ausmacht. Mit Polo ist er aufgewachsen und erfolgreich geworden. Die Zügel aus der Hand zu geben, komme für ihn daher nicht infrage:
„Ich werde Polo spielen, bis ich umfalle.“