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Made it in Hamburg

JOHN NEUMEIER

Text: Simone Rickert | Fotos: Kiran West

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 58

Seine erste RollE war die „Sonne“, in einer Kindergeschichte tanzte John Neumeier auf einem Spielplatz in seiner Geburtsstadt Milwaukee. Er lächelt sein so sympathisches Lächeln, als er sich erinnert, dass er eigentlich ein wenig neidisch war auf den Jungen, der den „Regen“ darstellte, denn der hatte das schönere Kostüm: „Es hat mir ein besonderes Gefühl gegeben, vor einem Publikum so im Kreis zu hüpfen – das war sicher meine erste Vorstellung.“

Nun wird er am 14. August sein 50. Bühnenjubiläum in Hamburg feiern, sein Werkverzeichnis umfasst die Nummer 172 und – so viel verrät er – es wird noch eines hinzukommen, eine Art Epilog zu der langen Hamburger Geschichte, das wird vielleicht das Thema werden. Seinen Vertrag als Intendant und Ballettdirektor hat er um eine 51. Spielzeit verlängert, damit sein Nachfolger Demis Volpi seinen bestehenden Vertrag in Stuttgart erfüllen kann. Neumeier, der am 24. Februar seinen 84. Geburtstag feiern wird, ist das offensichtlich ein Geschenk, denn der Abschied von seinem Hamburg Ballett wird ihm ein schwerer sein. Für uns im Publikum mindestens ebenso!

Die Arbeit mit seiner Compagnie, das ist sein Leben. Wir führen das Interview für dieses Porträt im Ballettzentrum Hamburg, dem lichtdurchfluteten Backsteinbau in Hamm, der nach Plänen von Fritz Schumacher als Ober­realschule entstand. Dass dieser nun die neun Proberäume für 64 Tänzerinnen und Tänzer, zudem für das Bundesjugendballett und die Ballettschule (ab sieben Jahren) mit Internat beherbergen kann, ist Neumeiers Erfolg zu verdanken. Er selbst würde das so nicht sagen.
Gibt sehr selten Interviews, denn ihm geht es nicht um seine Person, er spricht bescheiden, es sei einfach seine Profession, zusammen mit den Menschen seines Balletts zu wirken, im Unterschied zu Schöpfern anderer Kunstformen: „Beim Tanz ist es so, dass neue Stücke gemeinsam mit einem Ensemble entstehen, sie werden geschrieben am Körper. Das ist für mich ein essenzieller Teil des Tänzerdaseins, des Tänzerlebens.“

Bei den Proben ist es nicht so, dass eine Szene im Kopf fertig choreografiert ist. Er tanzt selbst vor, Pas de deux, Hebefiguren, wahnsinnig agil, und dann wird nachgetanzt. Es sind viele kleine Improvisationselemente, die weiterentwickelt werden. Niedergeschriebene Tanznotation benutzt er nicht. Wenn er einen Tänzer beobachtet, ist er jedoch sehr genau mit Worten, um seine Vorstellungen zu verdeutlichen. So interaktiv ist der Ursprung all seiner großen Ballette. Vorher hat er sich immer mit geradezu wissenschaftlicher Akribie mit dem Stoff beschäftigt.

„Die Einmaligkeit ist, so wie ich diese Kunst sehe, die Arbeit in verschiedenen Stilistiken. Ich lege mich nicht fest. Wenn ich ein neues Werk mache, ist es für mich wie ein ganz neues Abenteuer. Es ist nicht so, dass ich meine, ich weiß schon, wie es gemacht wird. Das macht es für mich möglich, so lange an einem Ort zu arbeiten. Weil ich immer das Gefühl habe, ich bin am Beginn.“ John Neumeier kam nicht nach Hamburg, weil er die Stadt so schön fand – auch wenn er heute die Menschen hier, sein Publikum, die Atmosphäre und den Spazierweg an der Alster nicht missen möchte. Als er zu 1973 auf das Angebot von August Everding einging, lockte ihn die Zusage, mit aller Konsequenz das humane Balletttheater fortsetzen zu können, das er in Frankfurt ins Leben gerufen hatte. Mit einer größeren Compagnie, einer größeren Bühne und einem größeren Budget. Und nur so hat Neumeier sein Werk auch fortführen können: weil in Hamburg für die Compagnie und ihn immer ein nächster Schritt möglich war, möglich gemacht wurde.

Das war in der Kulturpolitik auch für einen von Anfang an sehr erfolgreichen Künstler nie selbstverständlich oder gar einfach. Er hatte das Hamburg Ballett gleich auf die Weltkarte gesetzt. Seine Vision, diese Kunst auch zu exportieren, etwas Spezifisches zu kreieren, das durch Gastspiele in andere Länder reist – „Made in Hamburg“ – sie wurde in der ersten Spielzeit in Granada, später in Rom, Hiroshima, Salzburg und so vielen weiteren Städten wahr. Dabei war ihm selbst eigentlich nie klar, dass er in Hamburg auf längere Zeit
bleiben würde, wohnte viele Jahre lang zur Miete, dachte immer, es könnte auch woanders
weitergehen: „Nur so, glaube ich, kann man als Künstler arbeiten.“

Einmal hätte die Stadt ihn beinahe verloren, ein künstlerisch hochinteressantes Angebot von der Wiener Staatsoper. Die Kulturbehörde hatte seinen Antrag auf Unterstützung des Ballettzentrums, in dem wir heute sitzen, zweimal abgelehnt. Beim dritten Mal ist er dann durchgegangen, und Neumeier könnte sich schon gut vorstellen, dass damals sein cleverer Betriebsdirektor Christoph Albrecht erwähnt hat, dass ein möglicher Vertrag schon in der Schublade läge. Verhandlungsgeschick mit Fortune, basierend auf harter Arbeit und schöpferischer Kraft, auch das gehört wohl zu Neumeiers Gaben. 1989 konnte er den Meilenstein nehmen und mit dem Ballettzentrum Hamburg – John Neumeier hier in der Caspar-Voght-Straße 54 einziehen.

Und die beste Entscheidung seines Lebens? „Dass ich vor vier Jahren geheiratet habe.“ Herrn Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner, der genauso viel arbeite wie er und dabei auch dieselbe Besessenheit habe. Und übrigens, die schlechteste, #fail: das Tagebuch von Tänzerlegende Nijinsky nicht für seine Sammlung gekauft zu haben, weil er kein Russisch lesen kann.

Der nächste Schritt in die Zukunft ist schon getan: Die „John Neumeier Stiftung“ wird mit gut 50.000 Kunstwerken und Büchern rund um das Thema Tanz aus seinem Privathaus in eine Villa am Mittelweg 55 ziehen können und dann der Öffentlichkeit zugänglich sein. Die Stadt stellte im Oktober 15 Millionen Euro für Kauf und Kernsanierung zur Verfügung.

Sicher auch ein Grund, warum Hamburg seine Heimat bleiben wird: „Ich mag die Stadt wirklich gern. Es war nicht das Kriterium, warum ich hierhergekommen bin und warum ich
geblieben bin. Aber ich sehe keinen Grund, woanders zu wohnen.“

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