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Suchen und Finden

HAUPTZOLLAMT

Tag für Tag kommen unzählige Container im Hamburger Hafen an und verlassen diesen wieder.
Dirk Mahler, Dominik Loelf und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Hauptzollamt Hamburg sind 24 Stunden am Tag auf der Suche nach Schmuggelwaren. Mit Drohnen, Hunden und technischem Equipment sind sie diesen auf der Spur.

Text: Marco Arellano Gomes | Fotos: Jan Northoff

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 65

AN EINEM FRÜHEN SEPTEMBERMORGEN fährt Dirk Mahler mit seinem Dienstwagen über die Köhlbrandbrücke zum Terminal Burchardkai. „Jedes Mal, wenn ich hier rüberfahre, hoffe ich das Beste“, sagt er halb ernst, halb scherzhaft. Im Hintergrund sind blau-rote Kräne zu sehen, die dem Entladen der Frachtschiffe dienen. Eines der Schiffe steht heute auf der Prüfliste: ein etwas in die Jahre gekommener Frachter der chinesischen Staatsreederei Cosco, Baujahr 2010, 334 Meter lang, 43 Meter breit, knapp 26 Knoten schnell.

Auf dem Gelände des größten Hamburger Terminals angekommen, geht es vorbei an unzähligen blauen, roten, grünen und orange­farbenen Containern mit den Aufschriften der Reedereien – von Cosco, Maersk, One, Evergreen, Hamburg Süd bis Hapag-Lloyd. Sie alle warten darauf, weitertransportiert zu werden. Darin enthalten sind die Güter des täg­lichen Konsums – von Nahrungsmitteln über Kleidung bis hin zu Elektronik. Mit Schwung nimmt Mahler eine letzte Kurve, hält mit dem Wagen am äußersten Rand des Stegs. Einige Möwen, die friedlich auf der Leitplanke saßen, fliegen erschrocken davon.

Mahler steigt aus, zieht die obligatorische gelbe Zoll-Warnweste über sein graues Poloshirt mit Zoll-Schriftzug und Bundesadler-Aufdruck auf dem Ärmel, platziert seinen roten Schutzhelm auf dem Kopf, justiert seine ­Brille. An seinem Gurt führt er eine Pis­tole und ein gelbes Messgerät mit sich. Seinen linken Unterarm zieren zwei Tattoos. Er zieht zwei-, dreimal an seiner E-Zigarette und steckt diese in die Hosentasche. Dann zieht er schwarze Nylon-Strickhandschuhe über, greift einen Rucksack mit Werkzeug und stülpt ihn auf den Rücken. Sein braun-grauer Fünftagebart schimmert im Sonnenlicht.

Dieser Mann ist auf Mission – und diese lautet: suchen und finden. Seit 29 Jahren arbeitet Mahler, 46, beim Hamburger Zoll, wechselte alle paar Jahre den Einsatzort, bis er zur Schiffskontrolleinheit 26 kam und blieb. Seither ist er Teil von dem, was man einst „Schwarze Gang“ nannte, weil die Kontrolleure früher in die mit Kohle betriebenen Schiffe stiegen und entsprechend verdreckt zurückkamen. Mahler ist erfahren, bildet angehende Schiffskontrolleure für ganz Deutschland aus und ist auch im Rahmen der Weltzollorganisation (WZO) nachrichtendienstlich tätig.

Gemeinsam mit zwei Kollegen und einer Kollegin geht er über eine wackelige Gangway aufs Schiff. Oben angekommen, sprechen sie mit einigen Crew-Mitgliedern, dann geht es durch einen schmalen Gang zur Anmeldung in einen Besprechungsraum. Mahler studiert derweil den ausgehängten Schiffsplan im Gang: Lotsen-Luk, Unterdeck, Außendeck, Frachtraum, Maschinenraum, Schweröltank, Hohlräume, Wohnräume.
Dann geht es los: Ein Team übernimmt den hinteren Teil des Schiffs, das andere den vorderen. Mahler macht sich mit einem Kollegen außen längs in Richtung Bug auf den Weg, vorbei an den Containern, die links auf der Ladefläche aufeinandergestapelt sind. Im vorderen Bereich des Schiffs angekommen, öffnet ein Crew-Mitglied eine quietschende, metallene Tür. Den Kopf eingezogen geht es eine ebenfalls metallene Wendeltreppe runter, durch eine weitere Metall-Tür in die Vorpiek, wie man den vordersten wasserdichten Bereich im Rumpf eines Schiffs bezeichnet. „Das ist das Bootsmann-Lager“, so Mahler. Dieses wird oft als Lagerraum für seemännisches Material genutzt – und eben auch gern als Versteck für Schmuggelware. Im Raum befinden sich Taue, eine Jakobsleiter und einige Behälter in lose stehenden Regalen und Kisten. An einer Säule hängt ein grünes Schnurtelefon.

