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King of Kreek

KREEKFAHRER HARALD HARMSTORF

Text: David Pohle
Fotos: René Supper

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 53

Peng, Zack! „Ich bin Harald“, begrüßt Harald Harmstorf, von Wind, Wetter und dem Leben gegerbter Bergungstaucher, Kommodore des Mühlenberger Segel-Clubs und seit dem anständigen Schnee und Eis im Winter 2021 ganz offiziell King of Kreek, die Zähne freundlich bleckend zum lockeren Schnack. Harmstorf ist aus echtem Schrot und Korn, seine Familie seit 1861 in Blankenese, sein Vater Ottar galt als berühmtester Taucher der Welt, Harald selbst zog die „MS Uwe“, deren altes Heck sich seit 1976 aufreizend gen Falkensteiner Ufer reckt, gen Strand. Dabei – und da lacht er herzlich – hatte er sich furchtbar den Rücken verrenkt, konnte sich nur kriechend nach Hause und zum Arzt retten. Schonung, Schonung, noch mehr Schonung. „Und kein Sport“, mahnte der Professor. Gehört, vergessen, der Winter wurde kalt, und da nichts einen echten Blankeneser vom Rüschen abhält, wenn Schnee und Eis die Neue Wiese in Schinckels hübschem Park am Elbhang in eine spektakuläre Arena verwandeln, stürzte Harald – unzweideutig sich Platz verschaffende Seglerrufe wie Wahrschau oder Raum schreiend – mit ächzender Bandscheibe den Hang hinunter. Dem Professor, mit Gattin auf Sonntagsspaziergang, steht der Mund noch immer offen. Das ist lange her. Der Rücken hält. Und mehr noch, Haudegen Harmstorf – inzwischen 81 Lenze jung – rüscht unbeirrt auf seiner rund 63 Jahre alten, sauschnellen Harmstorf-Kreek aus Mahagoni und Eichenkufen mit handgeschmiedeten Halbeisen, die für kein Geld der Welt verkäuflich ist und noch ein Messingschild trägt: O. Harmstorf, Yacht- & Bootswerft, Blankenese b. Hamburg.

Das Schild befand sich eigentlich an Haralds Jolle, die im Suff mit stehendem Mast gegen eine Brücke gesegelt wurde. Übrig blieb das Schild. Die Kreeks wurden damals in echter Handarbeit von Tischlern der Harmstorf-Werft gebaut, wenn nicht viel los war. „Lückenbüßer“, sagt Harmstorf, „500 DM kostete die. Viel Geld. Aber wer eine hatte, war selig.“ Wer heute an einem krachenden Wintertag an der Bahn steht, der wird schon bald hören, wie die Kreekfahrer irgendwann ehrfürchtig über Harmstorf-Kreeks sprechen. Oder über die von Harder. Oder die von Jens Eckhoff, der bis heute baut. Aber nur für den, den er mag und der bewiesen hat, dass er fahren kann. Wer diese Qualifikation nicht mitbringt, wartet bis zur Polschmelze. Oder länger. Thimo Hopp hatte Glück. Erst mal mit seiner Frau, die eine geborene Sörensen ist und den – wie er scherzhaft sagt – Ostpreußen überhaupt geheiratet hat. Thimo kommt nämlich aus Dockenhuden. Das ist eigentlich auch ein Teil von Blankenese. Aber früher war dort die Landbevölkerung zu finden, während sich im Treppenviertel alle tummelten, die mit Wasser und Seefahrt zu tun hatten. Schwager Sören Sörensen zeigte ihm den Weg auf: „Wenn du beim Osterfeuer mitmachst, mit der Kreek rüschst oder auf der Elbe segelst. Zwei von den drei Sachen mit Begeisterung und dann bist du ein Blankeneser.“ Passte. Thimos Frau hat jedenfalls das Unmögliche geschafft und dem 48-Jährigen letztes Weihnachten eine neue Eckhoff unter den Baum gestellt. Ein Ritterschlag. Den Eschenstamm hatte Schwager Sören in der Elbe gefunden. Gerade rechtzeitig vor der Kälte, denn vorher hatte es rund zehn Jahre keine Bedingungen gegeben, die die schönste Art, sich sogar in Blankenese mal ganz schnell nach ganz unten zu begeben, erlaubt hätten. Harald Harmstorf ist im Glück, bekommt glänzende Augen, wenn er von der Jugend spricht, und meint Leute wie Thimo, dessen Söhne Timm-Sören und Tomm-Sören und die vielen anderen – meistens Väter, aber auch mutige Mütter – die ihren Kindern das Kreekfahren quasi in die Wiege legen.
„Das sind so tolle Leute. Alle. Ich bin begeistert, dass hier die Tradition nicht als Bewahrung der Asche, sondern als Weitergabe des Feuers verstanden wird.“ Thimo ergänzt: „Mein Schwager zum Beispiel hat eine Kreek im Rohbau weitergegeben. Damit die Jungs das lernen. Und die wollen. So geht Tradition.“

