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Der beste Rausch

JENS RAUSCH

Text: Regine Marxen | Fotos: Julia Schwendner

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 57

Unter der Erde muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Denn hier, in einem Kellerraum in einem Mehrfamilienhaus in Hamburg-Mitte, hat Jens Rausch sein Atelier. Die Wände sind aus gekalkten Ziegelsteinen, der Putz bröckelt an einigen Stellen. Pinsel stehen in Gläsern sauber aufgereiht. Leinwände lehnen an den Mauern. Hier arbeitet der Maler „der Zeit enthoben“, wie er selbst sagt, ohne Tageslicht, ohne Türklingel, die ihn stören könnte. Ein Türschild hat er nicht. Ein ziemlich guter Ort für einen Maler, einer, der auch etwas aushalten kann. „Malerei ist eine dreckige Arbeit“, sagt Rausch. „Je dreckiger, desto besser.“
Jens Rauschs Bilder zeigen Bäume, Berge oder, wie in seiner aktuellen Ausstellung „_MILES“ in der Berliner Galerie Mianki, großflächige Landschaften von oben. Aber darum geht’s eigentlich gar nicht. Denn das, was wir sehen, ist ein Platzhalter für das, was das Bild wirklich sein will. Viel wichtiger als das Motiv ist der Prozess dorthin, der wiederum eine ganz eigene Geschichte erzählt. „Es geht um Strukturen und Materialien, die sich auf poetische Art zu einem Bild verdichten.“ Seine Bilder wollen auch haptisch erfahrbar sein. Als Betrachter verspürt man schnell den Drang, sie zu berühren, um zu ertasten, woraus sie bestehen. Das ist kein Zufall, auch das will der 45-Jährige mit seinen Arbeiten erreichen. Spannung, Neugierde, Berührung.

Wie schafft er das nur? Einige Bilder aus seinem Werkzyklus „BERGEn“ sind beispielsweise auf Bleiplatten gemalt, die er zuvor mit dem Hammer bearbeitet hat. Er verwendet Gips, Marmormehl oder Eisenoxid, erzeugt die Illusion eines erodierenden Gebirges, das sich aufwirft, organisch ist, lebt. Er erschafft Wälder aus in Öl gebundener Asche, Eisen- und Kupferoxid, Bitumen, einem klebrigen Kohlenwasserstoff-Gemisch, und Bleiweiß. Für die Bilder seiner aktuellen Ausstellung „_MILES“, die auch in der Galerie heliumcowboy zu sehen waren, experimentiert er mit Erden, zermahlenem Ziegelstein, Kalk und Ruß. Es ist eine Transformation, eine Rückführung von Werkstoffen, die auf der Leinwand beunruhigende Motivwelten entstehen lassen. Sie erzählen von Zerstörung, zeigen eine fragile Welt. Sind es Rauchwolken oder Nebelschwaden, die über die Wälder schweben? Der Betrachter sieht Szenerien, die einen dunklen Kern beinhalten. Er sieht Rauschs Blick auf eine globalisierte Welt.

All das entsteht im Neonlicht seines unterirdischen Ateliers. Er ist jeden Tag hier, kommt früh am Morgen und geht spätabends, berauscht von dem, was sich unter seinen Händen auf der Leinwand entwickelt. Oft muss er sich quasi losreißen von der Arbeit. „Ich arbeite mehr als je zuvor. Ich muss manchmal aufpassen, dass ich nicht zum Eremiten werde“, sagt er. Malen ist das, was er immer wollte, und die Tatsache, dass er von dieser Kunst leben kann, empfindet er als ein großes Glück. Der geborene Fuldaer ist studierter Sozialpädagoge, schon damals hatte er vor, in die kunstpädagogische Richtung zu gehen, auch der Malerei wegen. Er hat viele Jahre in der Psychiatrie gearbeitet. Menschen interessieren ihn in all ihrer Brüchigkeit und Sensibilität, er hat viel gelernt in dieser Zeit. „Aber irgendwann habe ich gespürt, dass ich die Dinge noch besser durch ein Begreifen mit den Händen verstehen kann, dass ich besser vorankomme, wenn ich mich ausschließlich auf die Malerei fokussiere, die Dinge ausschließlich nur für mich mache.“

So wechselte er schließlich ganz in die Malerei. Eine seiner ersten Hamburger Ausstellungen fand bereits 2012 im Art Store St. Pauli (Karl Hilse) statt. Seine Wahlheimat Hamburg war und ist ein gutes Biotop für ihn. Dabei war die Entscheidung, an die Elbe zu ziehen, eher zufällig. „Eine große Stadt sollte es sein, und auch kulinarisch vielfältiger im Angebot“, erinnert er sich. Inzwischen lebt er seit über 20 Jahren hier. Was Hamburg aus seiner Sicht jedoch fehlt, sind bezahlbare Räume für Künstler. „Schließlich braucht der nicht viel. Gib ihm einen Ort, an dem er arbeiten kann, und Ruhe, er wird etwas daraus machen.“ Er schaut sich in seinem Atelier um und lächelt. „KünstlerInnen sind sehr anpassungsfähige und genügsame Wesen. Alles, was sie brauchen, ist das richtige Substrat.“

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