Mahler legt seinen Rucksack ab, zieht eine Zange, einen Rollgabelschlüssel, einen Gerüstbauerschlüssel sowie einen Akku-Schlagschrauber heraus und stellt das Werkzeug auf einen nahe stehenden Holztisch. Behutsam nimmt er eine Drohne aus der Tasche, eine Elios 2 von Flyability, ausgestattet mit einer 10k Lumen starken Lichtanlage, geschützt durch ein kugelförmiges, filigranes und dennoch stabiles Gitternetz aus einer Magnesiumlegierung, Kohlefasern, Kunststoff und Aluminium. „Die bringt selbst den dunkelsten Raum zum Leuchten“, sagt er. Über ein Full-HD-Display und eine Fernbedienung kann die Drohne in Echtzeit gesteuert werden. Modernste Technik.

Wert: 40.000 Euro. Vorsichtig wischt Mahler über die Sensoren, schraubt hier und da ein wenig herum. „Im Grunde macht die Drohne nichts anderes als ein Mensch“, erklärt er. „Sie leuchtet in jeden Winkel, schaut nach möglichen Verstecken und sucht Schmuggelware. Nur, dass sie besser, schneller und sicherer ist. Die Drohne kann fliegen und stürzt nicht die Treppe hinunter“, sagt Mahler. Einige Kollegen seien schon mal ausgerutscht, einer hätte sich sogar eine Rippe gebrochen. „Das ist alles Stahl. Wenn du ­irgendwo gegen knallst, knallst du dagegen.“

Mahler nimmt den Akku-Schlagschrauber, bückt sich zum gelben Mannlochdeckel mit dem Schriftzug FPV hinunter und löst einzeln die Muttern von den Schrauben. An zwei Griffen heben er und sein Kollege den Deckel hoch, der den Raum vom darunterliegenden Ballast­wassertank trennt, und packen diesen zur Seite. Mit einer Handtaschenlampe leuchtet ­Mahler kurz in den Raum, nimmt ein Seil, befestigt das Atemluftmessgerät daran und lässt dieses in den dunklen Raum hinab.

Er bittet seinen Kollegen, die Drohne zu greifen und über das Einstiegsloch am Boden zu halten. „Jetzt“, ruft Mahler. Sein Kollege lässt die Drohne los, die mit einem höllisch lauten Summen in der Luft stehen bleibt. Die Rotoren klingen wie ein großer Bienenschwarm – da traut sich selbst die Asiatische Hornisse, sollte sie an Bord sein, nicht aus ihrem Versteck. Mahler steuert die Drohne mittels einer Fernbedienung durch den Raum, lässt sie von Deck zu Deck, von Ecke zu Ecke schweben, prüft hochkonzentriert strittige Stellen auf dem Display. Knapp zehn Minuten lässt er sie durch den Hohlraum fliegen, länger hält die Akku­ladung nicht. An einer Stelle liegen verdächtige runde Scheiben, die aussehen wie Airtags oder Spiele-Chips aus dem Casino. Mahler gibt schnell Entwarnung: „Das sind Flexscheiben.“ Gekonnt lässt er die Drohne wieder aufsteigen. Das sei das schwierigste Flugmanöver. Mahler legt den Mannlochdeckel zurück auf den Eingang im Boden, schraubt die Muttern wieder einzeln dran. Gefunden hat die Drohne diesmal nichts.