Zum Kreeken gehört nämlich nicht einfach nur, sich wagemutig auf die flache, natürlich ungefederte Kreek zu setzen, sondern – so wie das knorrige Veteranen wie Eckhoff oder Rüppel machen – schon im Spätherbst die Naturbahn für einen immer seltener kommenden Winter zu präparieren. Löcher auszubessern und einzuebnen, Steine zu entfernen, auch Äste aus dem Weg zu schneiden. Ohne geht es nicht. Und wenn dann endlich gute Vo­raussetzungen kommen, wird per Facebook-Gruppe zum Eisen gerufen. Dann trifft sich der Nachwuchs, und die Alten, die immer jung bleiben, holen hektoliterweise Wasser – oft von der nahen Shell-Tankstelle –, gießen die Bahn, um diese schnell und möglichst unkaputtbar zu machen. Deswegen ist der normale Schlittenfahrer auch – sehr höflich ausgedrückt – Persona non grata. Vor allem weil er mit den Füßen bremsend das Ergebnis der nächtlichen Plackerei zerstört. Wenn es ums Rüschen geht, sind die Blankeneser ziemlich krüsch. Nur auf der eisigsten, härtesten Bahn werden die Rücken so richtig durchgehämmert, und nicht wenige futtern reichlich Ibu und Paracetamol, um am Folgetag wieder dabei sein zu können. Und als im Februar 2021 Tauwetter begann und die Bahn mit jeder Fahrt mehr litt, holte die Jugend mit Autos, Schubkarren und Plastikplanen die letzten Fitzel Schnee buchstäblich aus jedem Blankeneser Garten, um die Lebenszeit der Bahn noch etwas zu verlängern. Manchmal gibt es bei Geschwindigkeiten von guten 60 km/h auch horrende Stürze, Kreek, Besatzung und Steuerlatte fliegen dann wie in einer Comic-Schlägerei durch die Luft, und alle atmen auf, wenn die Geschundenen wieder stehen und halbwegs ganz sind. Harms­torf ficht das nicht an. „Eine Kreek zu fahren, ist, wie einen Bronco zu reiten, und ich habe geschätzt 2500 Ritte gemacht, ziemlich viele im letzten Winter, sicher zehn pro Tag, und ich habe noch nie gezweifelt“, sagt er. „Abends bist du dann aber kaputt.“ Glaubt man sofort. Einmal runter und wieder hoch verbrennt knapp 200 Kalorien, hat Thimo ermittelt. Was Kreek heißt, ist unklar. Harmstorf weiß es jedenfalls nicht. Aber eine Definition haben sie gemeinsam erarbeitet, damit ein für alle Mal Klarheit herrscht: Oberflur-Kufenfahrzeug für zwei bis drei Personen, gebaut aus heimischem Hart- und Nadelholz, mit Messingschrauben, zur Fahrt auf Hartschnee und Eis, mit Profileisenkufen beschlagen, lackiert, mit Tampen betakelt, gelenkt durch arm- und handgeführte Steuerlatte. Thimos misst 6,90 Meter, schwer muss sie sein, damit sie nicht abhebt und die Kreek lenkbar bleibt, wenn es brenzlig wird. Und rüschen? „Keine Ahnung, das wusste schon mein Vater nicht“, lacht er wieder. Als Blankenese nur unbefestigte Wege im Treppenviertel hatte, Lasten vom Strand hochgezogen werden mussten, taten das Esel und Pferde. Oder wenn Kartoffeln und Kohl vom Bahnhof geholt wurden. Im Winter ging das nicht. So kam man auf die flachen Kreeks, die viel größer waren als heute und von drei Leuten gezogen wurden. Runter fuhren die Tollkühnsten dann stehend. Wie Ben Hur auf seinem Streitwagen müsse man sich das vorstellen. Bretter, damit die Füße nicht wegrutschen, und einen Gurt zum Festhalten. Und zwar auf dem Waseberg, mit einem Gefälle von bis zu 16 Prozent. Irgendwann wurde das Winterspaß. „Die Mutigen fuhren den Qualberg von der Brücke, die Idioten – so wie ich – von oben. Das gab natürlich oft Feuerholz hoch drei.“

Ende der 1950er-Jahre wurde dann die Wiese in Schinckels Park offiziell als Kreekbahn eingerichtet. Deshalb auch Neue Wiese. „Die Bahn war schwieriger als jetzt, es gab ein kleines Gebäude, wo Sanitäter saßen. Einmal flog denen glatt jemand durch die Scheibe“, erinnert sich Harmstorf wohlig. „Der Zusammenhalt hier, wie ein großer, lockerer Freundeskreis, über mehrere Generationen, ist einmalig. Jeder kennt irgendwie jeden, hilft, passt auf, wenn einer baden gegangen ist. Das ist ein ganz besonderer Geist.“

Harmstorfs Frau Gudrun wünscht sich: bitte dieses Jahr keinen Schnee. Und wenn es doch anders kommt, lässt sie ihn ziehen, denn sie weiß, dass ein alter Blankeneser das Rüschen nicht lässt: Peng, zack – hier rüscht King Harald.

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