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Fisch-Fiete

GASTHAUS ZUR POST

Text: Walter Schütz | Fotos: Christian Boldt

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 60

Fangfrisch – Was einem gerade in Hamburg oft schon als überflüssige Floskel vorkommt, ist in diesem Restaurant so wahr, wie es nur sein kann: Fisch ist hier so frisch, als sei er aus dem Wasser direkt in die Pfanne gesprungen. Hier, das heißt in diesem Fall „Zur Post“ in Cranz auf der anderen Elbseite, Hamburgs ältestem Gasthaus. Richtig gelesen, der kleine Ort Cranz ist tatsächlich ein Stadtteil der Freien und Hansestadt Hamburg, und zwar der einzige in der sogenannten Zweiten Meile des Alten Landes, dem Teil zwischen den Flüssen Lühe und Este.

Und nein, natürlich hüpfen die Speisefische auch hier drüben nicht freiwillig auf den Teller, sie brauchen durchaus wohlwollende Hilfe: Drei Fischer liefern fangfrisch direkt aus dem Boot über den Zaun des Restaurantgartens in die Küche, wo Maischolle, Stint, Matjes oder Zander aus der Elbe dann so lecker zubereitet werden, dass einem das Wasser schon beim darüber Schreiben auf der Seezunge zusammenläuft (oh ja, die gibt es hier natürlich auch).

„Seit 1725 Familie Kramer“ – so steht’s auf dem Schild, das einen am Estedeich 88 in Cranz auf die Bremse treten lässt und auf den Restaurantparkplatz lotst, wenn einen nicht sowieso gerade eine Schlange vor der Tür aus Neugier zum Halten anregt. Vor bald 300 Jahren wurde das Gasthaus gegründet und prompt zum neuen Treffpunkt für Kutscher und Fischer aus der Region. Fast schon logisch, dass es 1900 erweitert wurde, mit dem neu eröffneten Krämerladen wurde es gar zum Spar-Gründungsmitglied im Norden. Auch der Name kommt nicht ganz von ungefähr, hatte die „Zur Post“ doch tatsächlich von 1945 bis 1978 die Funktion des Postamts von Cranz inne. Wiebke und Herbert Kramer, Kinder der damaligen Inhaber Günther und Gertrud – na, wie wohl – Kramer, wurden schon damals mit eingespannt und mit Snacks im Glas zu den wartenden Fahrgästen der direkt hinter dem Haus an- und ablegenden Elbfähre geschickt, um das Geschäft etwas anzukurbeln. Wiebke erzählt einem zu den Ahnenfotos an den Wänden des heutigen Speisezimmers auch gern mal schnell die ganze Familiengeschichte in fünf Sätzen.

Als Herbert 1978 die Nachfolge seiner ­Eltern antrat, beschloss er allerdings, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er schloss Krämerladen und Poststelle – und machte die Gaststätte konsequent zum Restaurant. Und zu was für einem: zu einem Fischspezialitäten-Restaurant, das sich über die Jahre weit über das Alte Land hinaus einen Namen gemacht hat und mit eben jenem Fisch, knuspriger Ente oder Altländer Deichlamm hinüber auf die andere Elbseite lockt.

Heute, sage und schreibe 45 Jahre Restaurantbetrieb später, sitzt Herbert entweder an der Fischsäge im Keller oder am Koi-Karpfen-Teich im Garten, wo er kiloweise Spargel oder Kartoffeln aus dem Alten Land schält und die Gäste mit dem einen oder anderen knorrigen Spruch empfängt, wie man ihn von einem echten Altländer eben erwartet. Ansonsten hält er sich mittlerweile ziemlich raus. Denn der neue „Postvorsteher“ ist bereits gefunden und im Amt – und zu Herberts großem Glück aus der eigenen Familie: Sohn Fiete schmeißt hier mittlerweile den Laden, damit ist die achte Generation am Ruder.
An sich sei ja nur Corona daran schuld, sagt Fiete Kramer, den die Pandemie zurückgelockt hat, heraus aus der Arbeit mit Microsoft und so legendären Fußballclubs wie Manchester United oder Real Madrid – ein absoluter Traum für ihn, der selbst höherklassig Fußball gespielt hat. Hinein ins Altländer Feinschmeckerparadies, wo er nun kreativ sein und eigene Ideen umsetzen kann. Er sagt das alles andere als bedauernd, im Gegenteil. Er fühlt sich pudelwohl, oder besser: wie ein Fisch im Wasser in seiner neuen Rolle. Und er bringt nicht nur frisches Blut und Energie mit „Zur Post“, sondern auch jede Menge Ideen und frischen Wind. Mit dem neuen Küchenchef Christian „Rindi“ Rindfleisch (!), dem man auf seinem Instagramkanal beim fachmännischen Lachsfiletieren zusehen kann und der sich zusammen mit seinem Bruder und Kochgenossen Michael an gaumenergötzenden Vorspeisen austobt. Oder mit den neuen, schicken Ferienwohnungen rund ums Gasthaus, die einen durchaus verlocken, die Rückfahrt über die Elbe einfach mal ein bis zwei Tage oder Wochen zu verschieben.

Frischen Wind, den Fiete Kramer sich bei seinen Bootstouren quer über die Elbe möglichst oft um die Nase und durch den Kopf pusten lässt. Denn wo andere in ihren Lieferwagen steigen müssen, öffnet Fiete einfach das „Gartentor zur Welt“ und klettert in sein Boot, das – je nach Stand von Ebbe oder Flut – direkt dahinter oder zwei Meter tiefer auf der Este angebunden auf ihn wartet. „Was brauchst du mehr?“, fragt Fiete eher rhetorisch, als er grinsend den Gashebel seines Motorboots durchdrückt. Die einmalige Lage direkt am Nebenfluss der Elbe gegenüber von Blankenese ermöglicht auch den Gästen die Anfahrt übers Wasser: Wer kann, kommt mit eigenem Boot und mit einem kräftigen „Moin!“ über den Gartenzaun, alle anderen nehmen die älteste Elbfährlinie HBEL von Blankenese nach Cranz, die nur einen Steinwurf von Fietes Deck entfernt anlegt. Früher hielt sie sogar genau dort, wo man jetzt auf Kramers Deck im Strandkorb sitzt und bei ­einem kühlen Drink der „Altona“ beim Wenden zusieht.

Wer mit dem eigenen Boot kommt, sollte allerdings eines nicht aus den Augen verlieren: die Tiden. Denn wer zu lange bleibt, ob nun im Strandkorb oder nicht, dem kann es passieren, dass ihm das Tor zur Elbe vor der Nase zugemacht wird und sein Boot erst mit der nächsten Flut wieder aus der Este auslaufen kann. Aber selbst dann bleibt festzuhalten: Es gibt wohl kaum einen leckereren Ort auf der anderen Elbseite, um festzusitzen. Und wenn alle Stricke reißen und man dem lokalen Absacker zu ausufernd zugesprochen haben sollte, kann man immer noch bei Fiete oder Tante Wiebke vorsprechen, um die Betten in einer der Ferienwohnungen auszuprobieren. Denn eines ist sicher: Die nächste Flut kommt  – genau wie jeder Gast, der einmal hier war.

„Ich hab’ mich jedenfalls gefreut wie ein Stint, dass ich den Fiete jetzt für die „Post“ gefunden hab’“, sagt Vater Kramer mit Blick auf seinen Sohn. „Und ich erst“, ergänzt Fiete.

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