„Der Zoll sucht gezielt an den neuralgischen Punkten der Schiffe“, so Mahler. Man kenne die beliebten Verstecke, ist mit anderen Zolleinheiten aus aller Welt vernetzt, tausche sich aus, werte Daten aus. Hamburg ist der größte deutsche und – nach Rotterdam und Antwerpen – der drittgrößte europäische Containerhafen. 7,7 Millionen Container wurden 2023 in Hamburg umgeschlagen. Die Schiffe und Container werden stichprobenartig durchsucht, der Zoll spricht von risikoorientierten Proben, da diese nicht zufällig gewählt werden. Eine Untersuchung aller Container sei unmöglich, gibt Mahler zu bedenken. Der Aufwand wäre zu hoch, der wirtschaftliche Schaden zu groß.

Gesucht werden Drogen, Tabak, Alkohol, Arzneimittel, Waffen, Sprengstoff, Kleidung, Elektronik, Körperpflegeprodukte, Bargeld sowie geschützte Tiere und Pflanzen. Zum Einsatz kommen Zollboote, Fahrzeuge, Röntgentechnik, Drohnen, diverse Messgeräte und Zollhunde. Den größten Fund machte der Zoll vergangenes Jahr im Rahmen der bundesweiten Operation Plexus: 35 Tonnen Kokain mit einem Marktwert von schätzungsweise 2,6 Milliarden Euro, 25 Tonnen davon allein am Hamburger Hafen. Die Hansestadt könnte zum neuen Drehkreuz für Kokain in Europa werden. Die Drogenmenge habe sich allein in den vergangenen fünf Jahren etwa verdreifacht, so Mahler. „Das ist ein schleichender Prozess, zumal die Banden hier auch ihre Strukturen aufbauen müssen“, so Mahler. „Entsprechend größer wird der Ermittlungsaufwand in Hamburg.“ Um das Kokain in die Zielländer zu überführen, lassen sich die Drogenhändler einiges einfallen. Beim klassischen Rip-on/Rip-off wird die Schmuggelware in einem Container oder irgendwo auf dem Schiff platziert und am Zielort wieder herausgeholt. Besonders hoch im Kurs steht mittlerweile das sogenannte Drop-off: Hierbei werfen die Schmuggler die Ladung über Bord, wo sie von Helfern per GPS gefunden und wieder herausgefischt wird.

Gefährliche Einsätze nehmen zu. Mahler gehört zu den wenigen Zöllnern, die sich in den Medien noch und mit vollem Namen zeigen. Auch Dominik Loelf, 39, seit März 2020 als Hundeführer beim Hauptzollamt Hamburg, gehört zu diesem kleiner werdenden Kreis. Mit Sky, seiner Belgischen Schäferhündin, zieht er auch in Abendschichten durch das Terminal, immer Skys Nase nach, auf der Suche nach Koks und anderen Stoffen, die dort nicht hingehören. Der Vorteil von Hunden sei, dass sie schnell und flexibel sind – und Dinge im Verborgenen aufspüren, so Loelf.

Zurück auf dem Schiff: Mahler ist wieder an Deck, geht vorbei am Mooring-Deck, zu den Kreuzgängen, zwischen den gestapelten Containern entlang, schaut mit einem an einer Stange befestigten kleinen Spiegel unter jede Hervorhebung des Lukensülls. Er steigt hinab in einen der Frachträume, wo das Gefahrgut lagert. „Da macht es besonders Spaß“, sagt er ironisch. Mahler kontrolliert die Siegel und die Schließmechanismen der Container, schaut, ob etwas manipuliert oder nicht fachmännisch geschlossen wurde, ob Spuren zu sehen sind oder Nummern verfälscht wurden. Mittels eines Endoskops kann zusätzlich ein Blick in einen Container geworfen werden, ohne diesen öffnen zu müssen.

Wieder von Bord verabschieden sich die beiden Teams. Mahler blickt ein letztes Mal zurück, steigt in seinen Dienstwagen, fährt zurück in Richtung Zentrale. Vorher macht er einen Schlenker zu „Odo’s Kaffeeklappe“ – ein Kultimbiss im Hafen. Dort beißt er herzhaft in sein Brötchen und nimmt einen Schluck Kaffee: „Wir müssen ressourcenschonend und effektiv arbeiten. Ich weiß, das sind Begriffe, die man mit einer Behörde meist nicht in Verbindung bringt. Aber das versuchen wir hier.“ Die Arbeit der Kontrolleinheit 26 gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen – und jede, die herausgezogen wird, tut weniger weh. Auch am nächsten Tag werden wieder Schiffe anlegen. Die Kontrolleinheit 26 wird bereit sein – mit Hund und Drohne.

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