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The world is their oyster

HAPAG-LlOYD

Text: Till Briegleb | Fotos: Patrick Ludolph, Hapag-Lloyd

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 56

Die englische Übersetzung des Hapag-Lloyd-Leitspruchs „Mein Feld ist die Welt“ lautet: „The world is my oyster.“ Viel gebräuchlicher in der Rückübersetzung aber bedeutet das Motto in der See- und Weltsprache: „Die Welt liegt mir zu Füßen“ (und natürlich nicht: „Die Welt ist meine Auster“). Doch das lässt sich über die 175-jährige Geschichte des größten deutschen Schiffsunternehmens nicht für alle Phasen sagen. Diverse Male fast bankrott, zweimal weltkriegsbedingt die gesamte Flotte verloren und auch in der jüngeren Geschichte nur knapp dem Verkauf nach Singapur entgangen, ist die Chronik des Traditionsunternehmens kein ständiges Gleiten durch ruhige Gewässer.

Wenn also zum Jubiläum Ende Mai verkündet werden konnte, dass Hapag-Lloyd für das Jahr 2021 den größten jemals in Hamburg von einer Firma erzielten Gewinn verbuchen konnte, 9,4 Milliarden Euro, dann wissen weise Kapitäne bei dem Containerbeweger, dass auf jeden warmen Geldregen ein kalter Sturm folgt. Und sie können ihn auf der Wetterprognose schon erkennen. Der Zyklus von Supergewinnen und Marktbereinigungen hatte in der Branche erst kürzlich die Kraft eines Zyklons. Und das Muster der sogenannten globalen Schifffahrtskrise, die nach zehn turbulenten Jahren erst 2018 abebbte, scheint sich gerade wieder aufzubauen. Denn das Click-Shoppen in der Pandemie führte in fünf heimeligen Warengruppen zu explodierender Nach­frage: Homeoffice-Möbel, Handwerkerbedarf, Hometrainer, Haushaltsgeräte und Hardware. Diese Produkte zur Heim-Hybridisierung mussten zu 80 Prozent aus Asien rangeschifft werden. Also sind auch die Frachtraten explodiert. Und das führt wie gegen Ende der Nullerjahre, als das aggressive Wirtschaftswachstum Chinas die Reeder der Welt dazu verleitete, wie verrückt neue Schiffe zu bestellen, zu massiver Überkapazität. Waren es in der Super-Baisse, die knapp die Hälfte der großen Schifffahrtslinien versenkt hat (da­runter den potenziellen Käufer der Hapag aus Singapur), 60 Prozent mehr Schiffsladeplatz, sind es bald schon wieder 25.

Aber es gibt ein vertrauenerweckendes Leitmotiv in der langen Geschichte dieses Unternehmens, das auch die nächste Krise freudig zu erwarten erlaubt: Fast immer, wenn es Spitz auf Knopf stand, fand sich in der geplatzten Auster eine Perle. Das betrifft eigentlich schon die Gründung der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ 1847. Fünf Jahre vorher hatte der Große Brand ein Viertel der Stadt vernichtet und eine massive Finanzkrise ausgelöst. Trotzdem versammelten sich am 27. Mai zwischen 14.30 und 16.15 Uhr rund zwei Dutzend Hamburger Kaufleute, um eine Aktiengesellschaft zu gründen, die eine neue Linie nach Amerika aufbauen sollte. „Ist denn die Elbe verbrannt?“, fragte einer der Köpfe dieser Notgemeinschaft, Heinrich Heines Bankiersonkel Salomon Heine: „Nein! Also ist nichts verloren.“
Bereits ein Jahr später fuhr das erste Segelschiff der Hapag, die „Deutschland“, mit Fracht und Passagieren nach New York. Acht Jahre später begann auch für die konservativen Hamburger Reeder das Dampfschiffzeitalter. Neue Serien motorgetriebener Kähne begründeten ihren Ruf, besonderen Wert auf Komfort, Höflichkeit und Gesundheit zu legen. Die mit Damensalon, Raucherzimmer, Bibliothek, Eishaus und Milchkuh ausgestatteten Schiffe, die für alle 430 Reisenden ein Bett zur Verfügung stellten (oder wenigstens eine Pritsche), waren kein Vergleich mehr zu den bisherigen Transportmitteln der Passage, die als „schwimmende Särge“ verspottet wurden. Bei deren 40-tägiger Atlantikfahrt gingen bis zu zehn Prozent der Gäste ex.

Aber schon 1857 herrschte wieder Gewitterstimmung an der Alster. In Bremen hatte sich der Norddeutsche Lloyd gegründet, der das Auswanderergeschäft nach Amerika als Geschäftsfeld besetzte, und von den USA breitete sich die erste Weltwirtschaftskrise nach einem Bankenkollaps aus, die das spekulative Warengeschäft der Hamburger Kaufleute hart traf. Der Kapitalismuskritiker Friedrich Engels schrieb begeistert an seinen Mitstreiter Karl Marx: „In Hamburg sieht es großartig aus.
Alles ist wertlos. Für den Moment ist Hamburg kommerziell vernichtet.“
Aber wie 2008, als der Hamburger Senat zusammen mit Klaus-Michael Kühne die Containersparte der Hapag-Lloyd für 4,45 Milliarden Euro vom TUI-Konzern kaufte, sorgten auch 150 Jahre vorher gigantische Marktinterventionen des Staates dafür, dass die Welt den Ozeanflößern bald wieder zu Füßen lag. Trotz Bränden an Bord und anderem Schiffe­versenken bot die Hapag in den folgenden Jahrzehnten – begünstigt durch das Ende des Sezessionskriegs in Amerika und den letzten von Deutschen gewonnenen Krieg 1871 – ein stetes Anbranden von Dividenden bei den Aktionären.
Bis ein gewitzter Seiteneinsteiger die Geschichte von Krise und neuem Glück fulminant veränderte, vom Konkurrenten zum neuen Chef aufstieg und anschließend das perlende Zeitalter der Hapag begründete, obwohl viele der zwirbelbärtigen Anteilseigner den Neuen des Öfteren für „nicht ganz dicht“ hielten. Albert Ballin machte der Hapag erst mit einer Billigalternative das Emigrantengeschäft in die USA so madig, dass sie „fünf Minuten vor Absaufen“ stand. Dem Aufsteiger wurde deshalb 1886 die Fusion angeboten, und damit begann der Siegeszug Ballins, der das Unternehmen sogar zum Herzensprojekt des Kaisers machte. Die Anteilnahme Wilhelm II. zeigte sich unter anderem in einem jährlichen Gabelfrühstück in Ballins Villa an der Ferdinandstraße (womit er das Tabu brach, dass ein Kaiser keine Privatleute besucht). Als Dank benannte Ballin das damals größte Schiff der Welt, einen 1912 vom Stapel gelaufenen Luxusliner von überbordender barocker Prachtentfaltung, „Imperator“.

Neben vieler anderer Verdienste war Ballin Erfinder der Kreuzfahrt. Da seine schwimmenden Paläste im stürmischen Winter nicht nach Amerika ausliefen, weil dann allen übel wurde, schickte er sie zu Vergnügungsfahrten ins Mittelmeer. Das goutierten seine „würdigen Directoren“ zunächst gar nicht. Sie hielten die Idee von Lustreisen zu Schiff für abstrus und unwirtschaftlich. Aber schon die Jungfernfahrt der „Augusta Victoria“ als Grandhotel auf See 1891 war ein Sensationserfolg.
Dass Kaisers liebster Schifflebauer nach dem Totalverlust seines Geschäfts durch den Ersten Weltkrieg am selben Tag starb, als Philipp Scheidemann in Berlin die Republik ausrief, am 9. November 1918, kann symbolischer kaum sein. Das ersparte ihm drei belastende Jahrzehnte mit Weltwirtschaftskrise und Weltuntergang durch Hitlers Imperator-Wahn sowie die entsetzliche Demütigung, dass die Nazis die Hapag zwangen, Ballins
Namen aus allen Annalen und von Schiffsrümpfen zu tilgen.
Diese Niedertracht musste stattdessen der Hauptfinanzier des Unternehmens, der Ban­kier Max Warburg erleben, als er von den Nazis aus dem Stammhaus am Alsterdamm verwiesen wurde. Allerdings ging er nicht, ohne den Opportunisten der Hapag beim Abschlussbankett in Erinnerung zu rufen: „Die mäch­tige deutsche Schifffahrt ist vor allem das Werk von zwei Juden.“ Albert Ballin und Max Warburg.
Das neue NS-Staatsunternehmen, das Kreuzfahrtschiffe für die „Kraft durch Freude“-Reisen baute, die das Militär 1939 übernahm, endete vollständig am Meeresboden. Aber die Hapag konnte auch diese Auslöschung in einen erfolgreichen Neuanfang verwandeln. Allerdings ging auf diesem Weg Ballins schönste Idee verloren. Nach der Verschmelzung mit dem Erbfeind der Boote aus Bremen, dem Nordischen Lloyd 1970 zur Hapag-Lloyd, und einer Übernahme durch den Preussag/TUI-Konzern 1997 kam es 2008 zur Aufspaltung der Flotte in Traum- und Transportschiffe. TUI behielt die schwimmenden Hotels, die Hamburger kauften nur die Containersparte.

Heute ist Hapag-Lloyd die fünftgrößte Containerreederei der Welt. Und sie muss sich gerade mal wieder neu erfinden. Fragen der Nachhaltigkeit und Diversität sind große Herausforderungen, etwa wenn es um klimafreundlichere Treibstoffe als den Schiffsdiesel geht. Dutzende Alternativen von Methanol über Ammoniak zu Wasserstoff und synthetischen Gasen sind in der Erprobung. Und die Mischung der Mitarbeiterschaft ist längst nicht mehr nur dem Ziel verpflichtet, mehr Frauen für den Beruf zu begeistern.
In Pakistan wurde gerade eine Transfrau eingestellt, in Ägypten ein Mitarbeiter zur Brust genommen, der durch homophobe Äuße­rungen im Intranet aufgefallen war. Und auf kritische Stimmen zu den Grenzen des Wachstums wird nicht nur gehört, sondern man sucht bewusst nach ihnen. Der Ballin-Preis, den Hapag-Lloyd auslobt, richtet sich an Forscher, die globale Konsequenzen des westlichen Lebensstils untersuchen. „Wir sind uns völlig im Klaren darüber, dass Globalisierung nicht nur Gewinner hat“, sagt Unternehmenssprecher Nils Haupt. „Wir sind ein Gewinner. Aber das verpflichtet uns auch, unseren Unternehmenswert ‚We care!‘ ernst zu nehmen.“

Die heutige Welt ist ein Feld, wo die Auster nicht einfach zuklappen kann, wenn sich in der Umwelt etwas verändert. Einem Unternehmen, das sich offen für kritische Einsichten zeigt, selbst wenn die erst mal nicht der Dividende dienen, dem liegt aber dann die Welt zu Füßen. Manche Perlen sind eben Werte ohne Preis.

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